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Annalena Baerbock
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Frage von Martin S. •

Frage an Annalena Baerbock von Martin S. bezüglich Energie

Wieso wird Atomkraft von Ihnen und Ihrer Partei als "unbeherrschbare Hochrisikotechnologie" bezeichnet, wenn die Zahlen zeigen, dass Atomkraft fast genau so wenige Tode verursacht wie Wind / Strom, selbst wenn man Vorfälle wie Tschernobyl und Fukushima mit einrechnet? Quelle: https://ourworldindata.org/safest-sources-of-energy
Im Kampf um das Klima ist ihre Partei doch die "Partei der Wissenschaft", aber wieso wird bei Atomkraft mit Emotionen und nicht mit Fakten argumentiert?

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr S.

vielen Dank für ihre Nachricht. Obwohl Tschernobyl und Fukushima nun schon einige Zeit zurückliegen, sollten die kaum zu beziffernden Folgen einer Reaktorkatastrophe nicht in Vergessenheit geraten. In Japan leiden Hunderttausende Menschen an den Folgen des GAUs. Hierbei geht es nicht nur um absolute Todeszahlen. Viele Menschen verloren ihre Heimat und wurden krank. Die WHO geht ganz klar von einer deutlichen Erhöhung der Fälle mancher Krebsarten aus, wie Leukämien und Brustkrebse insbesondere bei Kindern. Außerdem müssen sich 4.000 Arbeiter auf der Reaktoren-Baustelle täglich der gefährlichen Strahlung aussetzen.

Demnächst will die japanische Regierung mehr als eine Million Tonnen kontaminiertes Wasser aus dem zerstörten Atomkraftwerk in den Pazifik ablassen. Wie langlebig und weiträumig die Tschernobyl-Strahlenfolgen sind, zeigen die jährlichen Warnungen im Herbst. In einigen Regionen Süddeutschlands weisen Wildtiere und Pilze noch immer Strahlenbelastungen deutlich über dem Grenzwert auf – dreieinhalb Jahrzehnten und mehr als 1.200 Kilometer Entfernung zum Trotz.

Als im vergangenen Jahr wochenlang starke Waldbrände in der radioaktiv kontaminierten Tschernobyl-Sperrzone wüteten, konnte nur mit großer Mühe verhindert werden, dass die Flammen auf den Sarkophag des explodierten Atomkraftwerks übergriffen. Wäre das passiert, möchte man sich die Folgen lieber nicht ausmalen. Aber auch so litten etwa in der Millionenstadt Kiew die Bürgerinnen und Bürger unter hohen Cäsium-Werten.

In Fukushima sorgten kurz vor dem zehnten Jahrestag der Atomkatastrophe vom 11. März 2011 starke Erdbeben für neue Schäden an den Reaktorruinen. Nach Jahrzehnten der Atomkraftnutzung, nach Milliardensummen für die Atomforschung, nach verschärften Sicherheitskonzepten und verheerenden Kernschmelzen drängt sich die Erkenntnis auf: Wir können die unkontrollierbaren Gefahren der Atomenergie für Mensch und Natur nicht in den Griff bekommen. Schon im Dezember 2007 zeigten Ergebnisse einer Studie des Mainzer Kinderkrebsregisters: Je näher ein kleines Kind an einem Atomkraftwerk wohnt, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass es an Krebs erkrankt. Auch eine 2008 veröffentlichte Qualitätsprüfung der Studie kann den kausalen Zusammenhang zwischen der AKW-Strahlung und den Kinderkrebsfällen nicht ausschließen, er stellt im Gegenteil die bislang plausibelste Erklärung dar.

Wir Grüne im Bundestag stellen uns daher jedem Versuch einer Renaissance der Atomkraft entgegen und kämpfen für den europäischen und weltweiten Atomausstieg. Der deutsche Atomausstieg bis 2022 ist dabei nur ein erster Schritt. Wir wollen darüber hinaus grenznahe Pannen-Atomkraftwerke abschalten und die Urananreicherung sowie die Herstellung von Brennelementen in Deutschland beenden. Beim Endlagersuchverfahren müssen weiterhin Wissenschaft, Transparenz und Öffentlichkeitsbeteiligung im Vordergrund stehen. Es gilt, für unseren hochradioaktiven Müll den Standort mit der bestmöglichen Sicherheit für die kommenden eine Million Jahre zu finden. Wir kämpfen im Bundestag dafür, den Ausbau der erneuerbaren Energien anzukurbeln und die Hürden dafür abzubauen. Atomkraft hat nichts zu bieten, was Erneuerbare nicht billiger, schneller und besser können.

Mit freundlichen Grüßen
Team Annalena Baerbock

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