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Annalena Baerbock
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Jürgen K. •

Frage an Annalena Baerbock von Jürgen K. bezüglich Politisches Leben, Parteien

Sehr geehrte Frau Baerbock,

in Nürnberg ist es eigentlich schon schlimm genug, dass das städtische Rauchverbot auf Kinderspielplätzen nicht durchgesetzt wird.
Vermutlich in Folge der Diskussion zur Cannabislegalisierung werden auf den Spielplätzen nun aber auch noch vermehrt Joints geraucht. So dass Kinder und andere die das nicht wollen, als Passivraucher zum Drogenkonsum gezwungen werden. Derzeit ist aber auch so, dass die Polizei, wenn sie denn informiert wird, in diesen Fällen auch einschreitet. Es ist zu befürchten, dass nach einer Cannabislegalsierung die
Menschen schutzlos der Willkür von Cannabisrauchern ausgeliefert sind.
In https://www.gruene-bundestag.de/themen/drogen-sucht/regulierte-und-kontrollierte-abgabe-von-cannabis wird der Nichtraucherschutz mit keinem Wort erwähnt.

Gehen Sie davon aus, dass jeder Mensch der die Grünnen wählt, z.B. weil er wirksamen Klimaschutz will, auch eine Cannabisfreigabe ohne Rücksicht auf Nichtraucherschutz will?

Ganz offensichtlich hat die Repräsentative Demokratie die Schwäche, dass sich Wähler für eine Partei entscheiden müssen, deren
Wahlprogramm sie teilweise ablehnen. Es ist sogar denkbar, dass in Koalitionsverhandlungen beschlossen wird, was nur wenige hundert Menschen wollen: Wirksame Korruptionsprävention (siehe https://www.spiegel.de/politik/deutschland/grosse-koalition-cdu-csu-und-spd-streichen-lobby-register-aus-koalitionsvertrag-a-1192680.html). Bei Volksentscheiden gibt es diesen Schwachpunkt nicht.

Warum setzen sich die Grünen nicht mehr für mehr Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie ein, sondern gestatten bestenfalls ausgelosten Bürgerräten als Berater tätig zu sein?

Mit freundlichen Grüßen
J. K.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Kosel,

vielen Dank für Ihre Nachricht. Wir Grüne setzen uns für einen umfassenden Nichtraucherschutz ein - das gilt natürlich auch für Cannabis. Das Cannabiskontrollgesetz hat zum Ziel, den Gesundheits- und Jugendschutz zu stärken. Erst wenn es eine kontrollierte Abgabe gibt, können auch Regulierungen zum Jugend- und Verbraucherschutz sowie zum Passivkonsum greifen. Auf dem Schwarzmarkt unter den aktuellen Bedingungen der Prohibition gibt es solche Regeln nicht. Im grünen Entwurf für ein Cannabiskontrollgesetz fordern wir deswegen auch: "Wird Cannabis in Reinform oder in einer Mischung mit Tabak oder als Bestandteil von Tabakprodukten geraucht, gelten die Bestimmungen des Bundesnichtraucherschutzgesetzes."

Die Verantwortung für den Nichtraucherschutz liegt aber vor allem bei den Bundesländern. Wir begrüßen zudem kommunale Rauchverbote auf Spielplätzen. Die kommunalen Ordnungsämter sind angehalten, den Nichtraucherschutz auf Spielplätzen und anderen öffentlichen Orten durchzusetzen. Passivrauchen stellt eine ernstzunehmende Gesundheitsgefahr dar, insbesondere für Kinder und Jugendliche und am Arbeitsplatz. Arbeitgeber*innen sollten ein Arbeitsumfeld schaffen, in dem die Arbeitnehmer*innen vor Passivrauchen geschützt sind. Deutschland kann bspw. von Schweden lernen, wie der Schutz vor dem Passivrauchen verbessert werden kann. Über 10 Prozent der Nichtrauchenden sind in Deutschland regelmäßig Passivrauchbelastung ausgesetzt, besonders betroffen sind junge Menschen. Klar ist aber, dass Nikotinsucht eine schwere Abhängigkeit ist. Die meisten Raucher*innen können nicht einfach so aufhören. Als Grüne im Bundestag haben wir deswegen im Zuge der Corona-Gesetze einen Gesetzentwurf eingebracht, um die Rauchentwöhnung als Kassenleistung zu ermöglichen. Raucher*innen gehören zur Risikogruppe für schwere Covid-19-Verläufe. Wer die Coronapandemie zum Anlass nimmt, mit dem Rauchen aufzuhören, sollte dafür auch medizinische Hilfe erstattet bekommen. Das jüngst beschlossene Tabakwerbeverbot, für das wir lange Zeit gekämpft haben, ist zudem ein wichtiger Schritt zur Prävention, damit Kinder und Jugendliche gar nicht erst mit dem Rauchen anfangen.

Zum Thema parlamentarischer Lobbyismus: Das Lobbyregister der Koalition ist eine verpasste Chance für mehr Transparenz. Zu viele Ausnahmen, zu wenig Transparenz über die Entstehung von Gesetzen, zu wenig finanzielle Transparenz. Der Austausch von Politik und Interessenvertreter*innen ist wichtig für eine funktionierende Demokratie. Die Debatte wie auch das Gehörtwerden der vielen Stimmen aus der Gesellschaft sind Teil der Demokratie. Lobbyistinnen und Lobbyisten bringen wichtige Erfahrungen aus ihrer Praxis in den Prozess der politischen Meinungsbildung ein, gleichwohl hat ihr Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse zugenommen. Besonders bei der Entstehung von Gesetzen findet Einflussnahme statt, auf der Ebene von Referent*Innen in den Ministerien.

Nicht erst seit der Maskenaffäre setzen wir uns auch für mehr Transparenz und strengere Regeln in der Parteienfinanzierung und bei den Abgeordneten ein. Interessenskonflikte müssen verhindert werden und für die Tätigkeiten der Abgeordneten darf es keine Gegenleistungen von Dritten geben. Wir fordern deshalb Veröffentlichung von Nebenverdiensten auf Euro und Cent, das Verbot der entgeltlichen Lobbytätigkeit für Abgeordnete und striktere Veröffentlichungspflichten für Unternehmensanteile in. Auch in der Parteienfinanzierung ist mehr Transparenz notwendig, deshalb setzen wir uns für eine Deckelung der Spendenmöglichkeit ein und einer Regelung des Parteiensponsorings. Unseren Antrag finden Sie hier: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/278/1927872.pdf

Zum Thema Demokratie: Wir Grünen fordern seit vielen Jahren Instrumente der direkteren Beteiligung und Mitbestimmung der Bürger*innen. Denn die Essenz unserer Demokratie ist, dass Perspektiven aktiv eingebracht werden können. Eine vielfältige Demokratie braucht Einmischung, Repräsentanz, Lust zur Auseinandersetzung und Kompromissfähigkeit. Wir wollen, dass unsere Bevölkerung die Möglichkeit bekommt, die politische Agenda stärker selbst zu gestalten. Dieses Grundprinzip grüner Politik spiegelt sich auch in unserem neuen Grundsatzprogramm in Form der Bürger*innen-Räte wieder. Mit diesen soll die Möglichkeit geschaffen werden, bei ausgewählten Themen die Alltagsexpertise von zufällig ausgewählten Bürger*innen noch direkter in die Gesetzgebung einfließen zu lassen. Bürger*innen-Räte können nach unserer Vorstellung auf Initiative der Regierung, des Parlaments oder als Bürgerbegehren, also von unten aus der Bevölkerung heraus zu einer konkreten Fragestellung eingesetzt werden. Das soll auch auf Bundesebene möglich sein.

Wir halten diese Form der direkten Beteiligung am politischen Aushandlungsprozess in Zeiten starker Polarisierung und gesellschaftlicher Pluralisierung für ein passendes Instrument, um unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen wieder miteinander ins direkte Gespräch zu bringen. Denn nur so kann eine gemeinsame Idee für die Zukunft dieses Landes entwickelt werden, nur im Austausch von Argumenten und Perspektiven kann in einer zersplitterten Gesellschaft Zusammenhalt gesichert werden. Umso mehr gilt das in einer Situation, in der wir sehen, dass Institutionen verknöchern und dass das Pflegen von Privilegien und soziale Selektivität leider zur Zustandsbeschreibung unserer Demokratie gehört.

Um Bürger*innenräte auch auf Bundesebene einzuführen und gesetzlich zu verankern, haben wir Grünen als erste Fraktion im Bundestag einen Antrag eingebracht, der dafür konkrete Verfahren und Strukturen in einem "Beteiligungsgesetz" vorschlägt. Sie finden diesen Antrag hier: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/278/1927879.pdf

Mit freundlichen Grüßen
Team Annalena Baerbock

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