Frage an Anne Franke von Evelyn V. bezüglich Kultur
Liebe Frau Franke
In den letzten Monaten haben die Grünen es geschafft, durch ihr Programm und ihren Vorsitzenden zu überzeugen. Dadurch konnten sie einige Menschen mobilisieren, statt der CSU die Grünen für die Wahl am 28. September in Erwägung zu ziehen. Nun wurde auf dem Parteitag in Augsburg der so genannte Kruzifixbeschluss gefasst, der bei manchen auf Zustimmung stößt, aber auch einen Großteil der Menschen vor den Kopf gestoßen hat, vor allem diejenigen, die von der CSU zu den Grünen tendierten. Offensichtlich gab es aber auch durch die Berichterstattung der Medien Missverständnisse. Wie ist dieser Beschluss denn nun wirklich zu verstehen und was war mit ihm intendiert?
Mit freundlichen Grüßen
E.VillingI
Sehr geehrte Frau Villing,
ich glaube Ihre Frage spricht vielen potentiellen Wählern aus dem Herzen.
Ich war selbst auf dem Parteitag, an dem dieser Beschluß gefasst wurde. In der ganzen sehr lebhaft geführten Debatte vor dem Beschluss ging es um das Kopftuch bei Lehrerinnen. Auch ich bin der Meinung, dass Lehrerinnen im Unterricht kein Kopftuch tragen sollen, da sie als Vorbild für Kinder neutral sein müssen. Kinder werden häufig von ihren Vätern gezwungen, das Kopftuch zu tragen. Das erste, was viele dieser Mädchen tun, wenn sie morgens in die Schule kommen ist, auf die Toilette zu gehen und das Kopftuch abzunehmen. Diese Möglichkeit verbauen wir diesen Mädchen, wenn sie von einer Lehrerin erwartet werden, die selbst Kopftuch trägt.
Es ist enorm wichtig, endlich darüber aufzuklären. dass das Kopftuch kein religiöses Symbol, sondern ein Zeichen der Zugehörigkeit der Frau zum islam- gläubigem Mann, ähnlich unserem Ehering ist.
Im Koran, Sure 33,59 heißt es: "Sag den Frauen der Gläubigen, sie sollen sich etwas von ihrem Gewand über den Kopf ziehen. So ist es am ehesten gewährleistet, dass sie als ehrbare Frauen erkannt und darauhin nicht behelligt werden."
Es gibt viele muslimische Frauen, die im Kopftuch ein Zeichen der Unterdrückung sehen und dagegen kämpfen. Aus Gründen der Gleichberechtigung ist auch mir das Kopftuch ein Dorn im Auge. Ich meine, es verträgt sich nicht mit unserem Grundgesetz, in dem Mann und Frau gleichberechtigt sind. Die türkische Feministin Seyran Ates sieht darin sogar eine Verletzung der Menschenrechte. Unsere türkischstämmige Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz war auf unserem Parteitag eine eifrige Verfechterin des Kopftuchverbots für Lehrerinnen an Schulen. Ich hatte ihr zugesichert, auch dafür zu sprechen, denn die Gleichberechtigung, die wir Frauen solange so schwer erkämpft haben, ist auch mir eine Herzensangelegenheit.
Die Ernüchterung kam erst auf der Heimfahrt, als uns klar wurde, dass der letzte Satz des Textes, dem wir gerade zum Sieg verholfen hatten, eine Formulierung enthielt, die sehr zu unseren Ungunsten ausgelegt werden konnte, nämlich die Gleichbehandlung religiöser Symbole an Schulen. Wobei, und das muss ganz deutlich festgehalten werden, hier nur Kleidung gemeint war. Auch dabei geht meines Erachtens die vermeintliche Gleichbehandlung zu weit und ist falsch und überflüssig, wenn klar ist - und dies war der Denkfehler in diesem Antragstext - , dass das Kopftuch kein religiöses Symbol ist.
Zum Kreuz: Wir haben überhaupt kein Problem mit dem Kreuz in Klassenzimmern und keinerlei Handlungsbedarf diesbezüglich. Dies ist längst durch das sogenannte Kruzifixurteil grundgesetzkonform geregelt. Ich hänge Ihnen hierzu einen Text unseres Grünen Landesverbandes an.
Wir werden auf unserem nächsten Parteitag den betreffenden Satz aus dem Beschluss herausnehmen.
Ich selbst war in meiner Jugendzeit ( von 13 bis 20 J.) katholische Jugendgruppenleiterin, habe mich intensiv mit religiösen Inhalten auseinander gesetzt, bin zusammen mit anderen Gruppenleitern und sämtlichen Jugendgruppen aus der konservativen Pfarrei Herz-Jesu in München-Neuhausen zu den Jesuiten gezogen. Das war ein erstes Politikum für mich. Von den Jesuiten wurden wir dann thematisch äusserst gut betreut u.a. mit Analysen der Bibelübersetzungen aus dem Griechischen und Hebräischen. Die Jesuiten sagten mir voraus, dass ich aus der Kirche austreten werde, was ich damals noch gar nicht glauben konnte. Wahrscheinlich habe ich zu kritische Fragen gestellt. Als der Pabst Anfang der 80er Jahre eine Deutschlandreise unternommen und dabei 1 Mio. Mark für ein afrikanisches Projekt gesammelt hatte, dieses Geld aber ein Jahr später immer noch nicht dort angekommen war, bin ich ausgetreten. Und stelle weiterhin kritische Fragen, dabei stehe ich dem Christentum an sich positiv gegenüber. Im Übrigen gibt es sehr viele bekennende Christen bei uns Grünen.
Ich hoffe Ihnen Ihre Frage beantwortet zu haben. Was ich bei der CSU vermisse, ist christliche und soziale Politik. Ich meine, wir Grünen machen das.
Anhang:
Umgang der Grünen mit dem Kruzifix-Urteil von 1995
Die CSU versucht, um die Debatte zusätzlich zu befeuern, zu suggerieren, die Grünen und insbesondere die grüne Landtagsfraktion hätten in den 90er Jahren im Zusammenhang mit dem damaligen Kruzifix- Urteil sich für ein grundsätzliches Verbot von Kruzifixen ausgesprochen. Dies ist falsch und kann entschieden zurückgewiesen werden.
Kruzifix-Urteil wird die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts genannt, mit der Teile der Bayerischen Volksschulordnung für verfassungswidrig und nichtig erklärt wurden, nach denen in jedem Klassenzimmer der Volksschulen in Bayern ein Kruzifix oder zumindest ein Kreuz anzubringen war. (Quelle Wikipedia).
Die Staatsregierung setzte damals zu einem unsäglichen "Kreuzzug" gegen die höchstrichterliche Entscheidung an und versuchte die Auseinandersetzung politisch zu instrumentalisieren.
Haltung der Grünen war:
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts muss selbstverständlich auch in Bayern respektiert und umgesetzt werden. Schließlich hat das BVerfG ja auch nicht gesagt: Kreuze müssen verboten werden. Es ging nur darum, dass der Staat nicht gesetzlich vorschreiben darf, dass in jedem Klassenzimmer ein Kreuz hängen muss. Es hätte damals genügt, den entsprechenden Passus aus dem Schulgesetz (das wohlgemerkt nur für Volksschulen gilt) zu streichen, und das Aufhängen des Kreuzes
einfach zu einer freiwilligen Sache zu machen.
Kritisiert haben die Grünen aber dann mit großer Heftigkeit den bayerischen Sonderweg, den die Staatsregierung im Oktober 1995 verabschiedet hat: Dieser sieht weiterhin eine Kreuz-Pflicht vor, bietet aber eine Art Konfliktregelung an. Die Kritik richtete sich nicht gegen das Kreuz an sich, sondern gegen den Versuch der Staatsregierung, den Richterspruch aus Karlsruhe zu umgehen. Mehrere grüne Landtagsabgeordnete haben daraufhin sogar Popularklage vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof erhoben, die sich wiederum nicht gegen das Kreuz an sich richtete, sondern gegen den im Gesetz vorgesehenen Umstand, dass Menschen, die sich durch ein Kreuz gestört fühlen, vor dem Schulleiter gezwungen seien, ihre religiöse Überzeugung zu offenbaren.
Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat 1997 diese und weitere Klagen abgewiesen, das Verfassungsgericht in Karlsruhe hat sich als nächste Instanz selbst verweigert, weil sie ja in dieser Sache schon einmal entschieden hätten. Deshalb ist es seither in Bayern rechtmäßig, dass in jeder Volksschule ein Kreuz hängen muss, so lange sich niemand dagegen beschwert.
Ergo: Es ist es völlig falsch und geradezu eine Lüge, wenn die CSU behauptet, Sepp Daxenberger u.a. haben sich in einem Dringlichkeitsantrag dafür eingesetzt, Kruzifixe aus den Klassenzimmern zu verbannen. Unser Ansatz war immer ein zutiefst rechtsstaatlicher, kein religionsfeindlicher. Und wir haben schon damals deutlich gemacht, dass ein Kreuz allein noch lange keine christliche Politik macht.
Viele Grüße
Anne Franke