Frage an Annalena Baerbock von André Z. bezüglich Finanzen
Abstimmtung über Verhandlungsmandat für Griechenland-Finanzhilfen vom 17.07.2015
Sehr geehrte Frau Baerbock,
warum haben Sie bei dieser Abstimmung mit Ja gestimmt, wenn klar ist, dass:
- alte Milliarden-Kredite nur wieder mit neuen bedient werden und diese zu allergrößten Teilen nur in Tresoren deutscher und britischer Banken verschwinden, anstatt bei der Bevölkerung anzukommen?
- eine Fortsetzung dieser Politik die bestehende Not, das Elend und die humanitäre Katastrophe für Massen von Griechen noch weiter verstärken wird?
- damit die Demokratie faktisch ausgehebelt wird, weil das Verfassungsorgan griechisches Parlament Reformvorschläge verabschieden muss, für deren inhaltliche Prüfung kaum Zeit besteht?
Vielen Dank,
André Zbinden
Sehr geehrter Herr Zbinden,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Ich habe mit „Ja“ gestimmt, weil ich als Europäerin davon überzeugt bin, dass Europa und die Eurozone auch in Krisenzeiten zusammenhalten müssen, selbst wenn das neue Programm leider einige Fehler fortsetzt. Darüber hinaus wurde in der Namentlichen Abstimmung vor allem über die Aufnahme neuer Verhandlungen über ein drittes Programm abgestimmt und dieses Mandat habe ich der Bundesregierung erteilt. Hätte der Deutsche Bundestag der Aufnahme von weiteren Verhandlungen über neue Kredite und vor allem der Bereitstellung einer Brückenfinanzierung nicht zugestimmt, wäre Griechenland zahlungsunfähig gewesen. Das hieße überhaupt keine Ausgaben mehr für Gesundheitsversorgung oder andere soziale Maßnahmen - ein Desaster für viele ohnehin schon in sozialer Not lebende Griechen. Der Reformprozess und die wirtschaftliche Erholung in Griechenland kann nur dann gelingen, wenn das Land die Sicherheit hat, im Euro zu bleiben und die erforderliche Zeit erhält, um verlässliche Rahmenbedingungen, effektive Strukturreformen und notwendige Investitionen zu tätigen. Das ist eine Wahnsinnsherausforderung für alle Beteiligten, aber ohne die Reformen und die zeitgleiche Solidarität seiner europäischen Partner hätte Griechenland kaum eine Chance.
Mit dem neuen Hilfspaket stellt der ESM die Zahlungsfähigkeit Griechenlands für die nächsten drei Jahre sicher. Die von uns Grünen geforderte Umschuldung wird damit ein Stück weit erfüllt, da die ESM-Mittel der griechischen Regierung auch die Erfüllung ihrer Kreditverpflichtungen gegenüber EZB und IWF erlauben. Damit erhält Griechenland die nötige Luft zum Atmen und die nötige Zeit für Reformen.
Wir fordern weiterhin, dass Griechenland seine Reformdividende im Land für Investitionen und die Umsetzung für Reformen nutzen kann, anstatt den Primärüberschuss an die Gläubiger zu überweisen. Ich bin der Meinung, dass der Zinsdienst sich mittelfristig über eine BIP-Indexierung an der wirtschaftlichen Entwicklung orientieren muss, damit die in einer Wirtschaftskrise mit Armut und Arbeitslosigkeit nicht einseitig die Interessen der Gläubiger bedient werden, sondern die Not der Menschen und die Überwindung der Krise im Mittelpunkt steht.
Ich begrüße es, dass sich die griechische Regierung mit den Euro-Staaten auf die Umsetzung wichtiger Strukturreformen wie die Bekämpfung der Korruption sowie der Steuerhinterziehung und -vermeidung, die Kürzung des Militärhaushalts, Abschmelzen der Steuerprivilegien für Reeder, schrittweise Einführung einer Mindestsicherung, Maßnahmen für mehr Effizienz in der öffentlichen Verwaltung und Justiz einigen konnten. Diese Reformen können aber nur ein erster Schritt sein. Herausforderung bleibt, dass Griechenland vor allem Investition braucht und zudem deutlich mehr Anstrengungen, um die soziale Not im Land zu lindern. Dazu gehören für mich vor allen Programme zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und Reformen im Gesundheitswesen. Zudem bin ich davon überzeugt, dass auch das Europäische Parlament stärker in die Reformverhandlungen involviert werden muss. Das griechische Parlament muss die verabschiedeten Reformvorschläge nun nach und nach umsetzen und hat somit auch Zeit zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit den jeweiligen Vorhaben.
Darüber hinaus möchte ich Sie an dieser Stelle auch auf meine persönliche Erklärung zu dem Thema hinweisen ( http://gruenlink.de/zoo ) und lade Sie herzlich ein, meine Vorschläge zur Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion zu lesen ( http://gruenlink.de/zon ).
Mit freundlichen Grüßen
Annalena Baerbock