Frage an Annalena Baerbock von Lucas S. bezüglich Frauen
Sehr geehrte Frau Baerbock,
auf der 44. BDK in Bielefeld wurde der Antrag "S-08: Änderung des Frauenstatuts" ( https://antraege.gruene.de/44bdk/Aenderung_des_Frauenstatuts-56455 ) sowie der Beschluss "Zweigeschlechtlichkeit überwinden, Menschenrechtsverletzungen beenden:.." ( https://cms.gruene.de/uploads/documents/Verschiedenes-Zweigeschlechtlichkeit-ueberwinden-Beschluss-BDK-11-2019.pdf ) angenommen.
Im Vergleich offenbaren sich zwei fundamentale Widersprüche im Bezug auf das Menschenbild und das Gerechtigkeitsempfinden der Grünen:
1. Während im Beschluss "eine gleichberechtigte Teilhabe [..] in unserer Partei" und ein "Recht auf Gleichbehandlung unabhängig vom Geschlecht" gefordert wird, formuliert S-08 nun ein geschlechtsspezifisches Recht für Frauen, den Debattenverlauf exklusiv zu bestimmen.
2. Im Beschluss wird das binäre Geschlechtermodell abgelehnt. Entsprechend sollen Formulierungen "alle Menschen [des gesamten Geschlechterspektrums] berücksichtigen". Dagegen forciert S-08 genau dieses binäre Geschlechtermodell.
Wie erklären Sie sich diese Widersprüche? & Wie können Die Grünen diese Widersprüche - im Sinne einer kohärenten Frauenpolitik - programmatisch vereinen?
Viele Grüße
Lucas Schepp
Sehr geehrter Herr S.,
vielen Dank für Ihre Nachricht. Bündnis 90/Die Grünen setzen sich seit ihrer Gründung für Frauenrechte und Geschlechtergerechtigkeit ein. Dabei ist uns auch bewusst, dass mit dem binären Geschlechtersystem nicht alle Geschlechter erfasst und angesprochen werden. Dennoch gibt es nach wie vor eine massive Diskriminierung von Frauen in unserer Gesellschaft. Um diese zu bekämpfen, müssen wir auch weiterhin in Geschlechterkategorien sprechen und agieren, denn sie bestimmen nach wie vor unsere Gesellschaft in hohem Maße. Als politische Kategorie, sind die binären Kategorien leider noch nicht außer Kraft zu setzen. Wir Grünen haben erkannt, dass wir für mehr Geschlechtergerechtigkeit bei uns und unseren Strukturen beginnen müssen. Deshalb haben wir uns ein Frauenstatut gegeben, das dafür sorgt, dass Frauen bei uns gleichberechtigt mitgestalten können.
Dennoch möchten wir die Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt in unserer Satzung deutlicher machen. Grünes Selbstverständnis ist, dass trans-, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen ein Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung haben – frei von politischen, medizinischen oder rechtlichen Pathologisierungsversuchen, Menschenrechtsverletzungen und Stigmatisierungen. Dafür kämpfen wir seit vielen Jahren in Solidarität und im Bündnis mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und Aktivist*innen auf den unterschiedlichen politischen Ebenen.
Mit der Änderung unserer Satzung inklusive des Frauenstatuts gehen wir nun einen ersten Schritt, um der geschlechtlichen Vielfalt nun auch in den Statuten unserer Partei Rechnung zu tragen und bekräftigen zugleich das Prinzip der Mindestquotierung für Frauen. Denn noch ist es nicht gesellschaftliche Realität, dass wir auf die Mindestquotierung verzichten könnten. Im Antrag S-08 wurde das Statut dahingehend präzisiert, dass die Frauen einer Versammlung bestimmen können, ob eine Debatte fortgesetzt werden kann, wenn auf der Liste der Frauen keine Redebeiträge mehr angezeigt werden. Dass der Parteitag dies mit großer Mehrheit so beschlossen hat, ist wohl der Erfahrung geschuldet, dass, wenn dieser Fall eintritt, meist schon alle Argumente in einer Debatte ausgetauscht sind.
Mit besten Grüßen
Team Annalena Baerbock