Frage an Annette Groth von Petra L. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Groth,
bei Ihren Antworten zu obigen Fragen zu Ihrer Beteiligung am Gaza-Hilfskonvoi vermisse ich noch eine klare Aussage zu der oftmals gestellten Frage, die Sie doch mit einem ganz einfachen Ja oder Nein beantworten können:
- Haben Sie die Kosten für Ihre Teilnahme (Reise, Aufenthalt) selbst bezahlt?
- Wenn nein, wer hat diese Kosten getragen?
Außerdem vermisse ich eine klare Stellungnahme zu der organisierenden IHH, die mit islamistischen Kreisen in Verbindung gebracht wird.
Im Fernsehbericht von "report" haben Sie auf Pax Christi verwiesen, die Bescheid wüssten. Haben Sie sich mittlerweile selbst informiert, mit wem Sie da eigentlich unterwegs waren?
Ich bin gespannt auf Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Petra Löffler
Sehr geehrte Frau Löffler,
vielen Dank für Ihre Fragen.
Meine Teilnahme an der Freegaza-Flottille war durch die Fraktion DIE LINKE genehmigt worden, da sie als wichtiger Beitrag für unsere internationale Menschenrechtsarbeit angesehen wird. Damit wurde die Reise durch die Fraktion mitfinanziert. Während der Reise haben wir viele Gespräche mit menschenrechtspolitisch Arbeitenden und ParlamentarierInnen aus vielen verschiedenen Ländern geführt und über konkrete Möglichkeiten zur Beendigung der völkerrechtswidrigen Blockade des Gaza-Streifens durch die israelische Regierung gesprochen.
Es ist ein völlig normaler Vorgang, dass ParlamentarierInnen im Rahmen ihrer parlamentarischen Schwerpunkte in Regionen reisen, in denen Menschenrechtsverletzungen stattfinden, um durch ihre Präsenz zu einer Beendigung dieser Menschenrechtsverletzungen beizutragen. So hat vor wenigen Tagen eine Reise mehrerer Kolleginnen und Kollegen nach Indien stattgefunden, um sich mit den menschenunwürdigen Bedingungen der Christen in Indien nach den Pogromen in den Jahren 2007 und 2008 zu beschäftigen und politische Aufmerksamkeit auf die schlimmen Lebensbedingungen der betroffenen Menschen zu lenken. Auch reisen jedes Jahr unterschiedliche Abgeordnete zu Demonstrationen oder menschenrechtlichen Veranstaltungen in Regionen, um durch ihre Anwesenheit die gefährdeten Menschen aktiv zu schützen und zu unterstützen. Eine wichtige Reisetätigkeit von Abgeordneten unterschiedlicher Fraktionen ist zum Beispiel die Reise zu Christopher Street Day-Veranstaltungen in Ländern, in denen die dort Demonstrierenden mit Angriffen durch die Polizei oder reaktionäre Kräfte rechnen müssen. Auch für eine solche Arbeit wurden wir als Abgeordnete des Deutschen Bundestages gewählt.
Wer solche Reisen kritisiert, unterschätzt die Wichtigkeit der Präsenz von Abgeordneten bei solchen Aktionen oder hat ein falsches Bild von den Aufgaben eines Parlamentariers. Menschenrechte können nicht lediglich durch Resolutionen durchgesetzt werden, sondern fordern auch die konkrete Anwesenheit von Abgeordneten in betroffenen Regionen oder zu Aktionen von menschenrechtspolitisch Aktiven. Solche Reisen werden dann häufig auch über die Fraktionen mitfinanziert. So war es auch bei der Reise im Rahmen der Freegaza Flottille.
Wir alle haben gehofft, dass durch die Präsenz von Abgeordneten ein Beitrag zur Überwindung der völkerrechtswidrigen Blockade von Gaza geleistet werden kann. Gleichzeitig hilft die Anwesenheit von Abgeordneten häufig, Aggressionen von Angreifern zu verhindern. Durch den massiven Angriff der Flotte durch die israelische Armee hat sich deutlich gezeigt, wie wichtig es war, dass Abgeordnete aus vielen Ländern diese menschenrechtliche Aktion begleitet haben.
Eine Stellungnahme zur IHH habe ich bereits in meiner Antwort an Herrn Frank abgegeben. Zu der von Ihnen erwähnten Sendung /Report Mainz/ würde ich trotzdem gerne ein paar Worte verlieren. Ich würde Ihnen empfehlen, sich auch an anderer Stelle über die Methoden von Report Mainz zu informieren. In seinem Beitrag versucht Report Mainz auf äußerst manipulative Weise, ein schlechtes Licht auf die Organisatoren der Flotille, die IHH sowie meine KollegInnen Inge Höger, Norman Paech und mich selbst zu werfen. Dabei beruft sich Report Mainz auf Hörensagen, konstruiert Sinnzusammenhänge und sucht äußerst selektiv Aussagen die Naivität suggerieren sollen. Es wird versucht, die IHH als islamistische und nationalistische Organisation darzustellen. Desweiteren suggeriert der Beitrag, die IHH hätte verborgene politische Ziele. Die Friedensaktivisten seien keine wirklichen Friedensaktivisten.
Hier einige der von Report Mainz erhobenen Vorwürfe gegen die IHH im Detail:
Zur Passagierliste stellt Report Mainz fest:
„Milli Görüs veröffentlichte im Internet eine Liste türkischer Passagiere.“
Hier wird bewusst und manipulativ versucht, eine Beziehung zwischen verschiedenen Gruppen (den türkischen Passagieren, Milli Görus, der BBP und den Grauen Wölfen) herzustellen, indem man sie in einem Sinnzusammenhang nennt. Dabei kann man aus dieser Aussage nicht herauslesen, dass diese Passagiere Anhänger von Milli Görüs sind. Desweiteren sind Milli Görus einerseits und die BBP und die Grauen Wölfe andererseits nicht einfach so in einen Topf zu werfen.
Report Mainz berichtet, unter den Namen der türkischen Passagiere hätten sich auch Namen von „Funktionären der BBP“ gefunden. Desweiteren wird eine Kleine Anfrage der LINKEN zu türkischen Rechtsextremen zitiert wird, in der auch die BBP und die Grauen Wölfe erwähnt sind. So soll wohl die Inkonsequenz der LINKEN zur Schau gestellt werden. Hier wird so getan, als ob wir Abgeordnete grob fahrlässig gehandelt hätten, mit solchen Leuten in einem Schiffskonvoi zu fahren. Dabei wird geflissentlich übersehen, dass die wenigen Passagiere, die Mitglieder der BBP waren, nicht als BBP aufgetreten sind. Es ist nicht zu verlangen, dass jeder Passagier jede Biographie jedes einzelnen Passagiers auf jedem der teilnehmenden Schiffe hätte kennen müssen. Zentral ist: Die Passagiere hatten einem Aktionskonsens zugestimmt, der beinhaltete, gewaltfrei ein Ende der Blockade von Gaza zu erreichen. Darauf kann sich jedeR TeilnehmerIn berufen. Dass sich manche Passagiere in Notwehr gegen schwerbewaffnete Soldaten zu verteidigen versuchten, hat diesen Aktionskonsens nicht gebrochen.
Wir wehren uns dagegen, dass von Einzelpersonen Rückschlüsse auf die IHH oder sogar auf das ganze Freegaza-Bündnis gezogen werden. Es lässt sich nicht ausschließen, dass einzelne Mitglieder andere Ziele verfolgen. Diese finden auf keinen Fall die Unterstützung von Freegaza. Die Vorwürfe, in die Freegaza?Bewegung seien Parteien mit rechten Tendenzen einbezogen, sind haltlos und scheinen tendenziös. Die türkische Hilfsorganisation IHH ist wie andere mit der Freegaza?Bewegung eine Koalition zur Durchführung der Fahrt der Flottille eingegangen. Gemeinsame Basis war stets und ist weiterhin der Aufruf an die Weltgemeinschaft zur gewaltfreien Beendigung der Blockade.
Zur Klarstellung der Vorfälle, aber auch der unüberprüften Vorwürfe radikaler Tendenzen, fordert DIE LINKE mit Nachdruck die Einsetzung einer internationalen Untersuchungskommission.
Zum Zitat von Report Mainz zum Vorsitzenden der IHH „In den 90er Jahren soll er geholfen haben, Kämpfer für den heiligen Krieg anzuwerben“: Eines fällt hier sofort auf: Er soll geholfen haben. Für so eine schwerwiegende Behauptung müsste es doch andere Quellen als Hörensagen geben. Gibt es aber offensichtlich nicht.
Überprüft man einmal die weiteren Quellen, die der IHH islamistische und terroristische Umtriebe bescheinigen, so findet man ein israelisches Terrorismusinstitut sowie den Autor einer dänischen Studie, Evan Kohlmann, die sich beide auf den französischen Geheimdienst (mit Quellen aus Hörensagen) beziehen. Herr Kohlmann, ein sog. „Terrorismusexperte“, produzierte schon für die Verurteilung von Guantanamohäftlingen Propagandafilme, in denen fehlende Beweise gegen Angeklagte wettgemacht werden sollten durch manipulative Bilder (einstürzendesWorld Trade Center hinterlegt mit Koranmusik und Bildern des Angeklagten etc.). Alles Quellen also, die keineswegs unhinterfragt übernommen werden können. Trotz jahrelanger Untersuchungen wurde die IHH übrigens aufgrund mangelnder Beweise nie verurteilt.
Interessant bezüglich der IHH ist, dass es auch Quellen gibt, die besagen, die IHH sei in den 90er Jahren von der türkischen Regierung angeklagt worden, weil sie Verbindungen zur PKK pflegte (die IHH führt ja auch Projekte in den kurdischen Provinzen der Türkei durch). Dies wiederum spräche klar gegen eine Verankerung der ultranationalistischen Grauen Wölfe in der IHH - und es mag der tatsächliche Grund für die Anklage durch die türkische Regierung gewesen sein.
Zum Zitat des Vorsitzenden der IHH, dass in verschiedenen Städten „Aktionen gegen Israel“ durchgeführt werden, sollte Israel die Schiffe angreifen: Von welchen Aktionen mag da wohl die Rede sein? Auch hier gilt: Fest steht, dass in keiner Weise von Gewalt die Rede ist. Doch mit dem Verweis auf islamistische Umtriebe spielt die Phantasie hier dem unbedarften Zuschauer leicht einen Streich. Im Übrigen hat sich später sogar herausgestellt, dass es sich bei „Aktionen“ um eine falsche Überstzung handelte. Korrekterweise muss es heißen: Demonstrationen!
Zum Zitat des Vorsitzenden der IHH, Israel solle als Unrechtsstaat vorgeführt werden: Damit soll augenscheinlich der unredliche Charakter der politischen Zielsetzung der Flottille verdeutlicht werden. Die Organisatoren haben immer gesagt, dass die Flottille ein politisches Ziel habe: Die Blockade von Gaza beenden - eine Forderung, die selbst Frau Merkel mittlerweile teilt. Dazu muss zunächst auf die Blockade aufmerksam gemacht werden. Und da die Blockade völkerrechtswidrig ist und Menschenrechte verletzt, wird es logischerweise nicht ausbleiben, dass Israel dann als Staat wahrgenommen wird, der völkerrechtliche und menschenrechtliche Konventionen verletzt - was faktisch ja leider der Fall ist. Daraus anklägerisch die Formulierung zu basteln, das„tatsächliche“ Ziel sei es, Israel als Unrechtsstaat vorzuführen, und damit zu suggerieren, man hätte investigativ den wahren, aber verborgenen Plan der IHH aufgedeckt, ist absurd.
Und hier noch ein anderes Beispiel für den manipulativen Umgang mit der
Berichterstattung um die Freegaza Flottille:
Die israelischen Streitkräfte haben inzwischen eingeräumt, dass es sich bei den Aufnahmen eines Gesprächs, bei dem angeblich ein Aktivist die Militärs in tiefstem US-amerikanischem Südstaatenakzent aufforderte, "nach Auschwitz zurückzukehren" um eine Fälschung handelte. An Bord hatte sich auch gar niemand aus den Südstaaten befunden. Diese Fälschung wurde leider auch von einigen deutschen Medien sofort übernommen bevor der Wahrheitsgehalt der Aufnahme überprüft war.
Wenn Sie weitere Fragen haben, können sie sich selbstverständlich gerne
wieder an mich wenden.
Mit freundlichen Grüßen
Annette Groth