Ist das Parteiensystem in Deutschland zukunftsfähig? Welche Wege zu mehr direkter Demokratie und politischer Verantwortung unterstützen Sie?
Ist das Parteiensystem in Deutschland der Vielfalt der politischen Überzeugungen noch gewachsen? Angesichts von Überalterung. Lobbyismus und Fraktionsdisziplin überwiegen die tradierten, die von Interessengruppen bestimmten und vorab als Konsens festgelegten Meinungen die persönliche politische Überzeugung. Sehen Sie die Notwendigkeit eines Umbaus unseres demokratischen Systems? Wie gelangen wir wieder zu mehr persönlicher politischer Verantwortung?
Sehr geehrter Herr Scheeder,
vielen Dank für Ihre Nachricht. Wir stärken unser demokratisches Fundament und die Rechte der Bürger*innen. Denn nur so können wir gemeinschaftlich unsere Zukunft verhandeln und über die unser Leben betreffenden Belange entscheiden. Unser demokratisches Zusammenleben in Deutschland und Europa ist ein Versprechen, das wir immer wieder neu erfüllen müssen. Zuhören, den Dialog suchen, inhaltlich ringen – so haben wir als demokratische Gesellschaft die Herausforderungen der letzten Jahrzehnte gemeistert. Wir wollen mit voller Gleichberechtigung, Transparenz und mehr Beteiligung unsere liberale Demokratie stärken und unsere Institutionen fit machen für die Aufgaben dieses Jahrzehnts.
Zum einen: Demokratie lebt vom Vertrauen der Bürger*innen, jeder Anschein käuflicher Politik richtet Schaden an. Wir wollen das Vertrauen in demokratische Institutionen und Mandatsträger*innen stärken und das Primat der Politik gegenüber intransparenter Einflussnahme schützen. Wir sind überzeugt: Transparente und nachvollziehbare Politik stärkt das Gemeinwohl. Deshalb wollen wir Lobbyismus transparenter und den Einfluss organisierter Interessensgruppen und von Lobbyist*innen sichtbar machen. Sie alle bringen wichtige Erfahrungen aus ihrer Praxis in den Prozess der politischen Meinungsbildung ein, gleichwohl hat ihr Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse zugenommen. Besonders bei der Entstehung von Gesetzen findet Einflussnahme statt, u.a. auf der Ebene von Referent*Innen in den Ministerien. Die Cum-ex-Geschäfte, der Abgasskandal, die PKW-Maut und die Masken-Affäre haben zudem die zwingende Notwendigkeit von mehr Transparenz deutlich belegt. Das von der derzeitigen Koalition zuletzt verabschiedete Lobbyregister weist aber erhebliche Lücken auf. Denn eine größere Anzahl von Akteur*Innen wie Gewerkschaften, Kirchen und Arbeitgeber*Innenverbände wird überhaupt nicht erfasst. Auch fehlt ein legislativer Fußabdruck. Dieser ist aber notwendig, um sichtbar zu machen, wenn Gesetzentwürfe der Regierung von Lobbyist*innen beeinflusst werden. Dieser Fußabdruck ist ein notwendiger Kernbestandteil eines wirksamen Lobbyregisters, wenn der Gesetzgebungsprozess auch wirklich transparenter gestaltet werden soll. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass das Lobbyregister nachgeschärft wird. Zudem brauchen wir auch mehr Transparenz und strengere Regeln in der Parteienfinanzierung. Interessenskonflikte von Abgeordneten müssen verhindert werden und für die Tätigkeiten der Abgeordneten darf es keine Gegenleistungen von Dritten geben. Mehr dazu finden Sie auch auf der Seite der Bundestagsfraktion, u.a. mit unseren umfangreichen Vorschlägen für eine saubere Politik: https://www.gruene-bundestag.de/themen/innenpolitik/ein-wirksames-lobbyregister-einfuehren
Zum anderen wollen wir Bürger*innenräte einführen: Direkte Beteiligungsmöglichkeiten bereichern die Demokratie und stärken die Repräsentanz. Mit Bürger*innenräten schaffen wir die Möglichkeit, bei ausgewählten Themen die Alltagserfahrung von Bürger*innen in die Gesetzgebung einfließen zu lassen. Wir sorgen in einem ersten Schritt dafür, dass es eine gesetzliche Grundlage für Bürger*innenräte gibt und sich das Parlament mit den Ergebnissen beschäftigen muss. In der kommenden Wahlperiode wollen wir weitere Optionen für eine stärkere Institutionalisierung von Bürger*innenräten prüfen, unter anderem direktdemokratische Verfahren zu einzelnen Beratungsergebnissen. Auf Initiative der Regierung, des Parlaments oder eines Bürger*innenbegehrens beraten zufällig ausgewählte Menschen, die in Deutschland leben und mindestens 16 Jahre alt sein müssen, in einem festgelegten Zeitraum über eine konkrete Fragestellung. Sie erarbeiten Handlungsempfehlungen und geben Impulse für die öffentliche Auseinandersetzung und die parlamentarische Entscheidung. Eine freie, gleiche und faire Beratung muss sichergestellt werden, unter anderem durch zivilgesellschaftliche und wissenschaftliche Beratung. Außerdem wollen wir ein digitales Portal, wie es zum Beispiel in Baden-Württemberg schon erfolgreich angewendet wird, für die aktive Beteiligung an der Gesetzgebung einführen und das Petitionsrecht zu einem leicht zugänglichen Instrument für bessere Mitwirkung am demokratischen Prozess ausbauen. Wir wollen Beteiligung fördern und politische Bildung als wichtige Querschnittsaufgabe auch auf kommunaler Ebene voranbringen.
Weitere Forderungen finden Sie hier: https://www.gruene.de/themen/demokratie
Und unsere politischen Initiativen dazu finden Sie hier: https://www.gruene-bundestag.de/themen/demokratie
Mit freundlichen Grüßen
Team Annalena Baerbock