Frage an Anja Hajduk von Siegrid T. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Hajduk, seit der letzten Rentenreform wurden besonders die "neuen" Empfänger von Erwerbsminderungsrente hart getroffen. Trotz BSG-Urteil hält der Rentenversicherungsträger immer noch an der Rentenminderung, die bis zu 10,8% betragen kann, bei Rentenbeginn vor dem 65. Lebensjahr fest. Die Rentenreform selbst hat schon zu wesentlichen finanziellen Einbussen für die Rentner geführt. Die zusätzliche Minderung bei der EM-Rente trifft einen Personenkreis, der nicht freiwillig vorzeitig und geplant in Rente geht. In der Regel konnte ein Betroffener, der nach 2001 erwerbsgemindert wurde, nicht mehr für diesen Fall private Vorsorge leisten. Zusätzlich zu den körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen muss dieser Personenkreis sich auch noch mit finanziellen Nöten auseinander setzen. Der bis dahin erreichte soziale Status kann nicht aufrecht erhalten werden. Die Minderung bleibt auch noch nach dem Erreichen der Altersgrenze für die Altersrente bestehen, quasi bis zum Tode des Versicherten.
Tausende von Erwerbsgeminderte sind von dieser Reform betroffen und hoffen auf ein soziales Urteil des höchsten Gerichtes.
Die derzeitige Bundesregierung unterstützt die Auffassung der Rentenversicherungsträger; beide wollen Kosten sparen.
Da dieses aber wieder einmal zu Lasten der schwächeren in unserer Gesellschaft gehen soll, würde ich gerne Ihre Stellungnahme und die Ihrer Partei dazu hören .
Mit freundlichen Grüßen
Siegrid Teyssen
Sehr geehrte Frau Teyssen,
herzlichen Dank für Ihre Frage. Das Urteil des Bundessozialgerichts vom Mai 2006 (B 4 RA 22/05 R) auf das Sie sich beziehen, ist in Rechtskreisen umstritten. So hat zum Beispiel das Hessische Landessozialgericht in Darmstadt in einem späteren Urteil vom August 2007 (Az: L 5 R 228/06) dem Bundessozialgericht ausdrücklich widersprochen. Das Landessozialgericht hält die Praxis der Rentenversicherung, auf Erwerbsminderungsrenten vor dem 60. Lebensjahr Abschläge zu berechnen, für rechtens und vom Gesetzgeber so intendiert. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage und der abweichenden Auffassung vom Bundessozialgericht wurde die Revision zugelassen. Es ist somit derzeit unklar, welche Rechtsauffassung sich schlussendlich durchsetzen wird.
Nach meiner Auffassung beinhaltet die Erwerbsminderungsrente durchaus Elemente des sozialen Ausgleichs: Wenn jemand z.B. mit 50 Jahren in Erwerbsminderungsrente geht, wird bis zum 60. Lebensjahr so getan als ob die Person noch arbeiten würde und es werden weiterhin Beiträge in Höhe wie vor der Erwerbsminderung dem Rentenkonto gutgeschrieben. Auf diesem Weg wird ein sozialer Ausgleich für die Benachteiligung, die Sie zu Recht einfordern, erreicht. Denn die Anwartschaften für die Altersrente steigen, trotz Erwerbsminderung.
Die Abschläge für die Zeit zwischen dem 60. und dem 63. Lebensjahr ergeben sich aus dem Äquivalenzprinzip im Rentenrecht. Einfacher gesagt: Wer länger einbezahlt, muss eine höhere Rente bekommen als Versicherte mit kürzeren Beitragszeiten. Dies ist in meinen Augen auch ein gerechtes Vorgehen, was nicht so ohne weiteres durchbrochen werden sollte. Die Regelaltersgrenze liegt außerdem bei Erwerbsminderung (63 Jahre) niedriger als bei Versicherten ohne gesundheitlicher Beeinträchtigung (65 Jahre). Die Abschläge sind begrenzt auf max. 10,8 Prozent. Das heißt, es gibt drei Elemente, die die Benachteiligung ausgleichen: erstens die niedrigere Regelaltersgrenze, die nicht selbst finanzierten höheren Versicherungsbeiträge und eine Obergrenze für die Abschläge. Ich bin der Überzeugung, dass wir beides vereinen müssen: Einen sozialen Nachteilsausgleich für Erwerbsgeminderte auf der einen Seite und ein Leistungsrecht, dass auf der andern Seite die heutigen Einzahler in die Rentenversicherung auch nicht überfordert.
Wir GRÜNEN wollen jedoch keine Heraufsetzung der Regelaltersgrenze für Erwerbsgeminderte, wie dies die Bundesregierung bereits beschlossen hat. Wir fordern außerdem höhere Zuverdienstmöglichkeiten für Rentnerinnen und Rentner, die erwerbsgemindert sind, aber noch stundenweise arbeiten können und wollen.
Mit herzlichen Grüßen
Anja Hajduk