Frage an Annette Groth von Kerstin T. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Groth,
Sie haben für die Fraktion DIE LINKE eine Kleine Anfrage zum Menschen- und Organhandel im Sinai gestellt und wurden zu diesem Thema im SZ-Magazin zitiert. Darüber hinaus bin ich auf mehrere Artikel von Ihnen gestoßen, in denen das Thema ebenfalls im Zentrum steht.
Hat die Bundesregierung Ihrer Ansicht nach ausreichend Maßnahmen ergriffen, um Entführungen, Lösegelderpressungen, Folter, Mord und illegale Organentnahmen an afrikanischen Flüchtlingen im Sinai zu stoppen? Was müsste Ihrer Meinung nach in dieser Hinsicht geschehen?
Mit freundlichen Grüßen und in Erwartung Ihrer Antwort,
Kerstin Thalheim
Sehr geehrte Frau Thalheim,
vielen herzlichen Dank für Ihre Frage. Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass sie das Schicksal tausender Menschen auf dem Sinai ansprechen, denn in der Tat beschäftige ich mich seit geraumer Zeit mit den Vorgängen dort und mir liegt dieses Thema sehr am Herzen.
In mehreren Untersuchungen ist ausführlich dokumentiert, welche Verbrechen tagtäglich auf der Sinai-Halbinsel begangen werden und mit jedem Bericht, den man liest, wird überdeutlich, wie wenig die internationale Gemeinschaft dagegen unternimmt. Das schließt auch die Bundesregierung mit ein.
Vielleicht kurz zum Sachverhalt: Opfer des Menschen- und Organhandels auf dem Sinai sind in den meisten Fällen Flüchtlinge und Migranten aus Eritrea, Äthiopien und dem Sudan. Menschen in einer besonders schwierigen Situation also, die bereits aus ihren Heimatländern fliehen mussten und auf ein besseres Leben anderswo gehofft hatten. Sie bezahlen eine Menge Geld an Schleuser, die sie an einen sicheren Ort bringen sollen. Unter den Schleusern hat sich etwa seit dem Jahr 2010 ein Netzwerk von Menschenhändlern entwickelt (in Eritrea, im Sudan und in Ägypten), die diese Flüchtlinge und Migranten entführen und an einige wenige Beduinenstämme im Sinai weiterverkaufen. Dort landen sie in den Folterkammern und werden über Monate hinweg misshandelt und erpresst. Ihre Verwandten sollen Lösegelder von bis zu 50.000 Dollar bezahlen - Geld, in dessen Besitz nur die allerwenigsten von ihnen sind. In diesem Stadium wird auch mit der Entnahme von Organen gedroht, viele der Flüchtlinge kommen in den Folterkammern zu Tode. Dass tatsächlich Organe entnommen werden, wird vermutet, ist aber nicht mit letzter Sicherheit zu beweisen. Seit 2006 sollen über 4.000 Menschen durch Folter - und möglicherweise auch illegale Organentnahmen - zu Tode gekommen sein.
Die meisten im Sinai ansässigen Beduinen sprechen sich vehement gegen diese kriminelle Praktiken einiger Weniger aus. Sich gegen die offensichtlich schwer bewaffneten und gut organisierten Menschenhändler durchzusetzen ist ihnen aber bis heute nicht gelungen. Hinzukommt, dass viele Beduinen aufgrund der hohen Arbeits- und Perspektivlosigkeit in der Region keine andere Möglichkeit sehen, als mit den Kriminellen Geschäfte zu machen und an sie Waren und Dienstleistungen zu verkaufen. Die ägyptische Armee (sowohl unter Mubarak als auch unter Muhammad Mursi) haben kaum noch Kontrolle über den quasi rechtsfreien Raum Nord-Sinai, der im Gegensatz zu den südlichen Tourismushochburgen wie Sharm El-Sheikh durch die Regierungen jahrzehntelang wirtschaftlich vernachlässigt wurde.
Ich denke genau hier gibt es eine Möglichkeit, anzusetzen: es wäre von immenser Bedeutung, wenn die ägyptische Regierung diejenigen, die den Menschen- und Organhandel, der sich vor ihrer Tür abspielt, ablehnen, deutlich stärker unterstützen würde. Gerade auch alternative Arbeitsmöglichkeiten würden dazu führen, die Menschen- und Organhändler immer weiter zu isolieren. Die ägyptische Regierung (auch eine Übergangsregierung) muss selbstverständlich entschieden gegen die begangenen Verbrechen vorgehen und die Schuldigen vor Gericht stellen. Besonders fatal ist, dass die ägyptische Armee immer wieder auf diejenigen schießt, die den Menschenhändlern entkommen können und versuchen, nach Israel zu gelangen; festgenommene Flüchtlinge werden abgeschoben. Die israelische Regierung ihrerseits errichtet einen Zaun an der Grenze zu Ägypten, um den Flüchtlingen den Übertritt der Grenze zu erschweren bzw. ihn zu verhindern. Diejenigen, die es schaffen, werden in Abschiebehaft genommen und nach Eritrea abgeschoben, wo ihnen Haft und Folter drohen. Die ägyptische und die israelische Regierung verstoßen unter anderem gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, nach der den Flüchtlingen Schutz zusteht.
Die Bundesregierung muss die ägyptische Regierung nachdrücklich auffordern, ihren internationalen und menschenrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen. Erst vor einigen Wochen habe ich die Bundesregierung noch einmal zur Lage auf dem Sinai und ganz explizit zum Menschen- und Organhandel befragt. Die Antwort lautete, die Situation habe sich nach den Erkenntnissen der Bundesregierung nicht verändert. Das Thema werde regelmäßig mit VertreterInnen der ägyptischen Regierung sowie anderer Regierungen in der Region angesprochen. Allerdings stehe momentan die aktuelle, sehr instabile politische Lage in Ägypten im Vordergrund - diese sei auch Schwerpunkt der Gespräche des Bundesaußenministers Westerwelle in Ägypten im Juli/August 2013 gewesen.
Meiner Ansicht nach ist diese Begründung unzulässig. Erstens ging bereits aus der Antwort auf meine Kleine Anfrage an die Bundesregierung vom Oktober 2012 sowie aus mehreren Gesprächen mit dem Auswärtigen Amt und auch mit Herrn Westerwelle hervor, dass die Bundesregierung bereits seit geraumer Zeit sehr genau über den Menschen- und Organhandel im Sinai informiert ist und diesbezüglich über zahlreiche Detailkenntnisse verfügt. Dennoch wurden kaum konkrete Maßnahmen ergriffen, um diesen Verbrechen ein Ende zu bereiten, bzw. die ägyptische Regierung dazu zu drängen, dies zu tun. Schnelles Handeln ist aber nun wirklich geboten: die Verschleppung, Folterung und Tötung von Menschen geht weiter, darum müsste dieses Thema absolute Priorität haben - trotz und vielleicht gerade wegen der chaotischen politischen Lage in Ägypten.
Ich werde das Thema mit Sicherheit weiter verfolgen und immer wieder bei der Bundesregierung nachhaken. Es muss endlich gehandelt werden und jeder, der nicht handelt, macht sich mitschuldig!
Mit freundlichen Grüßen
Annette Groth