Frage an Annalena Baerbock von Peter M. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Frau Baerbock !
Ich sehe in der gesetzesvorlage Corona imInfektionsschutzgesetz zu verankern eine weitere für mich nicht hinzunehmende Generalklausel, die es in juristisch nicht definierter Weise versucht, bestehende Grundrechte noch weiter einzuschränken und den Parlamentsvorbehalt zu umgehen.
Wie stehen Sie dazu?
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr Maierhöfer,
vielen Dank für Ihre Nachricht. Deutschland befindet sich mitten in einer Pandemie. Deshalb haben Bund und Länder weitreichende Maßnahmen ergriffen, um Leben und Gesundheit aller zu schützen. Dafür ist eine ausreichende, vom Parlament beschlossene Rechtsgrundlage erforderlich. Diese wurde nun im Bundestag mit dem 3. Bevölkerungsschutzgesetz geschaffen. Das Parlament setzt damit einen Rahmen für das Handeln der Regierungen und hegt zugleich das Regierungshandeln ein. Im Vorfeld dieses Beschlusses gab es heftige Auseinandersetzungen und es kursierten verschiedene Meinungen über Inhalt und Ziel des Gesetzes. Mit der Gesetzesänderung entstehen, entgegen vieler Befürchtungen, keine neuen Pflichten zum Tragen von Masken, Abstandsgebote, Ausgangsbeschränkungen oder ähnliches. Es wird vielmehr endlich eine verfassungsmäßig erforderliche Rechtsgrundlage geschaffen.
Es geht weder um ein Ermächtigungsgesetz, noch um die Abschaffung der Demokratie, sondern darum, den Anforderungen des Artikels 80 GG an eine gesetzliche Verordnungsermächtigung nachzukommen. Und so entspricht es der Gewaltenteilung: Das Parlament, also die Legislative, entscheidet die wesentlichen Dinge selbst und ermächtigt die Exekutive, die Details in einer Verordnung zu regeln. Der bisherige § 28 InfSG war kurz und knapp und bei seiner Entstehung für lokale Ereignisse gedacht, aber nicht für umfassende Maßnahmen, wie sie in einer Pandemie notwendig sein können. Mit der Anpassung werden den Landesregierungen jetzt endlich Leitplanken gesetzt, der Inzidenzwert zur Richtschnur für die Bewertung von Risiken vorgegeben und besonders grundrechtsrelevante Bereiche wie Pflegeeinrichtungen, Kunst und Kultur und das Versammlungsrecht dürfen nur noch unter strengen Voraussetzungen eingeschränkt werden. Die Verordnungen sind künftig von Gesetzes wegen zu begründen und zu befristen. All dies hätte die Bundesregierung im Sommer längst auf den Weg bringen können. Dann wäre auch Zeit gewesen für die notwendige Kommunikation, um gezielten Desinformationskampagnen begegnen zu können. Die große Verunsicherung in der Bevölkerung hat die Bundesregierung selbst zu verantworten.
Wir Grüne haben lange dafür gekämpft, dass der Bundestag darüber entscheidet, welche Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie erlassen werden dürfen und unter welchen Voraussetzungen. Auch die Umsetzung der Corona-Bekämpfung in den Verordnungen der Bundesländer braucht eine klarere parlamentarische Grundlage. Das hat erst kürzlich eine Reihe von Gerichten geurteilt. Deshalb haben wir als grüne Bundestagsfraktion einen eigenen Änderungsantrag zum Gesetzentwurf (https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/243/1924380.pdf) vorgelegt und mit Erfolg gegenüber den Koalitionsfraktionen darauf gedrungen, den ursprünglichen Entwurf an entscheidenden Stellen zu reparieren. Wir haben einiges erreicht. Zukünftig müssen Rechtsverordnungen auf vier Wochen befristet und klar begründet werden. Das stärkt die rechtliche Grundlage der Pandemiebekämpfung und bindet diese an das Parlament. Zudem wird der Zweck von Maßnahmen, der Schutz von Leben und Gesundheit sowie der die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems, konkretisiert. Dem verfassungsrechtlichen Rang von Kunst und Kultur wird besondere Rechnung getragen und Besuchsbeschränkungen in Alten- und Pflegeheimen sowie Krankenhäuser dürfen nicht zur Isolation von Menschen führen. Kontaktdaten zur Pandemiebekämpfung dürfen nur für eben diese eingesetzt werden und müssen nach vier Wochen gelöscht werden.
Wir werden weiter dafür streiten, dass die Belange von Kindern stärker zu berücksichtigen sind. Ihnen soll auch in Hotspots mit vielen Infizierten ein Mindestmaß an Kontakten mit anderen Kindern ermöglicht und eine Betreuung in Kita oder Schule garantiert werden, auch wenn diese für den Regelbetrieb geschlossen werden müssen. Aus unserer Sicht muss zudem ein Mindestmaß an sozialen Kontakten auch außerhalb von Heimen und Krankenhäusern gewährleistet sein. Menschen dürfen nicht vollständig isoliert werden - und bei Kontakt- und Reisebeschränkungen muss der Schutz von Ehe, Partnerschaft und Familie beachtet werden.
Zur Fragen von Rechtsstaat und Demokratie in der Corona-Pandemie hatten wir im Vorfeld einen Antrag eingebracht: https://dserver.bundestag.de/btd/19/239/1923980.pdf
Wir fordern zudem die Einsetzung eines interdisziplinär besetzten wissenschaftlichen Pandemierates, der mit seinen Empfehlungen eine Strategie für die kommenden Monate entwickeln hilft. (https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/205/1920565.pdf) Er soll sich mit Kriterien zur Messung des Infektionsgeschehens beschäftigen und zu Fragen der Entschädigung bei Corona-bedingten Ausfällen Stellung beziehen.
Das Gesetzgebungsverfahren zum Bevölkerungsschutzgesetz wurde von den Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD mit großer Eile in einer kritischen Phase der Pandemie angeschoben. Das haben wir Grüne kritisiert und seit langem gefordert, dass die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vom Parlament beschlossen werden müssen. Die Regierungskoalition war leider zu einem früheren Zeitpunkt nicht bereit dazu.
Nach langen und intensiven Debatten in der Fraktion haben wir dem Gesetzentwurf zugestimmt, um die notwendigen Maßnahmen auf eine sichere Rechtsgrundlage zu stellen. Wenn jetzt in der zweiten Welle, bei sich füllenden Intensivstationen, die Schutzmaßnahmen von Gerichten aufgehoben werden müssten, käme das einem Staatsversagen beim Gesundheitsschutz gleich.
Mit freundlichen Grüßen
Team Annalena Baerbock