Frage an Annalena Baerbock von Maria S. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Frau Baerbok,
Sie haben sich am 14.11.2019 - wie fast alle Fraktionsmitglieder der Grünen - bei der Abstimmung zum Masernschutzgesetz Ihrer Stimme enthalten? Darf ich nach den Beweggründen fragen?
Ist Ihnen als Bundesvorsitzende der Grünen der Antrag "V-43: FÜR DIE FREIE IMPFENTSCHEIDUNG, FÜR DIE GESUNDHEIT MÜNDIGER UND VERANTWORTLICH HANDELNDER BÜRGER*INNEN" bekannt, der auf der 44. Bundesdelegiertenkonferenz auf die Tagesordnung sollte? (1)
Warum wurde der Antrag zurückgezogen?
Finden Sie, dass eine Stimmenthaltung mit Fraktionsdisziplin bei einem die Grundrechte beschneidenden Gesetz angebracht ist?
Was würden Sie einer Krankenpflegerin empfehlen, der nach Inkrafttreten des Gesetzes gekündigt werden wird, weil Sie sich nach reiflicher Überlegung und Befassung mit dem Thema selbstbestimmt gegen eine Impfung entschieden hat?
Was würden Sie einer Familie mit schulpflichtigen Kindern empfehlen, die sich ebenfalls nach reiflicher Überlegung und aus Überzeugung bewusst gegen eine Impfung entschieden hat? Wie ist die Impfpflicht mit der Schulpflicht vereinbar?
Was würden Sie einer Erzieherin empfehlen, die demnächst Kinder und deren Eltern an das Gesundheitsamt melden muss, sich aber nicht in dieser Rolle sieht und das so wichtige Vertrauen zwischen Eltern und Erziehern gefährdet sieht?
Fragen über Fragen... Über ehrliche Antworten würde ich mich sehr freuen.
Mit freundlichen Grüßen
M. S.
Sehr geehrte Frau S.,
vielen Dank für Ihre Nachricht. Bitte entschuldigen Sie die verspätete Antwort.
Nach wie vor gibt es in Deutschland sowohl bei einzelnen Bevölkerungsgruppen als auch in manchen Regionen erhebliche Impflücken, d.h. die Impfquote ist nicht hoch genug, um einen sicheren Schutz der Menschen vor Masern zu gewährleisten. Gesundheitsminister Jens Spahn hatte im vergangenen Herbst unter dem nicht ganz zutreffenden Label „Impfpflicht“ einen Gesetzentwurf zu einer verbindlichen Masern-Impfung für Kinder und Beschäftigte in Kitas und Schulen vorgelegt. Zum größten Problem, den sehr bedenklichen Impflücken bei Erwachsenen, hat er kein gezieltes Konzept. Es sind nämlich knapp 97 Prozent der Kinder einmal gegen Masern geimpft und knapp 93 Prozent haben auch die notwendige zweite Masernimpfung. Aber bei den über 30jährigen liegen die Impfquoten unter 50 Prozent.
Die Bundestagsfraktion der Grünen hatte einen eigenen Antrag zu Masern und anderen Infektionskrankheiten vorgelegt („Masern und andere Infektionskrankheiten endlich eliminieren – Solidarität und Vernunft fördern, Impfquoten nachhaltig steigern“) Sie finden ihn hier:
https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/099/1909960.pdf
Unser Ziel ist es, diese Erkrankungen –anders als Jens Spahn – nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten zu besiegen. Unsere Vorschläge sind z.B. aufsuchende Impfangebote in Schulen, Kitas, Betrieben usw. und Impferinnerungen beim Aufsuchen von Ärztin oder Arzt und Krankenhaus. Wichtig wäre auch, dass Kinderärzte Erwachsene impfen dürfen. Dann können ungeimpfte Eltern sich zusammen mit ihren Kindern impfen lassen. Wir halten eine entsprechende Verankerung im SGB V für dringend erforderlich, um das bundesweit umzusetzen.
In unserem Antrag sprechen wir uns auch dafür aus, für Kinder und Beschäftigte einen ausreichenden Impfschutz zur Voraussetzung für den Besuch insbesondere der Kita zu machen. Uns hat das Argument insbesondere von Eltern überzeugt, dass dadurch Kinder, die nicht geimpft werden dürfen, weil sie noch zu jung sind oder aus medizinischen Gründen, am besten vor der Ansteckung durch Masern geschützt werden können.
Wir schlagen in unserem Antrag außerdem vor, dass Hausärztinnen und Hausärzte ihre Patientinnen und Patienten gezielt einladen, um ihren Impfschutz zu vervollständigen. Ein digitaler Impfpass soll sicherstellen, dass niemand mehr nach seinem Impfpass suchen muss und die Informationen zum Impfstatus immer aktuell sind. Eine App auf dem Smartphone könnte dann daran erinnern, dass eine Impfung fällig ist.
Für all diese Dinge ist wichtig, dass der öffentliche Gesundheitsdienst wieder gestärkt wird. Er wird seit Jahrzehnten kaputtgespart, es fehlt an Personal - Ärztinnen und Ärzte dort werden schlechter bezahlt. Doch die Gesundheitsämter in den Kommunen können am besten erkennen, wo eine problematische Impflücke besteht und wie sie gezielt angegangen werden kann. Sie kennen die Probleme und können beispielsweise gezielt in Schulen und Kitas gehen oder Impfkampagnen für Erwachsene steuern.
Angesichts der geringen Impfquoten bei Erwachsenen zeigt sich: Die Forderung nach einer generellen gesetzlichen Impfpflicht geht am Kern des Problems vorbei. Sie ist außerdem kontraproduktiv, weil sie auch Menschen vor den Kopf stoßen kann, die gar keine prinzipiellen Einwände gegen Impfungen haben. Das könnte die Akzeptanz nicht nur bei Masern, sondern auch bei anderen Impfungen senken. Wir sind der Auffassung, dass die Menschen durch Aufklärung und Informationen dazu bewegt werden können, ihren Impfschutz zu vervollständigen. Drohungen mit Sanktionen und Einschüchterung halten wir für den falschen Weg. Sie richten Schaden an und untergraben das notwendige Vertrauen der Menschen.
Weitere Infos zum Nachlesen finden sich unter: https://www.gruene-bundestag.de/gesundheit/impfquoten-nachhaltig-steigern.html
Zum Antrag V-43 während der Bundesdelegiertenkonferenz: Es gab mehrere Anträge zum Themenkomplex Gesundheit, insbesondere zur Impfpflicht und zur Homöopathie, weswegen ein gemeinsamer Antrag erarbeitet worden ist. Siehe Punkt 4: https://cms.gruene.de/uploads/documents/Verschiedenes-Gruene-Gesundheitspolitik-Beschluss-BDK-11-2019.pdf
Mit freundlichen Grüßen
Team Annalena Baerbock