Frage an Annalena Baerbock von Helmut G. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Hallo Frau Beerbock,
was um alles in der Welt hat Ihre Friedensaktivisten von einst verleitet, der Beteiligund der Bundeswehr am Krieg in Afganistan zuzustimmen? Es ist wohl doch so, das Macht ausüben verleitet .Welch wundersame Wandlung der Grünen in ihren Grundsätzen.
Oder sagen auch Sie, es gibt gar keinen Krieg am Hindukusch?
Mit freundlichen Grüßen
H.Geißler
Lieber Herr Geißler,
vielen Dank für Ihre Anfrage.
Zunächst zu Ihrer ersten Frage, was uns Grünen zur Beteiligung am Afghanistan Einsatz gebracht habe:
Die Wahrung von Frieden und Menschenrechten im Rahmen der Vereinten Nationen war und ist ein Grundprinzip bündnisgrüner Politik. Und diese Verpflichtung zu beiden Prinzipien hat uns 2001 nach den Terroranschlägen vom 11. September nach einem langen Abwägungsprozess zu einer Beteiligung an der multinationalen Militäraktion gegen das Talibanregime (OEF) sowie an der durch die Vereinten Nationen mandatierten internationalen Schutztruppe (ISAF) geführt. Für mich ist dieses internationale Engagement und die damalige Entscheidung der rot-grünen Bundesregierung zu diesem Einsatz keine Verleitung von Macht - so wie Sie es ausdrücken -, sondern vielmehr der enorm schwierige Abwägungsprozess in Regierungsverantwortung zwischen den Folgen des Handelns, aber auch eben den Folgen des Nichthandelns.
Entsprechend ist die Bundeswehr seit 2001 im Rahmen der von den Vereinten Nationen eingesetzten ISAF-Mission in Afghanistan (Die Beteiligung an OEF wurde 2008 - gerade auch auf Grünen Druck - beendet). Der ISAF-Bundeswehreinsatz soll dazu beitragen, ein sicheres Umfeld für zivile Helfer zu schaffen und den Schutz der Bevölkerung zu gewährleisten. Ihr Mandat sieht vor, dass sie keine eigenständigen Militäraktionen durchführt, sondern sie unterstützt die afghanischen Sicherheitskräfte bei der Durchsetzung des - leider noch sehr schwachen - staatlichen Gewaltmonopols. Dabei ist ISAF auch zu militärischen Maßnahmen berechtigt. Und bedauerlicherweise ist es dabei vor allem durch die Luft- und Artillerieangriffe der USA immer wieder auch zu zivilen Opfern gekommen. Wir Grünen haben uns von Beginn an gegen diese massiven Luftangriffe gestellt. Eine menschliche Katastrophe ist daher für uns auch der am 04. September erfolgte Luftangriff der Bundeswehr auf zwei von Taliban gekaperte Tanklaster. Dies stellt einen massiven Einschnitt im bisherigen Agieren der Bundeswehr dar. Und dies gerade zu einem Zeitpunk an dem die USA die so dringend notwendigen restriktiveren Reglungen für Luftangriffe erlassen hatten. Auch hat sich in verschiedenen Regionen des Landes die Sicherheitslage dramatisch zugespitzt. Gerade im Süden und Osten des Landes führt ein Gemenge von Gewaltakteuren einen Guerillakrieg gegen Regierungsvertreter, afghanische Polizei und Armee und ISAF. Insbesondere die Taliban bringen mit Selbstmordanschlägen und Hinterhalten den Bürgerkrieg wieder in die Dörfer und Städte. Fakt ist zwar zugleich, dass in großen Teilen der Nordregion, wie auch des Westens und in Zentralafghanistan - dank der ISAF-Stabilisierungsmission - die Sicherheitslage stabil ist und ziviler Aufbau stattfindet. Nichtsdestotrotz müssen wir uns dieser Gewalteskalation stellen, anstatt wie die Bundesregierung zu beschönigen. Der von uns Grünen seit langem geforderte und von den USA nun endlich eingeleitete Strategiewechsel ist überfällig.
Dass es in Afghanistan diese Bürgerkriegszustände gibt, heißt jedoch nicht automatisch, dass die Bundeswehr dort einen Krieg führt, was mich zu Ihrer zweiten Frage bringt. Denn Krieg ist ein organisierter gewaltsamer Massenkonflikt, ein Angriff auf ein Land, mit dem Ziel der militärischen Zerschlagung des Gegners. Und das Mandat der Bundeswehr im Rahmen der internationalen VN-Mission ist es ja gerade nicht, Afghanistan zu zerstören, sondern genau im Gegenteil, ein sicheres Umfeld für den zivilen Aufbau zu schaffen. Auch wenn es nicht griffig in eine Überschrift passt, ist das Agieren der Bundeswehr daher völkerrechtlich als VN-mandatierte Zwangsmaßnahme zu beschreiben, die gemäß der VN-Charta auch den Einsatz militärischer Gewalt vorsieht. Vom Krieg unterscheidet sie sich durch ihre völkerrechtliche Legitimität, Zielsetzung (z.B. Sicherung von Friedensprozessen), Einsatzbeschränkung, Einsatzformen, Akteure und vor allem durch das diplomatisch-militärisch-zivile Zusammenwirken.
Um nicht missverstanden zu werden: Das bedeutet nicht, dass ich der Meinung wäre, dass ich die in Teilen Afghanistans kriegsähnlichen Situationen verkenne. Afghanistan allerdings generell als ein Land im Krieg und die Bundeswehr als Kriegstreiber zu beschreiben, entspricht nicht der Situation vor Ort und fördert meiner Meinung nach auch die Illusionen einer militärischen Konfliktlösung und stellt sich gerade dem zivilen Aufbau in den Weg. Wer jetzt auf einen Sofortabzug drängt, bringt Afghanistan, mit all seinen derzeit noch friedlichen Gebieten, vollends zurück in den Bürgerkrieg. Wer aber auf der anderen Seite nicht endlich den von uns Grünen geforderten Strategiewechsel einläutet, zivile Opfer vermeidet sowie nicht endlich einen konkreten Aufbauplan und zivile Etappenzivile vorlegt, der endet ebenso dort.
Wir Grüne stehen zur Verantwortung für Afghanistan und zu einem Engagement, das den Aufbau des Landes in den Mittelpunkt stellt. Wir wissen, dass die Konflikte in Afghanistan militärisch nicht zu lösen sind und fordern daher seit Jahren einen Strategiewechsel der Bundesregierung. Wir wollen die zivile Hilfe verdoppeln und dafür sorgen, dass mit mindestens 2000 europäischen PolizistInnen der Aufbau der Polizei in Afghanistan endlich umgesetzt wird. Die aktuellen Entwicklungen in Afghanistan verdeutlichen: Es wird eine vordringliche Aufgabe des neuen Bundestags und der neuen Bundesregierung sein, eine überparteiliche Kommission einzusetzen, die das Engagement in Afghanistan ehrlich und umfassend überprüft, und endlich, wie ebenfalls seit Jahren von uns gefordert, einen zivilen Aufbauplan mit konkreten und überprüfbaren Zwischenzielen vorzulegen, um darauf aufbauend auch eine Abzugsperspektive formulieren zu können.
Mit freundlichen Grüßen
Annalena Baerbock