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Annalena Baerbock
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Frage von Sandra M. •

Frage an Annalena Baerbock von Sandra M. bezüglich Senioren

Herr Spahn plant ein Gesetz auf den Weg zu bringen, dass Senioren nur noch ca. EUR 700 als Selbstbeteiligung für einen Platz in einer Pflegeeinrichtung aufbringen sollen (derzeit liegt der Satz im Schnitt bei ca. 1900,-). Wie stehen Sie und die Grüne Partei zu diesem Gesetz, werden Sie diesen Vorschlag auch nach der Wahl weiterverfolgen und wie würden Sie es gegenfinanzieren? bzw. ist es überhaupt realistisch bzw. nur ein politisches Vorhaben, um Wählerstimmen aus der Gruppe der Senioren zu generieren?

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Antwort von
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Sehr geehrte Frau Marek,

vielen Dank für Ihre Nachricht. Mit dem Beschluss der Bundesregierung erhalten pflegebedürftige Menschen in stationären Pflegeeinrichtungen Pflegesachleistungen, die einem Geldwert je nach Pflegegrad entsprechen. Alles, was die Pflege darüber hinaus kostet, muss selbst bezahlt werden. Dieses Teilkostenprinzip hat zur Folge, dass jede Verbesserung, wie mehr Pflegepersonal oder eine angemessene tarifliche Bezahlung des Pflegepersonals, den Eigenanteil erhöht.

Im stationären Setting liegt dieser Eigenanteil an den Pflegekosten aktuell bei durchschnittlich etwa 896 Euro pro Monat - Tendenz steigend. Kosten für die Unterbringung und die Verpflegung tragen die pflegebedürftigen Menschen selbst - insgesamt rund 1.300 Euro monatlich zusätzlich. Pflegebedürftige, die diese Beträge nicht aufbringen können, erhalten „Hilfe zur Pflege“. Aktuell erhalten mehr als 30 Prozent der pflegebedürftigen Menschen in stationären Pflegeeinrichtungen diese Sozialhilfe. Die steigende Zahl pflegebedürftiger Menschen belastet die Kommunen in zunehmendem Maße.

Im ambulanten Setting entscheidet oftmals der Geldbeutel der Betroffenen und nicht der tatsächliche Pflegebedarf, welche Leistungen in Anspruch genommen werden. Nicht selten verzichten pflegebedürftige Menschen sogar auf eigentlich notwendige professionelle Pflege. So entsteht mitunter eine Situation der pflegerischen Unterversorgung.

Die demografische und gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland fordert uns heraus, dafür Sorge zu tragen, dass wir zukünftig dem Anspruch einer würdevollen Pflege gerecht werden können. Neben professioneller Pflegearbeit wird es dazu das Engagement vieler brauchen. Wir setzen deshalb auf ein koordiniertes Miteinander von privater und professioneller Pflege. Die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege muss verbessert werden, damit alle, die dies möchten, ihre Angehörigen versorgen können. Gleichzeitig gilt es, die Menschen, die nicht können oder möchten, durch eine professionelle Versorgungsstruktur zu entlasten, die sich stärker an den Bedürfnissen der Menschen orientiert.

Der Bundesgesundheitsminister hat am 4. Oktober 2020 in einem Interview mit der „BamS“ für Aufsehen gesorgt, in dem er ein Reformkonzept angekündigt hat. Am 4. November 2020 folgte ein Eckpunktepapier, im März 2021 zwei weitere Arbeitsentwürfe aus dem Gesundheitsministerium. Infolge eines medialen Schlagabtauschs mit dem Bundessozialminister, der am 01.05.2021 einen Entwurf für eine gesetzliche Regelung zur Tarifbezahlung in der Langzeitpflege veröffentlicht hat, ist der Bundesgesundheitsminister am 04.05.2021 in Form von Änderungsanträgen zum sogenannten Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) mit eigenen Vorschlägen zur Tarifbindung und einem Finanzierungsvorschlag öffentlich geworden.

Darin will Spahn die Pflege-Eigenanteile mit neu zu schaffenden Leistungszuschlägen deckeln - gestaffelt nach Dauer der Pflegebedürftigkeit. Anders als wir, wird er die Eigenanteile so weder signifikant senken noch dauerhaft deckeln. Das Problem: Die durchschnittliche Verweildauer von pflegebedürftigen Menschen in stationären Pflegeeinrichtungen liegt unter dem Zeitraum von vier Jahren, ab dem die volle Entlastungswirkung zum Tragen kommen soll, sodass viele pflegebedürftige Menschen nicht von einer Übernahme der Pflegekosten profitieren würden.

Hinzukommt, dass die überfällige Dynamisierung der Leistungspauschalen der Pflegeversicherung bis 2025 ausgesetzt werden soll. Diese Maßnahme hat den perfiden Nebeneffekt, dass die Leistungen der Pflegeversicherung in einer Phase gedeckelt werden, in denen erhebliche Kostensteigerungen zu erwarten sind - aufgrund der Einführung einer Personalbemessung und tariflicher Bezahlung für Pflegekräfte. Somit ist abzusehen, dass die pflegebedürftigen Menschen die Kosten für die Maßnahmen, die sie eigentlich entlasten sollen, selbst tragen werden.

Der Vorschlag des Bundesgesundheitsministers stößt auf heftigen Widerstand. Während viele Organisationen vorherige Initiativen immerhin begrüßt haben, ist das Feedback nun fast unisono vernichtend: Der Reformvorschlag verschiebt nicht nur die Lösung der Probleme der Pflegeversicherung auf die kommende Legislaturperiode, sondern verschärft sogar noch die Schieflage in einigen Bereichen.

Mit unserem Konzept der doppelten Pflegegarantie wollen wir die Eigenanteile sofort senken und dauerhaft deckeln. Das unvorhersehbare Risiko, pflegebedürftig zu werden, soll aus unserer Sicht nicht zu einem unkalkulierbaren Armutsrisiko ausufern. Wir wollen deshalb die Summe, die Pflegebedürftige selbst monatlich für die Pflege zahlen, künftig festschreiben. Alle weiteren Pflegekosten soll in Zukunft die Pflegeversicherung übernehmen. Mit der doppelten Pflegegarantie garantieren wir den pflegebedürftigen Menschen, dass sie zum einen die notwendige Pflege bezahlt bekommen und zum anderen die Pflege bekommen, die sie brauchen.

Was die jetzige Bundesregierung als Änderungsanträge zu einem Aller-Welt-Gesetz vorlegt, ist keine Pflegereform und lässt die Schuldenuhr bei den pflegebedürftigen Menschen immer schneller ticken. Vielmehr deutet alles darauf hin, dass die Bundesregierung nicht in der Lage ist, die Probleme in der Pflege zu lösen, sondern ihre Versäumnisse die künftige Bundesregierung vor eine horrende Herausforderung gleich zu Beginn der neuen Legislaturperiode stellen wird.

Wir wollen Eigenanteile sofort senken und dauerhaft deckeln und haben mit unserem Konzept der doppelten Pflegegarantie einen pragmatischen Lösungsvorschlag gemacht. Gleichzeitig machen wir uns dafür stark, dass die Länder ihrer Aufgabe der Investitionskostenförderung nachkommen können und die Kommunen endlich die Möglichkeit erhalten, die pflegerische Infrastruktur vor Ort zu stärken. Unser Ziel ist es, dass alle Menschen die Pflege bekommen, die sie brauchen. Es wird Zeit für eine Reform der Pflegefinanzierung und einer Pflegereform, die den Namen verdient.

Weitere Informationen finden Sie hier: https://www.gruene-bundestag.de/themen/pflege

Mit freundlichen Grüßen
Team Annalena Baerbock

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