Frage an Annalena Baerbock von Ute H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Annalena Baerbock,
wie stehen Sie zu der in Kürze geplanten Privatisierung von Autobahnen und Schulen und zu den geplanten Gesetzeslücken, die Widerspruch vermeiden sollen? Siehe
http://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft/autobahn-privatisierung-spd-taeuscht-die-eigenen-genossen-26972860
Was haben Sie zu der Verhinderung dieser Pläne bisher unternommen?
Mit freundlichen Grüßen
U. Herrmann
Sehr geehrte Frau Herrmann,
vielen Dank für Ihre Nachricht. Die große Koalition möchte künftig Bundesautobahnen zentral durch eine Autobahngesellschaft verwalten lassen. Das sehen wir Grüne kritisch. Wir unterstützen grundsätzlich das Ziel, mehr Effizienz zu schaffen und die Auftragsverwaltung im Rahmen der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen grundlegend zu reformieren. Wir Grüne kämpfen dafür, dass der Zustand unserer Straßen künftig ehrlich bilanziert wird und der Erhalt bestehender Straßen und Brücken Vorrang hat vor teuren Neubauprojekten. Öffentliches Eigentum darf nicht an Konzerne und Versicherungen verramscht werden.
Auch die nachgebesserten Vorschläge von CDU, CSU und SPD lassen weiterhin Schlupflöcher für eine zukünftige Privatisierung der Autobahnen. Die Aufnahme von teuren Krediten und Genussscheinen durch die Autobahn-GmbH oder die Umwandlung der GmbH in eine Aktiengesellschaft kann problemlos durch Beschlüsse mit einfacher Mehrheit ermöglicht werden. Gleichzeitig sollen auch weiterhin teure ÖPP-Verträge mit Privaten für Einzelprojekte abgeschlossen werden. ÖPP sind durch höhere Zinskosten und die eingepreisten hohen Renditen der beteiligten Großunternehmen teurer als die Umsetzung durch die öffentliche Hand und für das Parlament kaum zu kontrollieren. Die Privatisierung der Bundesfernstraßen kann und muss verhindert werden. Wir Grüne haben einen umfassenden Grundgesetzantrag in den Bundestag eingebracht, um alle Privatisierungshintertüren dauerhaft und rechtssicher im Grundgesetz zu schließen. Für eine effiziente und ökologische Verkehrspolitik brauchen wir die demokratische Kontrolle über unsere Infrastruktur, keine private Renditejagd. Die öffentlichen Straßen dürfen wir nicht Banken, Versicherungen und Baukonzernen überlassen – weder jetzt, noch in Zukunft.
Wie Sie sehen, teilen wir als grüne Bundestagsfraktion Ihre Kritik an der möglichen Privatisierung der Autobahnen durch den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Bund-Länder-Finanzausgleich. Wir haben deshalb einen Entschließungsantrag (http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/125/1812598.pdf) formuliert, in welchem wir unter anderem fordern,
„die Gründung der Infrastrukturgesellschaft Verkehr als Aktiengesellschaft im Grundgesetz auf Dauer auszuschließen und bei der Einrichtung und Ausgestaltung gemäß Art. 90 und 143e GG verbindliche Privatisierungsschranken dergestalt festzuschreiben, dass bei der Neuorganisation der Verwaltung der Bundesautobahnen in Form einer Infrastrukturgesellschaft Verkehr (a) Öffentlich-Private Partnerschaften, (b) die Kreditfähigkeit grundsätzlich ausgeschlossen werden und (c) eine Staatsgarantie erteilt wird“.
In einem weiteren Änderungsantrag (http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/125/1812597.pdf) fordern wir, dass eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung Privater ausgeschlossen sein muss.
Die heute im Bundestag beschlossene Änderung des Grundgesetzes erlaubt nicht den Betrieb von Schulen als ÖPP. Was nun als ÖPP möglich ist, sind Sanierungs- und Baumaßnahmen. Wir Grüne haben das Thema abgewogen und sprechen uns nicht gegen die Möglichkeit von ÖPP aus. Denn zum einen gehen wir davon aus, dass die Gemeinden ihre Lektionen in Sachen ÖPP gelernt haben (sollten). Sie können also selbstverantwortlich entscheiden, ob und wenn ja, was sie aus der Eröffnung dieser Möglichkeit machen wollen.
Und aus grüner Sicht gibt es einen guten Grund, warum diese Öffnung notwendig ist: Es gibt heute Kommunen, die nur noch sehr wenig Mittel für ihre Verwaltung haben. Das führt teilweise zu einer Unterbesetzung, so dass eine Bauplanung kaum noch bzw. nicht schnell genug erstellt werden kann. Diese Planung ist aber zwingend nötig für das, was über den Kommunalinvestitionsförderfonds vom Bund mitfinanziert werden kann: Die Sanierung und der Neubau von Schulbauten. Also sollte die Gemeinde einen Auftrag vergeben können, so könnte eine private Firma für sie diese Bauplanung machen. Denn sonst besteht die große Gefahr, dass finanzschwache Kommunen aus strukturellen Gründen nicht von einem Programm profitieren können, das gerade für sie gemacht wurde. Deswegen halten wir die jetzt ermöglichte Öffnung für richtig.
Mit freundlichen Grüßen
Annalena Baerbock