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Frage von Marc T. •

Frage an Annette Schavan von Marc T. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrte Frau Schavan,

ich bin per Zufall auf diese Online Petition (Nr.: 3789) im Deutschen Bundestag gestoßen die noch bis zum 07.01.2011 läuft:
https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition;sa=details;petition=14686

Es geht in ihr darum, dass Deutsche in der gesetzlichen Krankenversicherung schlechter gestellt sind als Mitmenschen aus der Türkei die hier leben und GKV sind.
Der Grund hierfür ist, dass eine kostenlose Familienversicherung für die in der Türkei lebender Familienangehörigen, zu Lasten der deutschen GKV, bestehen kann.

Ich dachte die Kassen der gesetzlichen Krankenversicherungen sind leer, wieso ist es denn dann so, das hier mit beiden Händen Geld der Versicherten aus dem Fenster geschmissen wird?
Zumal meines Erachtens hier durch eine politische Entscheidung das Versichertenrecht und das Gleichbehandlungsrecht (AGG) missachtet wird!?

Freundliche Grüße,

Thissen

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Thissen,

vielen Dank für Ihre Frage vom 7. Dezember 2010.

Sie kritisieren darin Regelungen zur Krankenversicherung der im Heimatstaat lebenden Eltern ausländischer Arbeitnehmer.

Wenn ein ausländischer Arbeitnehmer in Deutschland gesetzlich krankenversichert ist, wird er ebenso behandelt wie ein deutscher Arbeitnehmer; das heißt, er und seine gegebenenfalls vorhandenen Familienangehörigen haben die gleichen Leistungsansprüche. Wohnen die Familienangehörigen eines Versicherten im Ausland, kommt ein Leistungsan­spruch zulasten der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nur dann in Betracht, wenn für den ausländischen Staat die europäischen Verordnungen über Soziale Sicherheit gelten oder mit diesem ein bilaterales Abkommen über Soziale Sicherheit geschlossen wurde. Diese Regelungen beruhen auf Gegenseitigkeit.

Auf dieser Grundlage erhalten in der Türkei oder im ehemaligen Jugoslawien (Bosnien und Herzegowina, Mazedonien, Serbien und Montenegro) lebende Familienangehörige eines in Deutschland krankenversicherten Arbeitnehmers im Krankheitsfall Leistungen der Krankenversicherung ihres Wohnsitzstaates. Die der Krankenversicherung des Wohnsitz­staates hierdurch entstehenden Kosten sind von der deutschen Krankenversicherung zu erstatten. Rechtsgrundlage dieser Regelung sind im Verhältnis zur Türkei das deutsch-türkische Abkommen vom 30. April 1964 über Soziale Sicherheit und im Verhältnis zu Bosnien und Herzegowina, Mazedonien und Serbien und Montenegro das deutsch-jugoslawische Abkommen vom 12. Oktober 1968 über Soziale Sicherheit. Mit Kroatien und Slowenien sind 1997 entspre­chende Nachfolgeabkommen geschlossen worden.

Derartige Regelungen entsprechen der allgemeinen Praxis sowohl des zwischen­staatlichen Sozialversicherungsrechts (hier die bilateralen Sozialversicherungsabkommen) als auch des überstaatlichen Sozialversicherungsrechts (EU-Regelungen über Soziale Sicherheit – VO (EWG) Nr. 1408/71). Sie hat ihren Grund darin, dass die Beiträge der Versi­cherten in aller Regel nicht nur der Abdeckung des eigenen Krankenversicherungsschutzes dienen, sondern zusätzlich auch der Abdeckung des Schutzes der nicht erwerbstätigen Familienangehörigen.

Um den Verwaltungsaufwand gering zu halten, erfolgt die Erstattung der Kosten durch die deutsche Krankenversicherung mittels kalenderjährlich zu vereinbarender monatlicher Pauschalbeträge pro Familie. Der vereinbarte Monatspauschalbetrag wird je Familie unabhängig von der Zahl der anspruchsberechtigten Familienangehörigen gezahlt. Allerdings berücksichtigen die Pauschalbeträge die durchschnittliche Zahl der in diesen Staaten wohnenden Familienangehörigen und die von ihnen durchschnittlich verursachten Kosten. Damit ist es trotz des pauschalen Abrechnungsverfahrens indirekt von finanzieller Bedeutung, wer nach dem Recht des Wohnsitzstaates zu den mitversicherten Familienangehörigen zählt.

Die Abkommen regeln nur für den Fall der Kostenabrechnung auf der Grundlage von familienbezogenen Monatspauschalbeträgen, dass sich der Kreis der anspruchsberechtigten Fami­lienangehörigen nach den Rechtsvor­schriften des Wohnsitzstaates der Familienangehörigen richtet. Zum anspruchsberechtigten Personenkreis gehören im Verhältnis zu den vorgenannten Vertragsstaaten regelmäßig die Ehefrau, sofern sie nicht selbst versichert ist, und die minderjährigen Kinder eines Versicherten. Geschwister eines Versicherten gehören nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis.

Eltern eines Versicherten mit Wohnsitz in der Türkei, Bosnien und Herzegowina oder in Serbien und Montenegro sind nur dann ausnahmsweise anspruchsberechtigt, wenn sie nicht ohnehin leistungsberechtigt nach den Rechtsvorschriften des Wohnsitzstaates aufgrund einer eigenen Versicherung oder der Versicherung einer anderen Person sind und wenn der Versicherte ihnen gegenüber unterhaltsverpflichtet ist. Insofern besteht hier in der Tat eine Ungleichbehandlung gegenüber den in Deutschland lebenden Eltern von GKV-Versicherten.

Allerdings können die Eltern, die die Voraussetzungen für eine Familienversicherung nach deutschem Recht nicht erfüllen, bei einem Besuch in Deutschland keine Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft zulasten der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch nehmen. Es gilt insoweit das deutsche Recht.

Im umgekehrten Fall, wenn zum Beispiel ein deutscher Arbeitnehmer in der türkischen Krankenversicherung versichert ist und seine Familienangehörigen in Deutschland wohnhaft sind, erfolgt kein pauschales Abrechnungsverfahren. Der deutschen Krankenversicherung sind für die Betreuung der Familienangehörigen die im Einzelfall tatsächlich der GKV entstandenen Behandlungskosten von der türkischen Krankenversicherung zu erstatten.

Für das Jahr 1999 (letzter abgerechneter Zeitraum) belief sich der vereinbarte monatliche Pauschalbetrag für die Betreuung einer Familie in der Türkei auf umgerechnet 17,75 €. Im Vergleich dazu betrugen im Jahre 2001 die durchschnittlichen monatlichen Behandlungskosten für in Deutschland lebende GKV-Mitglieder rund 213 €.

Zwar können die genannten Sozialversicherungsabkommen mit der Türkei und den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien unter Beachtung einer Frist von drei Monaten zum Ende eines Kalenderjahres gekündigt werden. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass eine solche Maßnahme mit dem Ziel, die Regelungen über die Mitversicherung von im Heimatstaat lebenden Eltern zu ändern, weitreichende Auswirkungen hätte. Im Verhältnis zu diesen Staaten bedeutete dies einen vertragslosen Zustand im Bereich der Sozialen Sicherung, der auch für deutsche Arbeitnehmer wesentliche Nachteile nach sich ziehen könnte.

So würden in diese Staaten von ihren Arbeitgebern vorübergehend entsandte deutsche Arbeitnehmer auch wieder der dortigen Sozialversicherungspflicht unterliegen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer hätten somit doppelte Beitragslasten, in Deutschland und im Beschäftigungsstaat, zu tragen. Weiterhin würde für in diese Staaten entsandte Arbeitnehmer einschließlich ihrer Familienangehörigen sowie für Touristen, die sich vorübergehend in diesen Staaten aufhalten, der Versicherungsschutz der deutschen Kranken- und Unfallversicherung nicht mehr bestehen. Sie würden damit im Falle der Erkrankung nicht mehr aushilfsweise medizinische Leistungen durch den Krankenversicherungsträger am Aufenthaltsort erhalten.

Schließlich sehen die Sozialversicherungsabkommen verschiedene Regelungen im Bereich der Rentenversicherung vor, deren Wegfall für die betroffenen Arbeitnehmer von Nachteil wäre. Dies gilt insbesondere für die Zusammenrechnung von deutschen Versicherungszeiten mit Versicherungszeiten des anderen Vertragsstaats. Sie bietet den betroffenen ausländischen Staatsangehörigen, die auch in Deutschland Rentenbeiträge gezahlt haben, die Möglichkeit, durch die Zahlung einer Rente für ihre deutschen Versicherungszeiten ihren Lebensabend in ihren Heimatstaaten zu verbringen. Umgekehrt erhalten deutsche Arbeitnehmer, die zeitweise im Ausland rentenversichert waren, für diese Zeiten eine Rente von den Rentenversicherungsträgern des jeweiligen Vertragsstaates.

Aus der Sicht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion überwiegen bei einer genauen Abwägung des Sachverhaltes die geschilderten Nachteile, die mit einer kurzfristigen einseitigen Kündigung der Sozialversicherungsabkommen durch die Bundesrepublik Deutschland verbunden wären, die negativen Folgen der kritisierten Regelungen über die Mitversicherung der Eltern ausländischer Arbeitnehmer deutlich. Insbesondere die Ungewissheit über den zukünftigen sozialen Sicherungsschutz im Ausland nach einem ersatzlosen Außerkrafttreten der Abkommen stünde weder unter finanziellen Gesichtspunkten noch unter Gerechtigkeitsaspekten in einem angemessenen Verhältnis zu den Vorteilen einer solchen Maßnahme.

Seien Sie herzlich und mit guten Wünschen gegrüßt.
Ihre Annette Schavan