Frage an Annalena Baerbock von Klara W. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Baerbock,
im Zuge der Diskussion über eine Widerspruchslösung bin ich auf diesen Artikel gestoßen. https://www.sueddeutsche.de/politik/interview-der-brustkorb-hebt-und-senkt-sich-1.4266876
In dem Artikel berichtet die Transplantationsbeauftragte am Uniklinikum Gießen über extreme Situationen im Umgang mit Angehörigen eines potentiellen Organspenders, sie sagt
"Die Familie hat schon genug damit zu tun, den Tod ihres Partners, Geschwisters oder Kindes zu verarbeiten und dann kommen wir noch mit dem Thema Organspende. Solche Situationen sind emotional sehr schwierig, sowohl für die Angehörigen, aber auch für uns Ärzte."
Weiterhin berichtet sie von einem Mädchen, das wegen einer Mandel-OP ins Krankenhaus kam, dabei verstarb und daraufhin einer Organentnahme unterzogen wurde. Die Eltern hatten es so gewollt. In einem anderen Fall hat die Großmutter einer Patientin widersprochen.
Wie ist es möglich, dass Aussenstehende und nicht die Person selbst (auch junge Menschen sind denkende und fühlende Wesen), ausschließlich darüber entscheiden, was mit dem sterbenden aber noch lebenden Körper ("Menschen, die hirntot sind, nicht wie tot wirken. Ihr Körper ist warm, der Brustkorb hebt und senkt sich durch die Maschinen") geschieht? Ist die aktuelle Gesetzeslage nicht so, dass ohne eine ausdrückliche und nachgewiesene Zustimmung einer Person, eine Organentnahme nicht durchgeführt werden darf und bei Minderjährigen gänzlich ausgeschlossen ist?
Was geschieht in den Fällen, in denen keine Angehörigen da sind und wie stellt man fest, dass vorhandene Angehörige ausschießlich im Sinne der betroffenen Person handeln?
Wie hoch ist der Prozentsatz der Organspender, die keinen Organspendeausweis hatten und die von Aussenstehenden zur Organentnahme freigegeben wurden und mit welcher Begründung ist die Freigabe in diesen Fällen erfolgt?
Vielen Dank.
Mit freundlichen Grüßen
Klara Waldmann
Liebe Frau W.,
vielen Dank für Ihre Nachricht. Die aktuelle Gesetzeslage sieht vor, dass man auf einem Organspendeausweis oder aber auch bswps. einer Patientenverfügung schriftlich festhalten kann, dass man Organe spenden möchte. Gleichzeitig kann man aber auch angeben, dass Angehörige befragt werden. Liegt keine Entscheidung zur Organ- und Gewebespende vor, werden die Angehörigen nach dem mutmaßlichen Willen der verstorbenen Person gefragt.
Hier besteht aus meiner Sicht auch aus den von Ihnen genannten Gründen Handlungsbedarf. Klar ist, dass wir bei der Orgenspende Verbesserungen brauchen - zu viele Menschen warten händeringend auf ein Organ. Und wenn wir wissen, dass laut Umfragen 84 Prozent der Menschen spenden wollen, dann müssen wir eine Lösung finden, wie wir sie direkt darauf ansprechen und die Zahl der Spender*innen erhöhen können und gleichzeitig das Selbstbestimmungsrecht jedes Einzelnen über seine Organe wahren.
Wir wollen die Organspende nach dem Tod als eine bewusste und freiwillige Entscheidung beibehalten. Statt Stillschweigen als eine Freigabe der eigenen Organe zu bewerten, wie es der Vorschlag der Widerspruchslösung vorsieht, ist es zielführender, eine stets widerrufbare Entscheidung klar zu registrieren, verbindliche Information und bessere Aufklärung zu gewährleisten und die regelmäßige Auseinandersetzung mit der Thematik zu fördern.
Eine Regelung, der man erst aktiv widersprechen muss, halten wir auch für kontraproduktiv mit Blick auf die tatsächliche große Spendenbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger. Es heißt ja nicht umsonst "Spende". Es geht um eine bewusste, freiwillige und willentliche Entscheidung und nicht um einen impliziten Zwang.
Mit der kürzlich vom Bundestag beschlossenen Stärkung der Transplantationsbeauftragten in den Krankenhäusern und weiteren Strukturverbesserungen, denen alle Fraktionen im Bundestag (außer der AfD) zugestimmt haben, wurde die Grundlage für die Erhöhung der Organspenderate gelegt.
Den Ausweisstellen könnte nach unserer Ansicht eine zentrale Bedeutung zukommen. Sie werden dazu verpflichtet, die Bürger*innen bei der Beantragung von Papieren mit allen Infos der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zu versorgen und für weitergehende Infos an die jeweiligen Hausärzt*innen verweist. Die Ausweisstellen selbst sollen keine Beratung vornehmen. Bei Ausweisabholung sollen sie die Person aber zur Eintragung in das Organspenderegister auffordern. Das sollte vor Ort und auch später jederzeit online - etwa über ein PIN/TAN-Verfahren von zuhause aus möglich sein. Mit dem Online-Verfahren ist auch gesichert, dass man jederzeit eine Änderung der Entscheidung schnell, unbürokratisch und sicher treffen kann sein.
Das Register ermöglicht Krankenhäusern bei Todesfällen die Daten schnell und rechtssicher abzurufen.
Wir wollen außerdem den Bereich Organspende innerhalb der medizinischen Aus- und Weiterbildung stärken, um die Sensibilität des ärztlichen Nachwuchses für dieses Thema zu verbessern und ggf. Vorurteile abzubauen.
Ein solches Verfahren ist grundgesetzschonender, wahrt die höchstpersönliche Entscheidung jedes Einzelnen und trägt dennoch zu einer höheren Spendenbereitschaft bei. Organspenden können Leben retten. Die Widerspruchsregelung ist bei dieser höchstpersönlichen Entscheidung der falsche Weg.
Mit herzlichen Grüßen
Annalena Baerbock