Frage an Annalena Baerbock von Detlef E. bezüglich Migration und Aufenthaltsrecht
Frau Baerbock,
Angesichts der Bevölkerungsentwicklung in Afrika auf prognostizierte 2,5 Mrd bis 2050 ( Verdoppelung Stand heute ) wird sich der Migrationsdruck auf Europa drastisch erhöhen. Würden Sie dennoch Migration aktiv fördern,
wenn Sie in der Regierungsverantwortung stünden?
Sehr geehrter Herr Exner,
vielen Dank für ihre Nachricht. In Afrika wird nach aktuellen Prognosen die Bevölkerung stark wachsen. Die von Ihnen genannte Verdoppelung auf 2,5 Mrd. Menschen ist dabei eines der Szenarien. Das bedeutet aber nicht automatisch - bzw. das gilt es durch kluge Politik abzuwenden -, dass sich deshalb Menschen gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen und erst recht nicht, dass alle Betroffenen nach Europa kommen. Denn kaum jemand gibt sein Zuhause und damit Familie, Freunde und vertraute Umgebung einfach so auf. Im Gegenteil muss der Leidensdruck immens sein, das auf sich zu nehmen.
Grüne Politik forciert keine Zuwanderung “aus einer Laune heraus”, sie stellt sich aber den Realitäten. Dies bildet sich in zahlreichen Anträgen und Gesetzentwürfen auf Bundesebene ab (vgl. https://www.gruene-bundestag.de/themen/integration-fluechtlingspolitik/deutschland-braucht-ein-einwanderungsgesetz). Dabei unterscheiden wir klar zwischen Arbeitsmigration und Asylrecht bzw. Aufnahme aus humanitären Gründen. Die alternde Gesellschaft und der Fachkräftemangel in Deutschland lassen aus unserer Sicht aber keinen Zweifel mehr zu: Deutschland ist und wird langfristig auf Einwanderung angewiesen sein. Es ist nach unserer Überzeugung daher dringend notwendig, Einwanderungsmöglichkeiten für Arbeitskräfte so zu organisieren, dass eine ausreichende Anzahl von Personen ohne lange Wartezeiten und zudem geregelt einwandern kann. Die aktuellen Regelungen sind viel zu kompliziert, unübersichtlich und erschweren die Arbeitskräfte-Einwanderung. Das sind die grünen Vorschläge zur Fachkräfteeinwanderung: Die bestehenden Regelungen der Arbeitskräfteeinwanderung werden durch ein Einwanderungsgesetz liberalisiert, systematisiert und vereinfacht.
Bei Asylsuchenden geht es um unsere humanitäre Verpflichtung aus multilateralen Verträgen als auch um den Auftrag, den uns das Grundgesetz (insb. Art. 1 und 6) gibt. Für viele Menschen in Deutschland spielt auch ihre christliche Prägung eine große Rolle, Hilfe zu leisten. Wir stehen für eine Flüchtlingspolitik, bei der der einzelne Mensch zählt. Wir verteidigen das Grundrecht auf Asyl, setzten uns für faire, qualifizierte und effiziente Verfahren auf nationaler und europäischer Ebene (das beinhaltet auch eine faire Teilung der Aufgabe unter den Mitgliedsstaaten) sowie für eine nachhaltige Integrationspolitik ein.
Auf der anderen Seite wollen wir das Engagement Deutschlands, der EU und der weiteren Industriestaaten steigern, um Menschen das Schicksal der Flucht zu ersparen. Dazu gehört die klassische Entwicklungszusammenarbeit sowie der Kampf gegen den Klimawandel aber viel mehr noch auch die Veränderung globaler Strukturen. Eine faire Handels- und Steuer/Finanzpolitik steht dabei im Zentrum. So genannte Entwicklungsländer dürfen nicht unsere billigen Absatzmärkte sein, während wir uns abschotten. Diese Länder müssen eigene Wertschöpfungsketten aufbauen können und zu fairen Konditionen in den Weltmarkt integriert werden. Deshalb dürfen wir nicht ihre Rohstoffe und Arbeitskräfte ausbeuten. Wir in den reichen Staaten müssen ihnen auch einen fairen Anteil an Steuern überlassen und sie darin stärken, diese einzutreiben. Dazu gehört u.a. dass wir mit Autokraten nicht kooperieren und bspw. deren Anlagegelder in Europa “akzeptieren”. Große Konzerne, die auch in Entwicklungsländern Gewinne erwirtschaften, sollen auch dort Steuern abführen müssen. Wir setzen uns daher für den steuerpolitischen Grundsatz ein, der die Besteuerung der Wertschöpfung in dem Land verlangt, in dem sie entstanden ist. Steuersümpfe weltweit gehören ausgetrocknet.
Die Weltgemeinschaft ist mit Flucht und Vertreibung konfrontiert, meist wegen kriegerischer Auseinandersetzungen wie in Syrien oder jüngst in der Tigray-Provinz in Äthiopien, oder aufgrund von Naturkatastrophen und Klimawandel, die für Dürren oder Überschwemmungen und in der Folge Hunger und andere Krankheiten verantwortlich sind. Das kann man nicht wegdiskutieren. Die Industriestaaten haben daran einen gehörigen Anteil, bspw. durch Waffenlieferungen und die Verschärfung der Klimakrise. Daraus erwächst Verantwortung.
Der weit überwiegende Teil dieser geschundenen Menschen begibt sich dabei unter größten Gefahren in Nachbarregionen im eigenen Land oder maximal ins Nachbarland. Etwa 2/3 der knapp 71 Millionen Menschen auf der Flucht waren Ende 2019 “Binnenflüchtlinge” (https://www.unhcr.org/dach/de/ueber-uns/wem-wir-helfen/binnenvertriebene).
Die verschiedenen Säulen dieser Strategie stehen eng miteinander in Beziehung. Sie dienen so den Interessen Deutschlands als wichtiger Akteur auf diesem Globus nach unserer Auffassung am besten.
Mit freundlichen Grüßen
Team Annalena Baerbock