Frage an Annalena Baerbock von Oliver R. bezüglich Gesundheit
Wieso haben Sie gegen die Widerspruchslösung bei den Thema Organspenden ausgesprochen? Sie haben behauptet es sein eine "ethnische" Frage. Ist es nicht ethnisch verwerflich sich gegen das Helfen von vielen Menschen (aktuell sind es 9,5K die auf Spender Organe warten) auszusprechen, obwohl es keine Kosten hätte?
Sehr geehrter Herr R.,
vielen Dank für Ihre Email.
Das gemeinsame Ziel beider Gesetzentwürfe (egal wie man persönlich dazu steht) ist die Steigerung der Organspendezahlen, denn zu viele Menschen warten händeringend auf ein Organ, das sehen wir genauso wie Sie. Während die AfD in ihrem Antrag den Status quo beibehalten wollte, hat unsere fraktionsübergreifende Gruppe aus CDU/CSU, SPD, FDP, LINKE und GRÜNE einen neuen Vorschlag erarbeitet. Mit dem nun verabschiedeten Gesetz beschreiten wir einen Weg, der die Organspendezahlen erhöht und zugleich verfassungskonform ist, denn die Entscheidung über den eigenen Körper trifft weiterhin jede und jeder selbst.
Der Organspendeskandal (2012) hat viel Vertrauen zerstört. Wären Menschen mit der Widerspruchsregelung per Gesetz automatisch zum Spender gemacht worden, wäre aus unserer Sicht dieses Vertrauen erneut verletzt. Die Widerspruchsregelung wurde nicht zu Unrecht von einigen als „Nötigung“ empfunden und hätte eine Ablehnung erzeugt, obwohl eine freiwillige Spende durchaus möglich gewesen wäre. Die Widerspruchsregelung setzt auf Unwissenheit und Trägheit in der Bevölkerung. Manche Menschen (sei es aus psychischen oder intellektuellen Gründen) wären gar nicht in der Lage, aktiv Nein zu sagen. In vielen anderen Bereichen, z.B. beim Datenschutz, wurde zurecht durchgesetzt, dass man für die Datenweitergabe aktiv zustimmen muss. Das darf bei einer so grundsätzlichen Frage wie der körperlichen Unversehrtheit nicht anders sein. Die Widerspruchsregelung legt ein Schweigen als Zustimmung aus. Wir wollen ein aktives Ja in diesem höchstpersönlichen Bereich.
Dass auch die Widerspruchsregelung nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung der Organspenden führt, zeigt sich in unseren europäischen Nachbarländern. In Spanien, das aufgrund seiner hohen Organspenderaten weltweit als Vorbild gilt, wurde die Widerspruchsregelung 1979 eingeführt. Aber erst 20 Jahre später stiegen die Spendezahlen erheblich an – dank einer umfassenden Strukturreform des Transplantationssystems. Zudem kann in Spanien und anderen Ländern bereits bei Herztod transplantiert werden. In Deutschland ist es erst bei Hirntod - und dies hätte auch die Widerspruchsregelung nicht geändert. In Frankreich sind die Spenderaten nach Einführung der Widerspruchsregelung sogar gesunken. In Italien gab es einen Anstieg der Spenderaten bereits vor Einführung der Widerspruchsregelung – ebenfalls ausgelöst durch eine Strukturreform. Die hohen Spendezahlen in einigen europäischen Nachbarländern (Spanien, Niederlande, Belgien, UK) sind zudem darauf zurückzuführen, dass dort vermehrt Organe auch nach Herzstillstand entnommen werden. Dieses Verfahren ist in Deutschland nicht zugelassen.
Eine aktuelle Studie der Universität Kiel zeigt klar, dass der Hauptgrund für die sinkenden Organspende-Zahlen die Tatsache ist, dass in deutschen Kliniken potentielle Organspender*innen zu selten identifiziert und gemeldet werden. Mit der kürzlich vom Bundestag beschlossenen Stärkung der Transplantationsbeauftragten in den Krankenhäusern und weiteren Strukturverbesserungen, denen alle Fraktionen im Bundestag (außer der AfD) zugestimmt haben, wurde die Grundlage für die Erhöhung der Organspenderate gelegt.
Mit unserem Gesetz der wiederkehrenden Befragung wollen wir die Zahl der Organspenden erhöhen. Dazu kommt den Ausweisstellen eine zentrale Bedeutung zukommen. Sie werden dazu verpflichtet, die Bürger*innen bei der Beantragung von Papieren mit allen Infos der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zu versorgen und für weitergehende Infos an die jeweiligen Hausärzt*innen verweist. Die Ausweisstellen selbst sollen keine Beratung vornehmen. Bei Ausweisabholung sollen sie die Person aber zur Eintragung in das Organspenderegister auffordern. Das sollte vor Ort und auch später jederzeit online - etwa über ein PIN/TAN-Verfahren von zuhause aus möglich sein. Mit dem Online-Verfahren ist auch gesichert, dass man jederzeit eine Änderung der Entscheidung schnell, unbürokratisch und sicher treffen kann sein. Das Register ermöglicht Krankenhäusern bei Todesfällen die Daten schnell und rechtssicher abzurufen. Dies bedeutet also nicht, dass wie Sie schreiben - nur auf den Bürgerämtern mit Wartezeiten dies Registrierung gemacht werden kann.
Wir werden mit unseren Gesetz außerdem den Bereich Organspende innerhalb der medizinischen Aus- und Weiterbildung stärken, um die Sensibilität des ärztlichen Nachwuchses für dieses Thema zu verbessern und ggf. Vorurteile abzubauen.
Unsere fraktionsübergreifende Gruppe ist davon überzeugt: Das Gesetz der wiederkehrenden Befragung ist grundgesetzschonender, wahrt die höchstpersönliche Entscheidung jedes Einzelnen und trägt dennoch zu einer höheren Spendenbereitschaft bei. Organspenden können Leben retten.
Mit freundlichen Grüßen
Annalena Baerbock