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Anke Domscheit-Berg
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Frage von Hans-Joachim H. •

Frage an Anke Domscheit-Berg von Hans-Joachim H. bezüglich Innere Sicherheit

Sehr geehrte Frau Domscheit-Berg!

Der Gesundheitsminister möchte die Patientendaten aus den Arztpraxen zu Forschungszwecken an wen auch immer geben. Ist das Forschungsargument nicht bloß ein Vorwand um Patienten, Ärzte und Kankenkassen auszuspionieren? Sind das nicht ein paar Daten zu viel des Guten? Könnte ich mich dem ohne Nachteile für mich verweigern? Wird der Einzelne da überhaupt noch zu gefragt?

Schaffen Sie es als Abgeordnete sich zu allen Abstimmungen im Bundestag eine eigene Meinung zu bilden?

Kennen Sie als Grundeinkommensbefürworterin den Vorschlag von Brüne Schloen für ein Grundeinkommen? Wie könnte Ihrer Meinung nach ein Grundeinkommen finanziert werden?
Und müssen wir mit dem Grundeinkommen tatsächlich so lange warten bis die Auswirkungen der Digitalisierung da sind? Könnten Sie sich auch wegen der Menschenwürde ( wie auch Herr Schloen) für ein Grundeinkommen einsetzen? Wie ist die Meinung in Ihrer Fraktion zum Grundeinkommen?

Haben Sie schon mal meinen besten Dank für die Beantwortung der Fragen.

Mit freundlichen Grüßen

Hans-Joachim Hagen

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr H.,

vielen Dank für Ihre Nachricht und Ihre umfassenden Fragen.
Die Daten, die im Rahmen des Digitale-Versorgung-Gesetz an Forschungseinrichtungen weitergegeben werden, sind natürlich höchst sensibel. Das sieht auch die DSGVO so. Daher gab es für Bundesminister Spahn nur die Möglichkeit, ein Allgemeininteresse an diesen Daten zu behaupten, um die Ausnahmeregelungen der DSGVO in Art. 9 Abs. 2 zu nutzen. Datenschützer:innen hatten schon bei der Einführung der DSGVO kritisiert, dass diese Ausnahmeregelungen zu weich formuliert sind und durch etwaige Gesetzesvorhaben ausgenutzt werden könnten. Leider sieht das Digitale-Versorgung-Gesetz keine Option für Patient:innen vor, um sich der Weitergabe der Daten zu entziehen. Das kritisiert meine Fraktion massiv (https://www.linksfraktion.de/presse/pressemitteilungen/detail/gescheiterte-ressortabstimmung-des-digitale-versorgung-gesetz-entlarvt-spahns-gleichgueltigkeit-geg/).

Sie fragen auch, ob ich mir zur allen Abstimmungen im Bundestag eine eigene Meinung bilden kann. Nein, das kann ich nicht. Ich hatte zwar diese Vorstellung, als ich neu in den Bundestag kam, aber musste feststellen, dass man selbst mit einer 80 Stunden Woche nicht hinterherkommt, sich in jedes Politikfeld tief genug einzuarbeiten. Da geht es ja um sehr spezifische Dinge und ich habe schon sehr viel zu tun, um mich in meinem Bereich der Digitalisierung hinreichend gut auszukennen, denn das allein ist schon ein sehr weites Feld.

Ich muss mich z.B. in Gesundheitspolitik auskennen (Corona-Warn-App, Patientenakten), in Bereich des Inneren (Überwachungskameras, elektronische Personalausweise, eGovernment, Bürgerportal etc.), der Verteidigung (autonome Waffensysteme), des Äußeren (Grenzüberwachung, Spionage durch Überwachung elektronischer Datenverkehre, Huawei), Wirtschaft (Start Ups, Industrie 4.0, Home Office etc.), Verkehr und digitale Infrastruktur (Breitbandausbau, Mobilfunklöcher, Festivalfrequenzen, Carsharing, autonome Autos etc.), Bildung (Digitale Bildung), Justiz (Urheberrechtsreform, DSGVO, Hass im Internet) - und so weiter. Ich decke also vermutlich sogar eine überdurchschnittliche fachliche Bandbreite ab, aber ich kenne mich z.B. sehr wenig aus, wenn es um Ferkelkastration geht, oder um Wölfe in den Wäldern, bestimmte Forschungsprogramme oder viele andere Themen, die sehr spezifisch sind und von den jeweiligen Fachpolitiker:innen beackert werden. Diese Fachpolitiker:innen haben ihrerseits vermutlich wenig Ahnung, wenn es um sehr spezifische Themen der Digitalisierung geht. Deshalb müssen wir uns in der Fraktion auch auf einander verlassen, wir sind ein arbeitsteiliges Parlament im Bundestag. Wenn ich also keine Ahnung von Ferkelkastration habe, dann gehe ich zu unserer agrarpolitischen Expertin, Kirsten Tackmann, die mir en Detail erklären kann, was es damit auf sich hat. Das mache ich bei manchen Themen, aber selbst das schaffe ich nicht zu jedem Punkt auf der Tagesordnung - ich möchte behaupten, dass es niemand schafft. Allein die Papierunterlagen zu einer Tagesordnung eines beliebigen Donnerstags im Plenum umfassen vermutlich etliche Tausend Seiten Papier - niemand kann das lesen. Ich glaube aber, dass gerade durch die Arbeitsteilung eine bessere Politik möglich ist, denn so gibt es für jedes Thema Fachleute, die sich tief und eingehend mit der jeweiligen Sachfrage beschäftigt haben.
Zum BGE: Tatsächlich ist meine Fraktion wie auch die Partei selbst in der Frage des bedingungslosen Grundeinkommens gespalten. Ein Mitgliederentscheid soll bald die Mehrheiten deutlicher machen. Für mich persönlich ist klar, dass man von der irrigen Vorstellung wegkommen muss, dass der Wert oder die Würde eines Menschen in irgendeiner Weise mit einer bezahlten Erwerbstätigkeit verknüpft sei. Wer aber keine bezahlte Erwerbstätigkeit hat, ist oft gezwungen, Hartz 4 zu beantragen - was an sich schon einen mit der Menschenwürde kaum zu vereinbarender Prozess der individuellen Bloßstellung bedeutet, aber mit der Anwendung (oft sogar rechtswidriger) Sanktionen gänzlich unerträglich ist. Hartz 4 stigmatisiert, auch deshalb beantragen gar nicht alle diese Leistung, wenn sie darauf einen Anspruch haben, vor allem ältere Menschen leben deshalb unter Umständen in großer Armut.

Ich finde generell nicht, dass der Wert von Menschen an ihren Nutzen für die Gesellschaft geknüpft sein sollte, aber in unserer Gesellschaft wird nicht einmal ehrenamtliches und gemeinnütziges Engagement hinreichend anerkannt, weil es immer als weniger wichtig gilt, als Arbeit, für die man Geld bekommt, dabei würde kaum noch etwas funktionieren bei uns im Land, wenn es die ehrenamtlichen Helfer:innen nicht gäbe.
Deshalb setze ich mich schon seit sehr vielen Jahren für ein bedingungsloses Grundeinkommen ein. Natürlich kann man das nicht über Nacht beschließen, man muss erst mal große Fragen, wie die der Finanzierung lösen (ich bin keine Anhängerin eines bestimmten Finanzierungsmodells, ich bin keine Finanzpolitikerin, darüber sollten Expert:innen sich eine Meinung bilden - ich bin aber überzeugt davon, dass die Finanzierung ein lösbares Problem ist). Weil ich es für einfacher halte, bin ich für eine stufenweise Einführung, z.B. zuerst für alle Kinder bis zur Volljährigkeit und dann bis zum Ende ihrer Ausbildung sowie für Menschen, die das Rentenalter erreicht haben. Kein alter Mensch sollte mehr auf Ämtern um Geld betteln müssen.

Außerdem wünsche ich mir ein Pilotprojekt zum BGE, in dem über mehrere Jahre an 2-3 kleineren Orten in verschiedenen Regionen Deutschlands alle Einwohner ein BGE erhalten, das nicht nur Hartz 4 Höhe hat, sondern teilhabesichernd ist. Dieses Projekt sollte durch Forschung begleitet und analysiert werden, um viele Vorurteile zu entkräften, z.B. dass Menschen mit BGE gar nicht mehr arbeiten wollen. Aber auch, um die vielen Vorteile und Gesamtwirkungen auf die Community zu analysieren, denn schon die Daten aus dem BGE Pilot in den 70er Jahren in Kanada waren dazu sehr interessant - z.B. sanken die Scheidungsraten, mehr Kinder machten Abitur, die Krankenhausaufnahmen waren seltener und kürzer, die psychischen Erkrankungen ebenfalls. Offensichtlich ist ein BGE gut für uns.

Ich wünsche mir daher unbedingt, das BGE schon vor den ersten großflächigen Auswirkungen der Digitalisierung in Deutschland zu etablieren, denn auch nur dann können wir Zukunftsangst etwas entgegensetzen und die negativen Folgen des wirtschaftlichen Umbruchs (wie ich sie schon einmal nach dem Mauerfall im Osten des Landes erlebt habe) mildern. Bedauerlichweise werden die konservativen Kräfte in der Politik das Versäumnis erst bemerken, wenn die sozialen Verwerfungen durch die Digitalisierung deutlich spürbar werden. Meine persönlichen Gründe für das bedingungslose Grundeinkommen können Sie in meinem ausführlichen Beitrag “Der Arbeitsfetisch und das Bedingungslose Grundeinkommen” auf meinem Blog nachlesen (https://mdb.anke.domscheit-berg.de/2019/08/der-arbeitsfetisch-und-das-bedingungslose-grundeinkommen/).

Mit freundlichen Grüßen
Anke Domscheit-Berg

 

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