Frage an Annalena Baerbock von Ricarda B. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Guten Tag Frau Baerbock,
in Ihrem Parteiprogramm wollen Sie, dass es für die Hartz V Empfänger deutlicher wird, dass sich Arbeit lohnt.
Soll das nur die Kinder der Empfänger betreffen oder auch die Empfänger selbst? Denn wie soll sich jemand, der neben 600€ staatlicher Hilfe ohne Sanktionen noch zusätzlich Geld verdienen kann, merken, dass sich Arbeit lohnt? Und wie sollen sich die Leute, die 40 Stunden die Woche arbeiten, nicht benachteiligt fühlen?
Sehr geehrte Frau Bildstein,
vielen Dank für Ihre Nachricht. Unser Ziel ist, dass möglichst wenige Menschen auf Hartz IV angewiesen sind und ihren Lebensunterhalt eigenständig sichern können. Daher stehen wir für eine Politik, die Arbeitsplätze schafft und sichert, sowie faire Löhne garantiert. Deswegen braucht es neben einer Grundsicherungsreform weitere Reformen: Wir wollen den Mindestlohn so schnell wie möglich - auch unter Berücksichtigung der Auswirkungen der Corona-Pandemie - auf ein existenzsicherndes Niveau anheben, was derzeit ungefähr 12 Euro bei einem Vollzeitverdienst entspricht. Darüber hinaus müssen Tarifsysteme und Mitbestimmung gestärkt werden, denn das führt zu besseren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen.
Bei einem Mindestlohn von 12 Euro pro Stunde und Arbeit in Vollzeit käme bei derzeitiger Steuer- und Abgabenlast ein Nettoverdienst zustande, der deutlich über den Leistungen liegt, die wir mit der Grünen Garantiesicherung vorschlagen. Ein Gutachten im Auftrag der grünen Bundestagsfraktion kommt zu dem Ergebnis, dass die derzeitige Höhe der Regelsätze strukturell zu niedrig berechnet ist. Nicht einmal eine kostenminimale Ernährung nach den Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung ist finanzierbar, wie eine kürzlich veröffentlichte Studie des Paritätischen Gesamtverbandes gezeigt hat. Im Rahmen unseres Modells liegt der angestrebte Regelsatz für Erwachsene bei 603 Euro pro Monat inklusive Strom und weißer Ware – zusätzlich würden wie bisher bei Hartz IV angemessene Kosten der Unterkunft und Heizung übernommen.
Die Garantiesicherung stellt jedoch nicht nur das soziokulturelle Existenzminimum für Arbeitslose und Geringverdiener*innen sicher, sondern auch für Erwerbstätige. Unser Ziel ist es, Menschen mit kleinen bis hin zu mittleren Einkommen deutlich zu entlasten. Mit einer Anhebung der Regelsätze ist automatisch auch eine Anhebung des Grundfreibetrags in der Einkommensteuer – und damit mehr Netto vom Brutto - verbunden. Durch die Verringerung der Anrechnung von Einkommen auf die Garantiesicherung werden geringe bis hin zu mittleren Einkommen zusätzlich und zielgenau entlastet. Das ist auch dringend notwendig, denn die Steuer- und Abgabenlast von kleinen Einkommen ist in Deutschland höher als in den meisten anderen Ländern. Eine zielgenaue Entlastung von kleinen und mittleren Einkommen durch die Garantiesicherung ist der Gegenentwurf zu einer Verteilungspolitik, die durch eine Abflachung des Mittelstandsbauchs und die ersatzlose Abschaffung des Solidaritätszuschlags nur auf weitere Steuersenkungen für Besserverdienende zielt. Auch gesamtwirtschaftlich setzt eine Entlastung von Menschen mit geringen Einkommen gezielte und wichtige Impulse.
Jede*r vierte erwerbsfähige Leistungsberechtigte in Hartz IV ist erwerbstätig. Bei den derzeitigen Regeln der Einkommensanrechnung bleiben jenseits eines Freibetrags von 100 Euro maximal 20 Cent eines jeden verdienten Euros und bei steigendem Einkommen sogar noch weniger, weil dann 90 bis 100 Prozent des zusätzlichen Einkommens angerechnet werden. Das halten wir für ungerecht. Bei Teilzeiterwerbstätigkeit hat das zur Folge, dass eine Ausweitung der Arbeitszeit nicht zu höherem Einkommen führt. Das ist demotivierend und weit entfernt von einer gerechten und wertschätzenden monetären Anerkennung von Erwerbsarbeit. Deshalb führen die Regelungen zur Einkommensanrechnung in Hartz IV bei Vielen zu einer hohen Frustration. Unser Ziel ist es, die Anrechnung von Einkommen in der Garantiesicherung so auszugestalten, dass sichergestellt wird, dass (zusätzliche) Erwerbstätigkeit immer auch zu einem spürbar höheren Einkommen führt. Dadurch werden außerdem mehr als geringfügige Beschäftigungen finanziell attraktiver – denn Arbeit muss sich immer lohnen.
Mehr Informationen finden Sie in unserem Wahlprogrammentwurf: https://cms.gruene.de/uploads/documents/2021_Wahlprogrammentwurf.pdf
Mit freundlichen Grüßen
Team Annalena Baerbock