Warum lehnen Sie die Bitte der Berliner Hungerstreikenden um ein öffentliches Gespräch noch vor der Bundestagswahl ab?
Sehr geehrte Frau Baerbock,
die Hungerstreikenden in Berlin haben seit mittlerweile neunzehn Tagen keine feste Nahrung zu sich genommen. Sie fordern ein sofortiges Gespräch mit den Kanzlerkandidat*innen über die drohende Klimakatastrophe und die Klimapolitik sowie das Versprechen der Kandidierenden, in einer neuen Regierung direkt einen Bürger*innenrat einzuberufen. In diesem sollten Sofortmaßnahmen gegen die Klimakrise, unter anderem eine 100% regenerative Landwirtschaft, besprochen werden.
Dazu meine Nachfragen mit Bitte um kurze, konkrete Antworten:
- Teilen Sie die Forderung der Hungerstreikenden nach Einberufung eines solchen Bürger*innenrats?
- Warum sind Sie nicht bereit, auf die Bitte der Hungerstreikenden um ein öffentliches (!) Gespräch noch vor (!) der Bundestagswahl einzugehen?
Mit freundlichen Grüßen,
Andreas S.
Sehr geehrter Herr S.,
vielen Dank für Ihre Nachricht. Auch wir sind in großer Sorge um die Gesundheit der jungen Menschen, die aus Verzweiflung über die Klimakrise und Wut über unzureichende Politik in den Hungerstreit getreten sind. Und wir wissen, dass in der jungen Generation viele um ihre Zukunft bangen.
Wir möchten gerne noch einmal erläutern, warum wir dennoch der ultimativen Forderung der Hungerstreikenden nicht nachkommen können.
Vorweg: Ja, es ist zum Verzweifeln, dass es mit dem Klimaschutz so langsam vorangeht. Und es ist mehr als verständlich, dass das zu Protesten führt. Als Grüne kämpfen wir 365 Tage im Jahr und in diesen Tagen noch einmal besonders dafür, dass sich das endlich ändert.
Nun mag man meinen, wo ist das Problem daran, bei den Hungerstreikenden vorbeizugehen, ihre Forderungen zu erfüllen und öffentlich mit ihnen zu sprechen. Es ist aber wichtig, dies zu Ende zu denken. In einer Demokratie gibt es viele Formen des Protests. Ein Hungerstreik ist extrem. Er bedeutet Gewalt gegen sich selbst, Gefährdung von Gesundheit oder sogar Leben. Wenn wir den Forderungen nachgeben, kann das andere, insbesondere junge Menschen dazu verleiten, es gleichzutun. Das können und wollen wir nicht zulassen. Und noch einen Schritt weitergedacht: Was passiert, wenn demnächst andere mit anderem Hintergrund und anderen Forderungen/Zielen das Mittel des Hungerstreiks nutzen? Sollte man dem dann auch nachgeben? Welches Signal würde man damit senden?
Deshalb haben wir entschieden, nicht die Forderungen eins zu eins zu erfüllen, sondern Kompromisslösungen vorzuschlagen. Wir haben das Gespräch gesucht und angeboten: Es gab am 07. September ein direktes Telefonat von Annalena Baerbock mit den Streikenden, es gab das gemeinsame Angebot der drei Kanzlerkandidierenden für ein nicht öffentliches Einzelgespräch nach der Wahl. Es gab am 19. September erneut ein Angebot für ein Telefonat mit Annalena Baerbock, das abgelehnt wurde. Zusätzlich wurden im Hintergrund Gespräche mit dem Umfeld der Aktivist*innen geführt. So hat Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, am 21. September die Streikenden in ihrem Camp besucht und mit ihnen gesprochen. Die ausgestreckte Hand ist und bleibt da, die Dialogbereitschaft ebenso.
Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, auf die Klimakrise eine politische Antwort zu geben. Dieser Verantwortung stellen wir uns als Grüne. Politisch heißt das: Erstens die notwendigen Schritte zu gehen, um die Erderhitzung soweit wie irgend möglich einzudämmen. Zweitens konsequente Klimavorsorge zu betreiben, unsere Städte und Dörfer, unsere Landschaft so anzupassen, dass wir hier sicher, gut und frei leben können. Und drittens jeden Tag deutlich zu machen, dass es gelingen kann: Dass wir als Menschen die Hebel in der Hand haben, diese Aufgabe zu bewältigen.
Daran arbeiten wir mit aller Kraft und allem Optimismus, dass es gelingen kann.
Mit besten Grüßen
Team Annalena Baerbock