Frage an Annette Schavan von Alexander K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Ministerin,
ich habe eine Anfrage bezüglich der Causa Sarrazin.
Zweifellos sind manche Aussagen des Herrn inhaltlich wie methodisch strittig; dennoch wundere ich mich, in welchem Maße und mit welcher Agressivität derzeit gegen Thilo Sarrazin vorgegangen wird, auch und gerade von jenen politischen Personen, die an den von ihm angesprochenen Missständen nicht ganz unschuldig sind.
Inwieweit ist es mit der rechtsstaatlichen Demokratie vereinbar beziehungsweise konkreter: mit der von ihr gewährten Meinungsfreiheit, wenn Äußerungen zu einer bestimmten Thematik direkt mit persönlichen Angriffen fernab von jedweder sachlichen Auseinandersetzung begegnet wird - gemeint sind insbesondere die gern benutzten Begriffe "Rassismus", "menschenverachtend" und dergleichen Vokabeln mehr?
Gerade eine Demokratie sollte doch kontroverse Diskussionen zulassen und auch polemisch vorgebrachte Ansichten nicht direkt in Bausch und Bogen verdammen - wenn wir ein jedes Wort auf die Goldwaage legen müssen, kommt die öffentliche Debatte, die ja auch immer ein wenig polarisieren und bewegen soll, doch bereits in Ansätzen zum Erliegen; dann könnten wir Poitiker ebensogut durch Sprachcomputer ersetzen.
Ich möchte Sie fragen, woran es Ihrer Meinung nach liegt, dass unsere vielbeschworene freiheitliche Demokratie - oder besser: der Exponent derselben, der Politiker - solche Schwierigkeiten damit hat, unbefangen und ohne Weltuntergangsvokabular mit der von Thilo Sarrazin angestoßenen und vorangetriebenen Kontroverse umzugehen.
Vielen Dank für Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Alexander Kohn
Sehr geehrter Herr Kohn,
vielen Dank für Ihre Frage vom 3. September 2010.
Es stimmt, dass in der Integrationspolitik vieles zu spät begonnen und konkrete Schwierigkeiten unterschätzt worden sind. Eine konsequente und umfassende Integrationspolitik gibt es in Deutschland erst seit dem Jahr 2005, als die unionsgeführte Bundesregierung wichtige Initiativen und Programme wie Integrationskurse und Einbürgerungstests durchgesetzt hat. Das Integrationsprogramm, das der Bundesinnenminister in der vergangenen Woche vorgestellt hat, zeigt, dass wir damit auf dem richtigen Weg sind. Wichtig ist, dass wir nun sachlich und fair über dieses Thema diskutieren.
Herrn Sarrazin werfe ich vor, dass er über viele Jahre hinweg, in denen er Finanzsenator von Berlin war, die Chance hatte, die Zustände zu verändern, die er jetzt beklagt. In dieser Zeit hat der Berliner Senat die Vorklassen in Berlin abgeschafft und damit das Sprachproblem der Kinder zum Schulbeginn sogar noch verschärft. Die Chance, zu einem Leuchtturm für gelungene Integration in Deutschland zu werden, hat Berlin unter diesem Senat, in dem Sarrazin in politischer Verantwortung war, vertan.
Von den Vererbungstheorien des Herrn Sarrazin halte ich ganz und gar nichts. Bei uns hat jedes Kind, egal welcher Herkunft, eine Chance verdient. Die wichtigste Voraussetzung, um in der Schule erfolgreich zu sein und einen Beruf zu erlernen, ist dabei, die deutsche Sprache zu beherrschen.
Seien Sie herzlich und mit guten Wünschen gegrüßt.
Ihre Annette Schavan