Wie beurteilen Sie das nordische Modell zu Freier- und Zuhälterbestrafung und Ausstiegshilfen aus der Prostitution und unterstützen Sie diese parteiübergreifende Initiative?
Sehr geehrte Frau Steinmeier,
vielen Dank für Ihre Nachricht. Die Situation in der Prostitution wurde mehrfach im Bundestag debattiert, ausführlich etwa bei der Verabschiedung des Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) 2016. Sowohl die Lebenssituation als auch die Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter*innen sind vielfältig und unterschiedlich. Es gibt sowohl Zwangsprostitution, als auch selbstbestimmte Sexarbeit.
Die grüne Bundestagsfraktion will die Rechte und den Schutz von Frauen und Männern, die in der Prostitution arbeiten, durchsetzen und stärken. Prostitution ist kein Job wie jeder andere. Dass Frauen sexuelle Dienstleitungen anbieten, ist aber ihre Entscheidung. Das heißt jedoch nicht, dass wir die Augen vor den äußerst schwierigen Arbeitsbedingungen und den oft gefährlichen Begleitumständen dieser Tätigkeiten verschließen. Hier müssen Hilfe und Unterstützung ansetzen. Ein Verbot von Prostitution halten wir dabei nicht für zielführend. Studien zu den Auswirkungen der gesetzlichen Regelungen in Schweden und anderen nordischen Ländern sind umstritten, uneindeutig und von begrenzter Aussagekraft. Zwar zeigen Studien, dass sich durch ein Verbot Straßenprostitution verringert, unklar ist allerdings, ob es dadurch weniger Prostitution gibt, oder sie nur in weniger sichtbare Bereiche verdrängt wird. So ist von schwierigeren Bedingungen für die Prostituierten auszugehen, von mehr Illegalität, mehr Ausbeutung und Gewalt oder Gesundheitsgefährdung.
Wir haben in Deutschland eine eindeutige Gesetzeslage gegen Menschenhandel und die Ausbeutung von Prostituierten. Die Durchsetzung dieser Gesetze hängt maßgeblich von den Ressourcen der Strafverfolgungsbehörden ab. Darüber hinaus müssen die Lebens- und Arbeitsbedingungen für Menschen, die in der Prostitution arbeiten, verbessert werden. Das gilt ganz besonders für Frauen mit aufenthaltsrechtlichen Problemen und ohne Krankenversicherung. Daher halten wir umfangreiche und niedrigschwellige Beratungsangebote für zentral. Diese müssen auch Alternativen zur Tätigkeit in der Prostitution beinhalten. Hierfür sollten deutlich mehr Mittel eingestellt werden. Dafür setzen wir uns ein. Unsere Fraktionsbeschluss zu dem Thema Prostitution finden Sie hier: https://www.gruene-bundestag.de/files/beschluesse/beschluss-prostitutionsgesetz.pdf
Das Deutsche Institut für Menschenrechte rät dazu, so lange mit einem Richtungswechsel zu warten, bis die Ergebnisse der Evaluation des Prostituiertenschutzgesetztes vorliegen, die spätestens im Juli 2022 beginnen soll. Die vollständige Position des Instituts finden Sie hier:
https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/publikationen/detail/prostitution-und-sexkaufverbot
Mit freundlichen Grüßen
Team Annalena Baerbock