Frage an Anna Lührmann von Angelika H. bezüglich Familie
liebe Anna Lührmann,
was halten Sie vom Wahlrecht ab Geburt?
MfG
Angelika Hagedorn
Sehr geehrte Frau Hagedorn,
theoretisch ist ein Wahlrecht ab Geburt eine wunderbare Idee. Denn warum soll politische Mündigkeit an ein bestimmtes Alter gebunden sein? Es gibt Menschen wie mich, die mit 10 bereits aus voller Überzeugung für die Grünen gestimmt hätten. Leider ist mir bisher keine brauchbare Möglichkeit bekannt, ein Kinderwahlrecht zu realisieren ohne das Eltern unzulässig stark Einfluß auf die Wahlentscheidung nehmen oder das Wahlrecht sogar als Stellvertreter ausführen.
Die Eltern „verwalten treuhänderisch die Stimmen ihrer Kinder“ bis diese selbst wahlberechtigt sind, war sogar Intention eines entsprechenden Gruppenantrags, der im Bundestag abgelehnt wurde. Auch ich habe gegen ihn gestimmt. Mit gutem Grund: Die demokratietheoretischen, verfassungsrechtlichen und praktischen Einwände gegen eine solche Wahlrechtsänderung sind gravierend. Denn eigentlich handelt es sich hierbei nicht um ein Kinderwahlrecht, sondern um ein zusätzliches Wahlrecht für die Eltern. Für ihre Bereitschaft, Kinder zu bekommen, sollen sie mit einer zusätzlichen Stimme bei den Parlamentswahlen belohnt werden, also mit einer Art parlamentarischem Kindergeld. Ein solches abgeleitetes Elternwahlrecht ist aber vom Grundgesetz aber nicht gewollt. Der Grundsatz der Allgemeinheit und der Gleichheit der Wahl schließt es aus, ein Stimmengewicht von Gruppen verschieden zu bewerten. Das Dreiklassenwahlrecht von Preußen mit seiner unterschiedlichen Stimmengewichtung nach dem jeweiligen Stand wurde bereits 1918 abgeschafft.
Das Wahlrecht ist ein höchst persönliches Recht. Es ist nicht übertragbar und es duldet keine Stellvertretung. Wenn wir die Interessen von Kindern und Jugendlichen tatsächlich mehr berücksichtigen wollen, sollten wir endlich das Wahlalter auf zunächst 16 Jahre absenken, wie wir Grüne das schon seit Jahren fordern.
Eines der Ziele eines Wahlrechts ab Geburt bleibt jedoch richtig: Unser Land muss kinderfreundlicher werden - die Rahmenbedingungen für Familien müssen weiter verbessert werden. Jungen Menschen müssen Hindernisse und Risiken aus dem Wege geräumt werden, damit sie wieder mehr Freude haben, Kinder zu bekommen. Die Aufgabe der Politik ist, die entsprechenden Rahmenbedingungen zur Verfügung zu stellen.
Die rot-grüne Bundesregierung hat mit ihren Investitionen in den Ausbau von Ganztagsschulen und Kindertagesstätten ganz neue Maßstäbe gesetzt, und das ohne ein Elternwahlrecht. Es ist doch hanebüchen, zu glauben, dass Eltern grundsätzlich mehr als andere darauf achten, dass Politik die Interessen der Kinder und der jüngeren Generation vertritt. Das ist eine reine Hypothese. Genauso könnten wir behaupten, eine weibliche Kanzlerin mache automatisch Interessenpolitik für Frauen.
Mit freundlichen Grüßen,
Anna Lührmann