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Annalena Baerbock
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Frage von Eckard A. •

Frage an Annalena Baerbock von Eckard A. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrte Frau Baerbock,
in der FAZ wird ein Interview zitiert, das Sie dem Spiegel gegeben haben. Darin kritisieren Sie ganz offensichtlich die fehlende deutsche Führungsrolle in Europa. Ich gehe davon aus, dass Ihre Äußerungen wohl bedacht waren und Sie nicht einfach "auch zu diesem Thema etwas sagen wollten". Täuscht mich meine Wahrnehmung, dass die Partei Die Grünen schon immer vehement gegen eine solche Führungsrolle eingetreten ist? Teilweise mit Argumenten unterhalb der Gürtellinie. Was hat die Partei Die Grünen veranlasst, die bisherige, konsequente Linie zu verlassen? Wie soll die deutsche Führungsrolle in Europa aussehen? Nach meinen Berechnungen hätten wir mit dem ominösen 2%-Ziel bei den Verteidigungsausgaben einen höheren Etat als Russland, Frankreich oder Großbritannien. Halten Sie das im europäischen Kontext für opportun? Wie glauben Sie, eine europäisch einheitliche Rüstungsexportpolitik auf den Weg bringen zu können? Faktisch bedeutet dies ja, dass irgendein Parlament französische Exporte behindern könnte. Welche konkreten Schritte unternimmt die Partei Die Grünen durch ihre zahlreichen Vertreter in den diversen Parlamenten? Bitte versuchen Sie, konkrete Schritte aufzuzeigen, dass auf europäischer Ebene etwas gemacht werden muss, ist unstrittig.
Freundliche Grüße

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr A.,

vielen Dank für Ihre Nachricht. Die heutigen globalen Herausforderungen wie die Klimakrise, eine durch die Digitalisierung veränderte Form des Arbeitens, Wirtschaftens und Zusammenlebens oder soziale Ungleichheiten können nicht mehr von nur einem Staat allein bewältigt werden. Das geht nur europäisch und global.

Deshalb halte ich es in der Tat für wesentlich, dass sich die EU in Zeiten von Trump, Putin, Xi und Erdogan "emanzipiert" und selbstbewusst ihre Werte und Interessen in der Welt vertritt. Präsident Trump wendet sich von multilateralen Organisationen ab, verlässt einseitig völkerrechtliche Abkommen wie das Pariser Klimaabkommen oder das Atomabkommen mit dem Iran. Präsident Putin tritt mit der Annexion der Krim das Völkerrecht mit Füßen und heizt den militärischen Konflikt in der Ostukraine nach wie vor an. Chinas neue Seidenstraßeninitiative droht mit massiven Investitionen Europa zu spalten und die chinesische Führung baut den Staat immer mehr zu einem Überwachungsstaat um und verletzt Menschen- und Bürgerrechte. In dieser Gemengelage ist die EU oft nicht mehr als ein bloßer Zuschauer. Wenn wir jetzt nicht geschlossen für unsere europäischen Werte in der Welt eintreten, werden wir auf Dauer nur Empfängerin strategischer Interessen anderer sein, anstatt das internationale Umfeld selbst mitzugestalten.

Uns einen dabei die europäischen Werte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Als größter Binnenmarkt der Welt hat die EU auch jede Menge soft power, die sie sehr wohl für die Durchsetzung ihrer Werte einsetzen kann - vorausgesetzt, wir schaffen es, zu mehr Geschlossenheit innerhalb der Europäischen Union zu kommen und unseren gemeinsamen Binnenmarkt durch mehr Investitionen zu stärken. Konkrete Hebel für die Durchsetzung unserer Interessen basierend auf unseren Werten sind zum Beispiel die Freihandelsabkommen der EU mit anderen Staaten oder Regionen. Die EU kann hierbei die Standards hochhalten, das bedeutet, dass es z.B. kein Freihandelsabkommen mehr geben sollte, das nicht das Pariser Klimaabkommen, die UN-Nachhaltigkeitsziele und die ILO-Kernarbeitsnormen zum integralen -
auch einklagbaren - Bestandteil hat. Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Wenn die grüne Lunge dieser Welt brennt, wie derzeit in Brasilien, dort aber ein Präsident herrscht, der die Klimakrise leugnet und die kurzfristigen wirtschaftlichen Profite über das Wohl eines ganzen Planeten stellt, dann muss die EU hier sagen, dass es auf dieser Grundlage kein Abkommen zwischen ihr und den Mercosur-Staaten geben kann.

Was das NATO-2%-Ziel betrifft: Ich halte diese Zahl - geknüpft an das Bruttoinlandsprodukt und nicht an die notwendige Ausstattung der Armeen gemäß ihres Auftrags und ihrer Ziele - für willkürlich und damit nicht für zielführend. Mein Plädoyer für ein starkes Europa in der Welt war nicht, 2% des BIP für Verteidigung auszugeben. Ich bin sehr dafür, die Bundeswehr gemäß ihres Auftrags bestmöglich auszustatten. die vielen Milliardengräber in der Beschaffung oder Millionen für Beraterverträge, die gegen das Vergaberecht verstoßen, tragen aber sicher nicht zu mehr Sicherheit bei, obwohl sie Unsummen an Geld verschlingen. Eine stärkere europäische Zusammenarbeit in der Verteidigung halte ich für sinnvoll und dies kann auch zu Einsparungen und letztendlich zu mehr Abrüstung führen, wenn Synergieeffekte genutzt und Doppelstrukturen abgebaut werden. Nicht jede Nation muss die gleichen Fähigkeiten vorhalten. Durch das sog. Pooling und Sharing kommen wir heute schon zu einer besseren Zusammenarbeit und die sollte aus meiner Sicht noch ausgebaut werden. Wesentlich und unverrückbar ist dabei der Parlamentsvorbehalt. Solange wir noch keine wirkliche europäische
Integration in der Verteidigung haben, bleiben der Deutsche Bundestag bzw. andere nationale Parlamente der zentrale Ort der Entscheidung über mögliche Auslandseinsätze. Bei einer stärkeren europäischen Integration käme diese Rolle nach meiner Auffassung langfristig gesehen dem Europäischen Parlament zu.

Mit Blick auf den Export von Rüstungsgütern haben wir ja bereits restriktive europäische Regeln für Rüstungsexporte. Der sog. Gemeinsame Standpunkt der EU von 2008 legt genau fest, wann Rüstungsgüter aus der EU exportiert werden dürfen und wann nicht. Das Problem ist - wie so oft -, dass dieser Gemeinsame Standpunkt oft nicht eingehalten wird und es
keine Möglichkeit der Sanktionierung gibt, wenn ein Mitgliedstaat dagegen verstößt. Wir schlagen deshalb ein Aufsichtsgremium vor, das bei der Hohen Vertreterin der EU aufgehängt ist, und das sanktionierende Maßnahmen beschließen kann, falls ein Mitgliedstaat gegen die bestehenden Regeln verstößt.

Mit freundlichen Grüßen
Annalena Baerbock

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