Frage an Annalena Baerbock von Omar A. bezüglich Umwelt
Wie wollen wir die aktuelle Corona-Situation ausnutzen, um den Klimawandel anschließend zu bekämpfen ?
Und ich meine nicht zwei Krisen miteinander auszuspielen, sondern nach diesem ,,Shut-down“ in der Wirtschaft.
Wie will man die Wirtschaft nach der Corona-Krise Klima- und umweltfreundlich aufbauen?
Sehr geehrter Herr Abed,
vielen Dank für Ihre Frage, die wir Ihnen gerne beantworten.
Die Welt steht vor einer tiefgreifenden Rezession. Der internationale Währungsfonds prognostiziert, dass Corona zur schlimmsten Wirtschaftskrise seit der großen Depression der 1930er Jahre führen wird. Das ist eine tiefgreifende
wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Herausforderung, der wir uns in Europa gemeinsam und mit aller Kraft stellen müssen. Bei den nationalen Maßnahmen zur Bekämpfung der ökonomischen Folgen der Coronakrise muss ein weiteres soziales und wirtschaftliches Auseinanderklaffen zwischen den Mitgliedsstaaten unbedingt verhindert werden. Die Konjunkturprogramme müssen deshalb europäisch gedacht bzw. in Europa aufeinander abgestimmt sein, beispielsweise verknüpft über den Green Deal, damit sich alle Länder im europäischen Binnenmarkt entwickeln können. Niemand wird es alleine schaffen.
Für dieses historische Moment gibt es keine Blaupause. Die wirtschaftlichen Auswirkungen treffen fast alle Lebensbereiche und Branchen, aber sie treffen diese sehr unterschiedlich. Manche Unternehmen können dank Homeoffice nahezu weiter machen wie vor der Krise, haben aber weniger Aufträge. Einige verbleiben vielleicht noch monatelang im Shutdown und sehen kaum noch eine Perspektive. Andere können mit deutlichen Beschränkungen langsam wieder aufmachen, aber ihre Lieferketten funktionieren nicht. Dazu kommt, dass wir mit den wirtschaftspolitischen Maßnahmen nicht die gesundheitspolitischen konterkarieren dürfen.
Anders als nach der Finanzkrise werden wir uns in Deutschland dieses Mal nicht einfach aus der Rezession herausexportieren können. Die Nachfrage ist global eingebrochen. Und wir müssen eine Antwort darauf finden, dass sich alte soziale Schieflagen durch Corona verschärfen und neue auftun.
Bei all dem ist es die zweite große Aufgabe unserer Zeit, die Klimakrise zu bewältigen. Wir erleben nach zwei Hitzesommern schon die nächste Dürre. Knochentrockene Äcker, Waldbrände im April, das ist auch die Realität in unserem Land. Und gegen die Klimakrise wird es keinen Impfstoff geben. Nicht in diesem Jahr und auch in keinem anderen. Wir werden als Weltgemeinschaft scheitern, wenn die jetzt geplanten Maßnahmen die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen noch beschleunigen.
Es ist daher entscheidend, jetzt die Weichen richtig zu stellen. Ohne Frage ist die Rezession mit voller Kraft zu bekämpfen, Jobs und Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Tun wir das aber mit einer alten Politik und alten Mitteln,
produzieren wir neue Unsicherheit und steuern auf gigantische soziale und wirtschaftliche Schäden zu. Unser Handlungsrahmen müssen der Pariser Klimavertrag und die globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung sein.
Vor der Pandemie hatte ein breites Bündnis aus Unternehmen, Klimabewegung, Gewerkschaften, Forscher*innen und Wissenschaftler*innen die Chancen erkannt, die in einem Aufbruch liegen, der Klimaschutz, ökonomische Dynamik und sozialen Ausgleich zusammenbringt. Das Leitbild unseres Handelns ist klar: Wir brauchen
eine konsequente Transformation nach den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft hin zu nachhaltigen Materialien, Ressourcen- und Energieeffizienz.
Kreislaufwirtschaft fördert Innovation und sichert Zukunftsfähigkeit und Chancen auf allen Märkten. Wir haben eine doppelte Aufgabe und doppelte Chance: die durch Corona bedingte Wirtschaftskrise und die Klimakrise zusammen anzugehen. Herzstück des Auswegs aus der Krise muss der Europäische Green Deal sein. Ersten Versuchen, diesen unter dem Deckmantel der Corona-Pandemie aufzuweichen oder in Teilen zu verschieben, stellen wir uns entschieden entgegen. Der Green Deal muss zum Pakt für die ökologisch-soziale Transformation der Wirtschaft werden.
Es wird massive Anstrengungen und beispiellose Programme brauchen, um diese Herausforderungen zu lösen. Jetzt ist die Zeit großer und kreativer Antworten und entschlossenen Handelns. Wir müssen auf der einen Seite kurzfristig
stimulieren und stabilisieren und zudem den Kurs in Richtung Klimaneutralität und Zukunftsfähigkeit setzen. Dabei ist völlig klar: Ein solches Konjunkturprogramm ist auch innerhalb von vielen Jahren so nur ein Mal leistbar.
Umso entschiedener und vorausschauender muss jetzt der richtige Weg zum Wiederaufbau eingeschlagen werden.
Es braucht Direkthilfen für die Branchen, die im Shutdown stillstehen müssen, und Konjunkturstimuli für die, die langsam wieder anlaufen.
Dabei ist klar, dass aus Steuermitteln finanzierte Wirtschaftshilfen in der Rezession an Vorgaben gekoppelt werden müssen: Wenn Aktienkonzerne Dividenden oder den Manager*innen Boni auszahlen, können sie keine Hilfe vom Staat erwarten. Unternehmen, die in der Krise mit staatlichen Geldern unterstützt wurden und in Zukunft wieder Dividenden auszahlen wollen, müssen diese Hilfen an den Staat zurückzahlen. Unternehmen, die Staatshilfe beantragen, sollten zunächst offenlegen müssen, in welchem Land sie welchen Gewinn machen und wie viele Steuern sie zahlen. Öffentliche Gelder dürfen unter keinen Umständen dazu beitragen, dass bestehende Steuerschlupflöcher gar geweitet werden. Staatliche Beteiligungen an Unternehmen sind an die Bedingung von ökologischen und sozialen Kriterien für die jeweiligen Branchen gebunden. Wenn der Staat sich mit Steuergeldern an Unternehmen beteiligt, muss er auch Mitspracherechte haben und Einfluss auf die Unternehmensstrategie nehmen können, wie private Investoren auch.
Für dieses Jahr sollte ein deutsches Konjunktur-Sofortprogramm von etwa 100 Milliarden Euro vorbereitet werden, das dann schnell greifen kann, wenn die medizinische Lage ein stärkeres Wiederanfahren des ökonomischen Lebens erlaubt. Stimulieren wir dann schnell die Konjunktur, verhindern wir, dass Millionen Menschen in unserem Land durch die Folgen von Corona in Existenznöte geraten, Pleitewellen unsere Innenstädte veröden lassen, dass das, was uns lieb und teuer ist, Kultur, Reisen, dauerhaften Schaden nimmt. Es braucht dabei Unterstützung gerade für die Schwächsten. Die Maßnahmen sind auf die Dauer der Krisenbewältigung zu befristen und immer wieder zu überprüfen.
Mit freundlichen Grüßen
Annalena Baerbock