Frage an Annette Schavan von Maren W. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Prof.Dr. Schavan,
ich hätte eine Frage zum Thema "fliegender Gerichtsstand im Internet". Sicherlich ist Ihnen die Problematik bekannt: für Klagen aus unerlaubter Handlung im Internet ist nach § 32 ZPO im Prinzip jedes Gericht zuständig, weil das Internet überall abgerufen werden kann.
Ich habe beruflich des Öfteren mit Abmahnungen zu tun. Bekanntlich werden z.B. Abmahnungen wegen Urheberrechtsverletzungen von speziellen Kanzleien in großem Stile vorgenommen. Diese Kanzleien suchen sich im Streitfall dasjenige Gericht aus, welches die günstigsten Urteile für die eigene Mandantschaft fällt. Sei es, weil die Streitwerte besonders hoch angesetzt werden oder noch viel eher, weil eine Rechtsverletzung überhaupt bejaht wird, von anderen Gerichten aber nicht. Schon wegen dieser Möglichkeit und dieser Praxis muß den Abmahnenden gegenüber in der Weise reagiert werden, wie es ihnen am angenehmsten ist - zum Nachteil der Abgemahnten, die ausschließlich mit der für sie ungünstigsten Rechtsprechung leben müssen. Diversität in der Rechtsprechung ist so gut wie ausgeschlossen. Allein der Abgemahnte entscheidet darüber, welche Rechtssprechung zur Anwendung kommt und welche nicht. Es kann im Extremfall ein einziges Gericht in ganz Deutschland sein, welches aus Sicht der Abmahner eine besonders günstige Meinung vertritt - dann gilt in der Rechtspraxis nur noch die Meinung dieses einen Gerichts, welches von den Abmahnern zur Durchsetzung ihrer Interessen ausgewählt wird. § 32 ZPO ermöglicht dies uneingeschränkt. Eingrenzungsversuche einiger Gerichte bleiben Einzelfälle oder scheitern am insoweit eindeutigen Wortlaut des Gesetzes. Der Widerspruch zu Art. 101 Abs.1 S.2 GG, § 16 GVG ist offenkundig, aber praktisch nicht vermeidbar.
Mir sind schon lange zurückliegende Reformbestrebungen der Bundesregierung in dieser Hinsicht bekannt - wann sind hier welche Gesetzesänderungen zu erwarten?
Mit freundlichen Grüßen
Maren Wullkopf
Sehr geehrte Frau Wullkopf,
vielen Dank für Ihre Frage vom 23. April 2010.
Die gesetzlichen Regelungen zu dem von Ihnen angesprochenen Paragrafen 32 der Zivilprozessordnung stammen tatsächlich aus einer Zeit, in der die mit der heutigen Nutzung und Verbreitung der Medien verbundenen verfahrensrechtlichen Fragen noch nicht vorhersehbar waren. Allerdings wird zunächst einmal festzustellen sein, ob und gegebenenfalls welche Kritikpunkte an den Wirkungen des Gerichtsstandes der unerlaubten Handlung berechtigt sind.
In jüngerer Zeit ist von unterschiedlichster Seite Kritik am so genannten fliegenden Gerichtsstand geübt worden. Es gibt jedoch auch positive Aspekte der derzeitigen Rechtslage, die nicht vergessen werden dürfen. Hierzu zählt vor allem die Spezialisierung, die durch die derzeitige Ausgestaltung des Gerichtsstandes der unerlaubten Handlung an einigen Gerichten eingetreten ist. In die weitere Meinungsbildung zu diesem Thema werden wir Ihre Ausführungen gern einbeziehen.
Seien Sie herzlich und mit guten Wünschen gegrüßt.
Ihre Annette Schavan