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Annalena Baerbock
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Frage von Doris J. •

Frage an Annalena Baerbock von Doris J. bezüglich Recht

Sehr geehrte Frau Baerbock
am 11.05.2020 findet die 1. Anhörung zum Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD „zum Bevölkerungsschutz bei einer epidemischen Lage im Bundestag“ statt.
Nach der Lesung ist die Abstimmung im Bundestag für den 14. Mai und die Vorlage zur Wirksamkeit beim Bundesrat am Folgetag geplant. Bereits Mitte Juni soll das Gesetz rechtskräftig werden

Am 30.04.2020 hat sich der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit in einer an den Bundestag gerichteten Stellungnahme zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite geäußert
Einige Auszüge daraus …
„Grundsätzlich ist festzustellen, dass bezüglich der aktuellen SARS-CoV-2-Pandemie fehlende belastbare wissenschaftliche Erkenntnisse zu Infektionsweg und –gefahr, Erkrankungswahrscheinlichkeit und Wiederansteckungsgefahr, zielführender medikamentöser Behandlung sowie (möglicherweise unter Umständen) mangelnde Behandlungskapazitäten nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in der Regierung große Unsicherheit auslösen. Dieser Unsicherheit soll nun offenbar mit umfassender Erhebung personenbezogener Gesundheitsdaten begegnet werden. Das hierbei nötige Augenmaß lässt der Gesetzentwurf leider vermissen“.
„Aufgrund der aktuellen Lage der Verunsicherung muss ich befürchten, dass eine solche Dokumentation zu einer missbräuchlichen Verwendung verleiten könnte. Ich weise daher mit Nachdruck darauf hin, dass es sich bei diesen Informationen um Gesundheitsdaten handelt, deren Verarbeitung nach Artikel 9 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) grundsätzlich untersagt und nur unter den in Artikel 9 Absatz 2 DSGVO genannten Voraussetzungen ausnahmsweise zulässig ist“.

Wie stehen Sie zu den Bedenken, die der Bundesbeauftragte für Datenschutz und die Informationsfreiheit schon am 30.04.2020 geäußert hat?
Wodurch sehen Sie sich legitimiert, Gesetze von einer solchen Tragweite während der sogenannten Corona Krise zu ändern?
Wie werden Sie abstimmen?
Für Ihr politisches „Tun und Lassen“ in der Corona Krise werden Sie Rechenschaft ablegen und Verantwortung (politisch, finanziell und juristisch) übernehmen müssen.
Wie darf sich der/die Wähler:in diese konkret vorstellen?

Herzlichen Dank für Ihre aufrichtige Antwort
Doris Jauch-Keil

https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020#url=L2Rva3VtZW50ZS90ZXh0YXJjaGl2LzIwMjAva3cyMC1wYS1nZXN1bmRoZWl0LWJldm

https://www.bfdi.bund.de/DE/Infothek/Transparenz/Stellungnahmen/2020/StgN_zweites-Gesetz-Schutz-bei-epidemischer-Lage.pdf;jsessionid=6C8DB70E1C1DF25D8E7AC85727FE0152.2_cid319?__blob=publicationFile&v=2

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Jauch-Keil,

vielen Dank für Ihre Nachricht. Das Infektionsschutzgesetz steht seit einigen Wochen im Mittelpunkt der Corona-Bewältigungsansätze der Großen Koalition. Vor allem der ursprünglich geplante Immunitätsausweis sorgte für viele Diskussionen. Der Gesundheitsminister wäre aus unserer Sicht gut beraten, sich beim Thema Immunitätsausweis zurückzuhalten. Die Verunsicherung in der Bevölkerung ist nach wie vor groß - nicht zuletzt hat diese Debatte dazu beigetragen, dass Verschwörungstheorien sich in Windeseile verbreiten konnten. Hier wird eine Pseudodebatte geführt, solange die Rahmenbedingungen überhaupt nicht gegeben sind. Derzeit gibt es weder umfassende Studien zu einer Immunität bei COVID-19, noch gibt es taugliche Antikörpertests. All diese Fragen sind zu klären und die Stellungnahme des Ethikrates zu etwaigen gesellschaftlichen Auswirkungen muss abgewartet werden.

Eine Reihe der zuletzt im „Zweiten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ vorgeschlagenen Maßnahmen schießen aus unserer Sicht über das Ziel hinaus. Wir haben uns vergeblich um eine Hinzuziehung des Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (BfDI) zu den Ausschussanhörungen bemüht. Wir teilen seine Kritik an den gesetzlichen Regelungen, die letztlich unverhältnismäßig zur Weitergabe von besonders schützenswerten Gesundheitsdaten an die Gesundheitsbehörden führen, soweit es sich um Nichtinfizierte handelt: https://www.bfdi.bund.de/DE/Infothek/Transparenz/Stellungnahmen/2020/StgN_zweites-Gesetz-Schutz-bei-epidemischer-Lage.pdf?__blob=publicationFile&v=2.

Der von uns zur Anhörung benannte Sachverständige Prof. Kingreen hat im Schwerpunkt die Aushebelung der Mitwirkung des Bundestages durch die neugeschaffene Verordnungskompetenz der Bundesregierung aufgegriffen und kritisiert:
https://www.bundestag.de/resource/blob/694844/0b2af0e61b45ddbfe1311c78557720ee/19_14_0160-27-_ESV-Prof-Dr-Kingreen_2-Bevoelk-schutzg--data.pdf

Wir haben entsprechende Anträge vorgelegt. Hier finden Sie eine Übersicht:
https://dbtg.tv/fvid/7444274. Unseren Antrag zur Beteiligung von Bundestag und Bundesrat haben wir zur namentlichen Abstimmung gestellt (http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/192/1919221.pdf). Er wurde leider abgelehnt.

Gern möchte ich Sie noch auf unseren Entschließungsantrag zum Zweiten Bevölkerungsschutzgesetz hinweisen: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/192/1919224.pdf

Im Ergebnis haben wir Grüne deshalb auch dem Gesetzentwurf der Bundesregierung insgesamt unsere Zustimmung verweigert und uns enthalten.

Mit freundlichen Grüßen
Team Annalena Baerbock

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