Frage an Annalena Baerbock von Bernd D. bezüglich Gesundheit
Dr. med B. M.
„Gegen den Tod auf der Organwarteliste e.V.“
Sehr geehrte Frau Baerbock,
bei der ersten Aussprache des Bundestages am 28.11.18 zu Organspende und Widerspruchslösung war ich zwar enttäuscht, dass Ihre Bedenken gegenüber der WSL überwiegen, freute mich aber, dass Sie das Thema der zentralen Registrierung angesprochen haben. Die Befragung der Bürger bei der Ausstellung von Dokumenten (Ausweis usw.) kann zwar nur ein kleiner Teil des Konzeptes sein, da fast 4,5 Millionen in Deutschland krankenversicherte Ausländer nicht befragt würden, die Bürger ihre Entscheidung nicht zeitnah registrieren lassen können und es 10 Jahre dauern würde, bis alle deutschen Bürger befragt wurden. Aber es schien ein guter Anfang zu sein!
Inzwischen wird aber Ihr Vorschlag von mehreren Abgeordneten, auch anderer Parteien, in dem Sinne benutzt, man brauche dank dieser Lösung ja gar keine Widerspruchslösung. Außerdem hört man gar nichts über weitere Einzelheiten einer solchen Registrierung.
Diese Entwicklung erfüllt mich mit Sorge! Wie ist Ihre derzeitige Haltung? Gibt es Konzepte, die meiner Aufmerksamkeit entgangen sind?
Mit freundlichen Grüßen
B. M.
Sehr geehrter Herr Meyer,
vielen Dank für Ihre Frage.
Resultierend aus der geringen Zahl der Organspenden hat die Bundesregierung Ende Oktober 2018 den Gesetzentwurf „Gesetz für bessere Zusammenarbeit und bessere Strukturen bei der Organspende“ (GZSO) vorgelegt. Der Gesetzentwurf enthält viele begrüßenswerte Änderungen. Dazu gehören etwa die Stärkung der Transplantationsbeauftragten in den Kliniken und eine höhere Pauschale aller mit Organspenden entstehenden Kosten für die Entnahmekliniken. Der Gesetzentwurf setzt damit an den entscheidenden Punkten an, die wahrscheinlich für die im internationalen Vergleich geringe Zahl der Organspenden in Deutschland verantwortlich sind.
Neben diesen Vorschlägen hat Bundesgesundheitsminister Spahn außerdem einen eigenen Vorschlag zur Organspende in die Debatte eingebracht. Er spricht sich für die sogenannte Widerspruchsregelung aus. Danach soll jede Person automatisch für eine Spende infrage kommen, solange er oder sie selbst bzw. die Angehörigen nicht ausdrücklich widersprechen.
Doch der Vorschlag der Widerspruchsregelung ist unserer Auffassung nach ein starker Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht jedes Einzelnen. Der Gesetzgeber würde damit für den Einzelnen eine sehr persönliche Entscheidung vorwegnehmen, die dann nur mit aktivem Widerspruch aufgehoben werden kann. Die Selbstbestimmung über den eigenen Körper ist ein zentrales Element menschlicher Würde. Diese würde in den Augen vieler verletzt, wenn der und die Einzelne die eigene Selbstbestimmung im Zweifel nur durch aktiven Widerspruch durchsetzen kann.
Um diesen Bedenken entgegenzukommen und dennoch eine Erhöhung der konkreten Spendenentscheidung zu erreichen, schlagen wir zusammen mit den von Ihnen angesprochenen anderen Abgeordneten-Gruppe eine regelmäßige wiederkehrende Befragung des und der Einzelnen vor, jedoch ohne eine vorherige Festlegung der Entscheidung durch den Staat.
Unser Vorschlag gestaltet sich wie folgt: Wiederkehrende Ausweisbeantragung für Befragung zur Organspende nutzen und Möglichkeit der Online-Eintragung schaffen
Jeder Erwachsene muss spätestens alle zehn Jahre seinen Personalausweis oder Reisepass erneuern. Hier könnte auf Grundlage einer Passreform eingeführt werden, dass jede Person zu diesem Zeitpunkt über ihre grundsätzliche Organspendenbereitschaft wiederkehrend Auskunft gibt. Bei der Ausweisbeantragung erhält der Antragsteller bzw. die Antragstellerin ausführliche und unabhängige Informationen von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) vom Passamt ausgehändigt. Dies ist verbunden mit der Möglichkeit eines persönlichen Gesprächs oder einer Telefonberatung für weitere Fragen durch die BZgA. Selbstverständlich kann die Person auch den Hausarzt bzw. die Hausärztin befragen. Dazu wird eine zeitgebundene Ziffer zur Abrechnung der Aufklärung/Beratung über die Organspende geschaffen. Gleichzeitig wird das Thema Organspende in der ärztlichen Ausbildung gestärkt.
Bei der Ausweisabholung kann sich die Person dann entscheiden und dies vor Ort eintragen: Möchte sie alle bzw. einzelne Organe spenden, möchte sie dies explizit nicht bzw. aktuell darüber noch nicht entscheiden oder wer soll im Unglücksfall darüber entscheiden? Sofern die Person Organspender sein möchte oder Angehörige darüber entscheiden sollen, werden die Daten an das zentrale Organspenderegister übermittelt.
Möchte die Person bei der Ausweisabholung keine Angaben machen, erhält sie bzw. er so wie diejenigen, die sich vor Ort entscheiden gleichzeitig ein Zugangscode und separate PIN ausgehändigt, mit der sich die Person jederzeit um entscheiden kann. Diese Zugangsdaten sind dann bis zur nächsten Ausweisbeantragung zehn Jahre gültig.
Für jeden, der in Deutschland einen Wohnsitz hat - um Ihre Frage bzgl. der "EU/Nicht-EU-Bürger*innen" zu beantworten, gilt: Es besteht eine Meldeverpflichtung nach 14 Tagen nach deutschem Melderecht für jeden, der in Deutschland einen Wohnsitz hat. Aber auch hier müssen wir im Gesetzgebungsverfahren schauen, wie wir Anregungen und Bedenken aufnehmen - daher vielen Dank für diesen Aspekt, den Sie in die Debatte eingebracht haben.
Mit unserem Vorschlag zeigen wir einen Weg auf, wie die grundlegende, möglicherweise lebensrettende Entscheidung darüber, was mit den eigenen Organen am Lebensende geschehen soll, regelmäßig und rechtssicher organisiert werden kann und dabei das Selbstbestimmungsrecht sowie die Menschenwürde gewahrt bleibt. Die Entscheidung für oder gegen die Organspende ist wie alles was Leben und Tod betrifft eine sehr individuelle, bei der viele Menschen großen Beratungs- und Informationsbedarf haben.
Wir wollen mit unserem Antrag einen Vorschlag machen, der einerseits mehr schwerkranken Menschen mittels Organspende hilft, andererseits die höchstpersönliche Entscheidung wiederkehrend – da sich die eigene Meinung auch zu dieser Frage im Laufe des Lebens ändern kann – ermöglicht. Unabhängig und informationsreich.
Mit freundlichen Grüßen
Annalena Baerbock