Frage an Annette Sawade von Rainer A. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Sawade,
Ihre Arbeit im Petitions-Ausschuss veranlasst mich zu Fragen. Wie konnten Sie als ehemalige DDR-Ausgereiste in Ihrem Ausschuss zustimmen, zugesagte Renten für Altausgereiste kürzen zu lassen? Als sie 1982 in die BRD ausreisen durften, wurde auch Ihnen, wie vielen anderen ehemaligen DDR-Ausgereisten, DDR-Flüchtlingen, frei gekaufte DDR-Häftlingen und Abgeschobenen von der Bundesregierung im Rahmen des Eingliederungsverfahrens für Ihre ca. 11 Arbeitsjahre in Ostberlin eine Rente nach Fremdrentenrecht (FRG) zugesagt. Dieser Personenkreis an "DDR-Alt-Übersiedlern" betrug 221 187 Männer und 95 426 Frauen, Stand 18.5.1990, nach einer Sondererhebung aus Sondersuchläufen aller Versicherungsträger der RV. Diese Sonderauswertung wurde 2010 von der DRV Bund gemacht. Frau Sawade, Sie sind in dieser Statistik enthalten, wie ich auch. Ich bin ebenfalls wie Sie über den "Tränenpalast" am Bahnhof Friedrichstraße ausgereist. Nach der Wende 1989 wurde neues Rentenrecht geschaffen und alte Zusagen gelten nicht mehr. Die Bundesregierung lässt für uns Alt-Übersiedler das Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) anwenden. Ich falle nicht unter das RÜG, Sie auch nicht, auch nicht die o.g. Personengruppe. Das ist eine riesengroße Gesetzesverletzung für 316 613 Personen, ebenso für Sie wie für mich! Dagegen haben sich unzählige, vom Rentenunrecht Betroffene an Ihren Petitionsausschuss gewandt, dieses Rentenunrecht abzustellen, so auch ich. Ihr Petitionsausschuss hat noch im Juni 2012 ein Votum für die Wiedereinsetzung der FRG im Sinne der Petenten abgegeben. Es gab entsprechende Anträge Ihrer SPD, von den Grünen und Linken. Nunmehr, Frau Sawade, hat Ihr Ausschuss entschieden, die Petitionsverfahren zu beenden. Ich möchte von Ihnen wissen, wie konnten Sie als ehemalige DDR- Oppositionelle sich im Westen zur Opportunistin wenden ? Wie fühlt es sich an, vom Mitstreiter für Bürgerrechte in der DDR zur Abschafferin von zugesagten Renten im Westen werden?
Rainer Anhalt
Sehr geehrter Herr Anhalt,
die Petition "Regelungen zur Altersrente", auf die Sie sich beziehen, wurde am 01. Juli 2015 abschließend im Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages beraten. Die Mitglieder des Ausschusses sind mehrheitlich zu der Entscheidung gekommen, das Petitionsverfahren abzuschließen.
Wie Sie wissen, haben wir uns lange mit der Problematik ehemaliger DDR-Übersiedler/innen beschäftigt - sowohl in den Fachausschüssen als auch in der SPD-Bundestagsfraktion. Wir haben Betroffene angehört und die von ihnen eingebrachten Argumente genau geprüft. Betroffene aus meinem Wahlkreis habe ich sowohl in meinem Büro in Künzelsau als auch in meinem Berliner Abgeordnetenbüro zu Gesprächen getroffen. In Berlin begrüßte ich dazu außerdem Herrn Holdefleiß, Vorsitzender der Interessengemeinschaft ehemaliger DDR-Flüchtlinge e.V..
Sie fragen nach den Gründen meiner Entscheidung, einem Abschluss des Petitionsverfahrens zuzustimmen. Mein Fraktionskollege Martin Rosemann formulierte in seiner Rede zu dem Antrag der Fraktion Die Linke über "Spezifische Altersarmut Ost durch Korrektur der Rentenüberleitung beheben" (Drucksachennummer 18/1644) vom 02. Oktober 2015 treffend: "Es gibt keine gerechte Lösung für dieses Problem, zumindest keine, ohne neue Ungerechtigkeiten zu schaffen."
Sie fragen mich weiter, wie ich "zur Abschafferin von zugesagten Renten im Westen" werden konnte. Hier bitte ich Sie folgendes zu beachten: Die Ankündigung, Rente nach dem Fremdrentengesetz zu zahlen, galt unter den Bedingungen in Zeiten des geteilten Deutschlands. Nicht nur die DDR-Übersiedler/innen, sondern alle gesetzlich Rentenversicherten waren 1992 von Veränderungen bzgl. ihrer Rente betroffen. Galt bei Rentenbeginn bis 1991 zum Beispiel das Angestelltenversicherungsgesetz, so wurde bei Rentenbeginn ab 1992 - ohne Übergangsregelung - das SGB VI angewandt. Auch hier gab es teilweise Verschlechterungen im Vergleich zum bisherigen Rechtszustand.
Wie Martin Rosemann in seiner Rede richtig formulierte, gilt nun einmal der Grundsatz, "dass immer das Rentenrecht gilt, das in dem Moment im Gesetzblatt steht, in dem man in Rente geht". Und auch das Bundesverfassungsgericht betonte, dass die allgemeine Erwartung des Bürgers, das geltende Recht werde unverändert fortbestehen, verfassungsrechtlich nicht geschützt sei. "Die Gewährung des vollständigen Schutzes zu Gunsten des Fortbestehens der bisherigen Rechtslage würde den dem Gemeinwohl verpflichteten demokratischen Gesetzgeber in wichtigen Bereichen lähmen und den Konflikt zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der Notwendigkeit ihrer Änderung im Hinblick auf einen Wandel der Lebensverhältnisse in nicht mehr vertretbarer Weise zu Lasten der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen", heißt es dazu in dem Rechtsgutachten zu einer möglichen Neuregelung der rentenrechtlichen Situation von DDR-Übersiedler/innen von Prof. Dr. Steinmeyer.
Weitere Argumente, die Martin Rosemann und ich u.a. abgewogen und diskutiert haben - und die schlussendlich zu der Entscheidung führten -, hat er in seiner Rede dargestellt. Seine Ausführungen teile ich uneingeschränkt. Die vollständige Rede können Sie gerne im Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/18/18128.pdf#P.12465 einsehen.
Sehr geehrter Herr Anhalt, der Beschluss ist wahrlich ein anderer, als Sie es sich gewünscht hatten. Ich kann Ihnen versichern, dass wir uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht haben. Nach allen sachlichen Erwägungen konnten wir aber zu keiner anderen kommen.
Mit freundlichen Grüßen
Annette Sawade, MdB