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Annalena Baerbock
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Frage von Alexander H. •

Frage an Annalena Baerbock von Alexander H. bezüglich Europapolitik und Europäische Union

Sehr geehrte Frau Baerbock,

ich habe in letzter Zeit mit großer Verwunderung die Haltung Ihrer Partei zur Frage der Angemessenheit von sog. "Coronabonds" verfolgt. Laut einer Studie der Credit Suisse aus dem Jahr 2019, welche als Grundlage für diesen Wiki-Artikel(https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_L%C3%A4nder_nach_Verm%C3%B6gen_pro_Kopf) diente, ist sowohl das Durchschnittsvermögen(arithmetisches Mittel) als auch das Medianvermögen eines Italieners höher als das eines Deutschen. Bei letzterem ist der Unterschied sogar enorm: Medianvermögen DE: 35313
Medianvermögen Italien: 91889
Daher stellt sich mir vor dem Hintergrund dieser Zahlen schon die Frage, warum Sie und Ihre Partei so tun, als ob Deutschland moralisch dazu verpflichtet wäre, Transferleistungen in Form von Coronabonds(faktisch nichts anderes als eurobonds) an Italien zu leisten. Mir erschließt sich diese Logik jedenfalls überhaupt nicht, mehr noch: Sollte nicht die italienische Regierung zunächst das Vermögen ihrer eigenen Bevölkerung zum Zweck der Bewältigung der Krise wegbesteuern, bevor ein Land wie Deutschland, dessen Bürger weit weniger wohlhabend sind, um solidarische Finanzhilfe gebeten wird?
Jedenfalls entsprechen Coronabonds vor diesem Hintergrund nicht meinem Verständnis von Solidarität, viel mehr sind sie ein Ausdruck von Ungerechtigkeit gegenüber der deutschen Bevölkerung, insbesondere gegenüber den deutschen Steuerzahlern.
Ich hoffe auf eine Antwort ihrerseits.

Mit freundlichen Grüßen

Alexander Härtig, Noch-Grünen-Wähler

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Härtig,

vielen Dank für Ihre Nachricht. Wir Grüne sind aus verschiedenen Gründen überzeugt, dass der von Merkel und Macron gemachte Vorschlag eines EU-Wiederaufbaufonds deutlich geeigneter ist, als das Konzept der „sparsamen 4“. Schon allein deshalb, weil wir – genau wie Sie – Sorge vor einem Auseinanderbrechen der EU haben. Italien und Spanien als besonders stark von Covid-19 betroffene Länder helfen Kredite deshalb nicht, weil diese Länder kein Marktzugangsproblem haben, sondern ein Schuldenstandsproblem. Und Kredite würden diesen Schuldenstand noch erhöhen. Sehr viel besser wäre es deshalb, die direkten Ausgaben der EU in den betroffenen Ländern zu erhöhen, da dies mit einer engen Haushaltskontrolle einhergeht und diese Mittel außerdem in den entsprechenden EU-Rechtsakten zweckgebunden werden und so nur im Einklang mit EU-Zielen wie bspw. dem Green Deal verausgabt werden können. Das Instrument dafür ist der Wiederaufbaufonds, den Merkel und Macron fordern. Bleiben öffentliche Aushaben in bspw. Spanien und Italien aus, drohen dort eine Pleitewelle und Massenarbeitslosigkeit und daraus resultierend ein starkes Auseinanderklaffen der Wirtschaftsentwicklung in der EU. Eine Wiederankurbelung der deutschen Wirtschaft wäre dann nur schwer denkbar. Das kann außerdem nicht im Interesse einer*s jeden sein, der*dem die Europäische Idee am Herzen liegt.

Diesen Fonds über eine Repriorisierung des bestehenden EU-Haushalts oder über eine Erhöhung der Beitragszahlungen für die weniger von Covid-19 betroffenen Mitgliedsstaaten zu finanzieren, würde wieder vor allem die traditionell großen Nettozahler treffen und wäre nicht zu vermitteln. Außerdem hat keines der vier Länder gesagt, wo genau gekürzt werden soll. Gerade Österreich weigert sich gegen eine Kürzung der Agrarmittel. Außerdem gehen ja laufende Ausgaben wie für Forschung, Erasmus oder Frontex weiter – dort sollte unserer Meinung nach auch nicht gekürzt werden.

Welches Land kann denn aktuell höhere Beitragszahlungen stemmen? Alle müssten dafür Schulden aufnehmen. Das macht keinen Sinn. Deshalb sind wir davon überzeugt, dass die Hilfen über gemeinsame EU-Anleihen finanziert werden müssen. Dies würde auch politisch das richtige Zeichen setzen: Genau wie eine Pandemie nicht an Grenzen halt macht, stecken wir alle gemeinsam in dieser Krise, die alle unverschuldet trifft, und nur gemeinsam kommen wir aus dieser Krise auch wieder hinaus.

Mit freundlichen Grüßen
Team Annalena Baerbock

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