Was schlägt Ihre Partei vor, um die Bahnstreiks in Zukunft zu vermeiden?
Ich wohne in einer ländlichen Region, fahre mit der S-Bahn täglich zur Arbeit und bin wie die meisten BerufspendlerInnen auf die Bahn angewiesen.
Die Aussage der Regierungssprecher "Die Bahnkunden müssen sich auf längere Streiks einstellen" ist äußerst unbefriedigend.
Berufspendler, mit denen ich auf dem Bahnsteig stehe, überwiegend Frauen, haben selten die Ausweichmöglichkeit auf ein Auto , verdienen meistens viel weniger als die Lockführer und haben selten die Möglichkeit für einen Arbeitskampf. Wir waren die Hauptleidtragenden während des letzten Streiks im Herbst 2014 bis ins Frühjahr 2015 und wir sind es auch diesmal.
Der Bund ist Miteigentümer bei der Bahn und muss meiner Meinung nach dafür sorgen, dass der aktuelle Streik ein Ende nimmt und dass in Zukunft so was nicht mehr passiert. Das Tarifeinheitsgesetzt hat sein Ziel komplett verfehlt.
Diese Frage finde ich sehr wichtig, bei der aktuellen Wahl scheint es aber kein Thema zu sein.
Sehr geehrte Frau S.
vielen Dank für Ihre Nachricht. Eine Verkehrswende ist nur mit einem Ausbau des ÖPNV machbar. Wichtig dafür ist eine Verkehrs- und Mobilitätspolitik, die den Fokus auf die Mobilität der Menschen legt und dabei das Auto nicht nur fokussiert. Stattdessen müssen die vielfältigen Bedürfnisse abgebildet werden, beispielsweise mit den Ausbau des ÖPNVs, dem Ausbau von Radwegen, aber auch beim Auto den Umstieg auf den Elektroantrieb. Für den Ausbau der Schiene fordern wir ein umfassendes Ausbauprogramm der Schiene für den Regionalverkehr. Dazu gehört zum einen Reaktivierungsprogramm, aber auch neue Strecken sollen untersucht werden. Dafür wollen wir beispielsweise die Bewertungsmethodik, die für die Machbarkeit solcher Strecken benötigt wird, aktualisieren und fairer gestalten. Damit die Infrastruktur- und Bauunternehmen mehr Planungssicherheit bekommen, wollen wir mit einem überjährigen Infrastrukturfonds die Finanzierung der Schiene langfristig garantieren und über 100 Milliarden Euro zusätzlich in die Infrastruktur investieren. Damit die Länder mehr Regionalverkehr bestellen können und ihre Angebote ausweiten können, werden wir die Regionalisierungsmittel erhöhen, mit denen die Länder eben solche Angebote finanzieren. In Regionen wo die Schiene (noch) nicht erreicht werden kann, wollen wir ein attraktives überregionales Busangebot schaffen, damit auch dort die Fahrzeiten mit dem ÖPNV deutlich gesenkt werden können. Wir Grüne befürworten den Ausbau der Schieneninfrastruktur (im Rahmen des Deutschlandtaktes) und alle damit verbundenen Projekte. Die Vorhaben müssen eng mit den Bürger*innen abgesprochen und geplant werden. Zentral ist, dass die Bürger*innen transparent über Ziele der Vorhaben informiert werden, das hat die Bundesregierung jedoch klar versäumt. Infrastrukturprojekte - gerade größere Neubauvorhaben - stoßen vor Ort auf viel Misstrauen. Dies liegt zum einen an der bereits hohen Belastung durch vorhandene Infrastruktur sämtlicher Verkehrsträger, zum anderen jedoch auch an den schlechten Erfahrungen der vergangenen Planung. Es ist deswegen gut, dass die Deutsche Bahn jetzt ein Verfahren gefunden hat, mit der sie transparent und gemeinsam mit den Betroffenen vor Ort Trassen plant und baut. Dies erhöht die Akzeptanz - und ohne diese können keine Infrastrukturprojekte gebaut werden. Die Erfahrung zeigt, dass vor Ort alle Parteien gegen den Neubau von Schieneninfrastruktur sind - auch die CDU und gerade auch die CSU, dies zeigt sich gut am Brennernordzulauf. Die überregionale Ebene der Grünen spricht sich jedoch klar für die Projekte aus und befürwortet dies - soweit in der Abwägung zwischen Umweltschutz, Betroffenen vor Ort und Klimaschutz durch mehr Bahnfahren der Neu- und Ausbau begründet werden kann. In Bundesländern mit grünem Verkehrsministerium bauen wir die Schiene stark aus. Baden-Württemberg schneidet in vielen Statistiken bezüglich des öffentlichen Verkehrs am besten ab. Wir haben dort eine breit angelegte Reaktivierungsstrategie mit über 20 potentiellen Strecken - auch Hessen ist hier Vorreiter.
Speziell zum Streik: SPD und Union haben mit ihrem Tarifeinheitsgesetz kleinere Gewerkschaften wie die GDL in den Existenzkampf getrieben, sie tragen deshalb eine Mitverantwortung für die harten Tarifauseinandersetzungen bei der Bahn. Der Arbeitskampf um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen bei der Bahn ist vollkommen legitim. Streiken ist ein geschütztes Grundrecht zu dem wir stehen, auch wenn die Folgen für Bahnkund*innen ärgerlich und unangenehm sind. Andernfalls wären Beschäftigte allein auf den guten Willen der Arbeitgeber*innen angewiesen. Die Bundesregierung muss sich zügig um eine Schlichtung bemühen. Die Situation bei der Bahn ist von Gewerkschaftskonkurrenz geprägt. Dass Gewerkschaften im Wettbewerb um Mitglieder zueinander stehen, ist normal und unproblematisch. Das Nebeneinander von Gewerkschaften und Tarifverträgen (Tarifpluralität) wurde durch das Tarifeinheitsgesetz zulasten der kleineren Gewerkschaften stark erschwert. Da laut TEG nur die Tarifverträge der größten Gewerkschaft angewandt werden, sind Gewerkschaften faktisch dazu gezwungen, alles daran zu setzen, die größte Gewerkschaft im Betrieb zu werden. Dadurch wurde die Konkurrenz um Mitglieder unnötig verschärft. Für die Mitgliedergewinnung von Gewerkschaften sind harte Konfrontationen und Streiks oft hilfreich. Das Tarifeinheitsgesetz ist 2015 von der SPD durchgesetzt worden, mit dem Ziel große Streiks kleiner Berufsgewerkschaften in Zukunft zu verhindern. Wie aktuell zu sehen ist, wurde das Ziel nicht nur verfehlt, sondern im Gegenteil die Konflikte dadurch sogar verschärft. Das Tarifeinheitsgesetz sollte außer Kraft gesetzt werden. Hier auch eine aktuelle Pressemitteilung: https://www.gruene-bundestag.de/presse/pressestatements/beate-mueller-gemmeke-und-matthias-gastel-zum-bahnstreik-und-tarifeinheitsgesetz
Mit freundlichen Grüßen
Team Annalena Baerbock