Beabsichtigen Sie das Transsexuellengesetz erneut anzugehen?
Sehr geehrte Frau Baerbock,
ich bin eine transsexuelle Frau aus Ihrem Wahlkreis und noch nicht entschlossen welcher Partei ich meine Stimme geben werde. Ich schwanke zwischen SPD, Die Linke und den Grünen. Meine Frage an Sie ist, ob Sie beabsichtigen uns Transmenschen das Leben zu erleichtern, indem Sie das Transsexuellengesetz aus den 80er Jahren überarbeiten oder besser noch komplett ersetzen. Für uns ist es unmenschlich schwer eine Namensänderung zu beantragen und ist oftmals nur mit gutem Willen eines/einer Beamten des Standesamtes möglich. Die Änderung des Personenstandes ist nur über große Hürden zu bewältigen und kostet vielen von uns so viel Kraft, dass sie nicht mehr in der Lage sind an einem normalen Leben teilzunehmen. Die Suizidrate bei Transmenschen liegt bei 50%, was durch dieses absolut veraltete Gesetz noch begünstigt wird.
Haben Sie die Motivation an diesem Gesetz etwas zu ändern?
Mit freundlichen Grüßen aus Steinfurt (NRW)
C. R.
Sehr geehrte Frau Rotterdam,
vielen Dank für Ihre Nachricht.
Für uns Grüne hat die Abschaffung des Transsexuellengesetzes (TSG) eine sehr hohe Priorität – und das schon sehr lange.
Denn wie Sie beschreiben, verletzt das TSG seit 40 Jahren das Recht auf Selbstbestimmung und somit die Würde von Trans*personen, die durch Zwangsbegutachtungen pathologisiert und bevormundet werden. So hat das Bundesverfassungsgericht bereits sechs Mal einzelne Vorschriften des TSG für verfassungswidrig erklärt.
Deswegen haben wir uns als erste Bundestagsfraktion bereits seit dem Jahr 2007 immer wieder intensiv mit dem TSG auseinandergesetzt, uns mit Fachverbänden beraten und Vorschläge zur Reformierung gemacht. Zuletzt haben wir am 19. Mai 2021 unser Selbstbestimmungsgesetz zur namentlichen Abstimmung gestellt. Hier können Sie die Plenarrede von Sven Lehmann, queerpolitischer Sprecher der Fraktion, nachhören: https://www.sven-lehmann.eu/reden/meine-rede-zur-situation-von-lsbti-in-deutschland/
Mit unserem Selbstbestimmungsgesetz wollen wir Trans*personen ermöglichen, den Geschlechtseintrag im Personenstand selbstbestimmt und hürdenlos berichtigen zu lassen, ohne sich jahrelang fremdbestimmten Begutachtungsprozessen auszusetzen - https://www.gruene-bundestag.de/themen/lesben-schwule/selbstbestimmung-fuer-alle
Daher sind wir sehr enttäuscht, dass der Bundestag am 19. Mai gegen unser Selbstbestimmungesetz gestimmt und beschlossen hat, am diskriminierenden TSG festzuhalten – obwohl sogar eine Reform im Koalitionsvertrag vereinbart war. SPD hat sich leider dem Koalitionszwang gebeugt.
Wir Grüne haben bei den wichtigsten queeren Themen in dieser Wahlperiode die Impulse gesetzt, nicht nur beim Selbstbestimmungsgesetz, sondern auch beim Aktionsplan für Vielfalt und gegen Homo- und Transphobie sowie beim Thema Abstammungsrecht und Regenbogenfamilien. Die Große Koalition war dagegen queerpolitisch ein Totalausfall. Das Einzige, was nach der Öffnung der Ehe passiert ist, wurde entweder von Gerichten erzwungen oder von Petitionen angestoßen.
Deswegen hoffen wir auf neue progressive Mehrheiten im neuen Bundestag mit starken Grünen, damit wir endlich längst überfällige Veränderungen sowohl in der Queer- als auch in der Sozial- und Klimapolitik umsetzen können.
Wir werden uns nach der Wahl weiterhin mit voller Kraft dafür einsetzen, das TSG abzuschaffen und durch ein Selbstbestimmungsgesetz zu ersetzen. Denn selbstbestimmt leben zu können, ist ein zentrales Bedürfnis für alle Menschen und seit jeher ein wichtiger Bestandteil des Grünen Selbstverständnisses.
Mit freundlichen Grüßen
Team Annalena Baerbock