Frage an Annalena Baerbock von Thomas S. bezüglich Finanzen
Sehr geehrte Frau Baerbock,
als Wähler Ihres Wahlkreises interessieren mich vor allem europapolitische Themen. Um mir eine Meinung zu meinem Abstimmungsverhalten zu bilden, hätte ich gerne eine paar kurze Antworten zu folgen Fragestellungen:
1. Wie würden Sie sich in der nächsten Legislaturperiode im Bundestag bei eventuell anstehenden Entscheidungen zu weitergehenden deutschen Beteiligungen (Erweiterung der Haftungsobergrenze) an den diversen Rettungsprogrammen der EU für die angeschlagenen Südstaaten positionieren? Würden Sie diese ablehnen oder zustimmen?
2. Wie würden Sie bei einem eventuellen Schuldenschnitt für Griechenland oder einem sonstigen Land der Eurozone abstimmen? Würden sie diesen ablehnen oder zustimmen?
3. Würden Sie Eurobonds oder ähnliche vergemeinschaftete Anleihen der Eurozone grundsätzlich ablehnen?
4. Würden Sie bei den oben genannten Fragen ihr Abstimmungsverhalten abhängig von der Koalition im Bundestag nach der Bundestagswahl machen? Ja oder Nein?
Ich wäre Ihnen dankbar wenn Sie sich die Zeit zur Beantwortung dieser Fragen nehmen würden, weil mir diese im bisherigen Wahlkampf viel zu kleinlaut gestellt werden, für mich aber zentrale Fragen sind.
Vielen Dank für Ihre Antworten.
Sehr geehrter Herr Schwan,
vielen Dank für Ihre europapolitischen Fragen, die ich hiermit gerne beantworte, wobei ich vorab betonen möchte, dass es in dieser komplexen Situation keine einfachen Antworten gibt.
Zu Ihrer ersten Frage:
Zunächst einmal ist mir wichtig zu sagen, dass die einzelnen Eurostaaten aus unterschiedlichen Gründen in die finanzielle Krise geschlittert sind. Daher gibt es auch bei der Lösung ihrer Probleme aus meiner Sicht keine pauschalen Antworten. Generell bin ich davon überzeugt, dass eine besser abgestimmte Wirtschaftspolitik in der Eurozone die Notwendigkeit für neue Hilfsprogramme deutlich senken würde. Zudem wäre ein wichtiger Schritt aus Grüner Sicht, der vom Sachverständigenrat der Bundesregierung vorgeschlagene, von der Bundeskanzlerin aber leider ignorierte, Schuldentilgungsfonds. Also eine gemeinsame Haftung der Euro-Staaten für Altschulden. Ansonsten sind wir eine klar proeuropäische Partei und würden jeden Einzelfall individuell betrachten. Neben Hilfsprogrammen ist es aus meiner Sicht essentiell, dass die europäischen Partner weit über die Zeit der Kreditprogramme hinaus, die Krisenländer - insbesondere Griechenland - politisch und finanziell unterstützen und auf dem schweren Weg der wirtschaftlichen Strukturreformen und politischen Transformation des Staatswesens begleiten.
Zu Ihrer zweiten Frage bzgl. eines Schuldenschnitts für Griechenland ist zunächst einmal festzuhalten, dass es im Jahr 2012 in Griechenland ja bereits (wenn aus unserer Sicht auch zu spät) zu einem (Teil-)Schuldenschnitt für Griechenland kam: mehr als 100 Mrd. Euro Schulden wurden dem Land erlassen. Das heißt, dass die Gläubiger (Halter von griechischen Staatsanleihen) darauf verzichtet haben, das von ihnen investierte Geld im vollen Umfang zurückzuerhalten. Auch deutsche Banken - allen voran die verstaatlichten Bad Banks (z.B. die Hypo Real Estate) - mussten Verluste in Milliardenhöhe akzeptieren. Griechenland hat aber nach wie vor große wirtschaftliche und finanzielle Probleme. Dabei sparen die Griechen mehr als jedes andere Land: in sechs Jahren (von 2009 bis 2015) wird Griechenland seine Ausgaben um fast 20 Prozent des BIPs reduzieren haben. Nichts desto trotz ist klar, dass eine Entscheidung über die weitere Finanzierung Griechenlands ab 2014 dringend notwendig ist, von der Bundesregierung aber hinter die Bundestagswahl geschoben wird. So riskieren CDU und FDP Stabilität in Griechenland zu Gunsten der eigenen Wahlchancen.
Wir Grüne werden uns auch künftig jedes Rettungspaket im Detail anschauen und dann über unser Abstimmungsverhalten entscheiden. Wir sprechen uns aber im Grundsatz dafür aus, die Eurozone in ihrer Zusammensetzung zu erhalten und bei der Verteilung der Kosten auf soziale Ausgewogenheit zu achten. Das heißt für mich, dass ein zeitlich gestreckter und an klare Reformauflagen gebundener konditionierter Schuldenschnitt kein Tabu sein darf.
Wenn man gegen einen Schuldenschnitt in Griechenland stimmen würde, käme es aller Wahrscheinlichkeit nach zu einem Austritt Griechenlands aus dem Euro. Dann würde eine neue griechische Währung abwerten und das Rettungsgeld wäre zu einem Großteil verloren. Wenn man sich für einen Schuldenschnitt ausspricht, auch dann würden Verluste realisiert, denn die Vermögen der Gläubiger wurden bereits größtenteils durch öffentliche Gelder ersetzt. Anders als die Bundesregierung es behauptet gibt es keine Lösung, bei welcher keine Kosten entstehen.
Sowohl in Deutschland als auch in anderen EU-Staaten gibt es sehr reiche Menschen, deren Lebensumstände sich durch eine Vermögensabgabe nicht verschlechtern würden und die von den stabilisierenden Hilfsprogrammen am meisten profitiert haben. Daher setzen meine Partei und ich uns dafür ein, Vermögen über 1 Mio. Euro mit 1,5% zu belasten, um die Kosten der Krise zu tilgen.
Zur Frage Eurobonds oder gemeinsame Anleihen:
Der wichtigste Schritt in der Eurozone ist eine verbesserte Abstimmung in der Wirtschafts- und Fiskalpolitik. Es kann nicht sein, dass einzelne Mitgliedsstaaten auf Kosten der anderen leben - sei es, weil sie wie Deutschland durch Leiharbeit und Werkverträge die Löhne drücken, sei es, weil sie wie Irland die Unternehmenssteuern auf ein Minimum senken um Unternehmen aus anderen Staaten abzuwerben. In einem gemeinsamen Markt muss es Mindeststandards geben, wenn man nicht in einen Wettlauf um die niedrigsten Steuern, die niedrigsten Renten und die niedrigsten Löhne geraten will. Wenn in diesen Fragen eine Übereinkunft getroffen wurde, sind auch gemeinschaftliche Anleihen ein sinnvolles Instrument um prozyklische Schwankungen bei den Zinsen auszugleichen. In der aktuellen Krise ist der erste Schritt aus Grüner Sicht jedoch, der bereits erwähnte zeitlich befristete und mengenmäßig begrenzte Altschuldentilgungsfonds nach Vorschlag des Sachverständigenrats der Bundesregierung.
Ihre letzte Frage, lieber Herr Schwan, ob ich bei den oben genannten Fragen mein Abstimmungsverhalten abhängig von der Koalition im Bundestag nach der Bundestagswahl machen würde, kann ich ganz klar für mich aber ich denke auch für die bündnisgrüne Bundestagsfraktion mit Nein beantworten. Die Abstimmungsverhalten der Grünen in der gerade auslaufenden Legislatur hat dies ja bereits deutlich gemacht.
Ich hoffe, Ihnen damit einen Überblick über meine Position sowie die von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Eurokrise gegeben und Ihnen damit in Ihrem Wahlverhalten weitergeholfen zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Annalena Baerbock