Frage an Anja Hajduk von Thomas K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Hajduk,
in diesem Jahr wird im Bundestag über eine gesetzliche Regelung der Sterbehilfe beraten. Mich würde interessieren, ob Sie einem der vier vorliegenden Entwürfe zustimmen, und wenn ja, welchem. Alle diese Entwürfe beinhalten Einschränkungen gegenüber der bestehenden Rechtslage, nach der eine Beihilfe zur Selbsttötung nicht strafbar ist. Ist es notwendig, daran etwas zu ändern und wenn ja, warum? Sollte der Staat einen Menschen, der dies nicht will, mittels Gesetzgebung zum (Weiter-)Leben zwingen können? Welche Güterabwägung ist hier anzuwenden?
Sehr geehrter Herr Köller,
am 6. November 2015 entschied der Bundestag in letzter Lesung über die Frage des rechtlichen Rahmens zur Regulierung der Beihilfe zum Suizid. Ich bin tief davon überzeugt, dass es sich bei dieser Entscheidung um eine Frage handelt, über die man trefflich streiten und zu der man – vor allem in der konkreten Frage der Bewertung der vorliegenden Gesetzesinitiativen – aus sehr guten Gründen, zu ganz unterschiedlichen Einschätzungen kommen kann. Ich respektiere darum, aus voller Überzeugung, die freie Entscheidung aller Kolleginnen und Kollegen, genauso wie ich für mich gut begründen kann, warum ich mich so entscheide, wie ich mich entscheide.
Die Initiative für eine gesetzliche Regelung ging nicht von den Befürwortern aus, sondern von denen, die sich für ein Verbot gegenüber der bisherigen Praxis aussprechen. Auf diese Initiative hin wurden von mehreren fraktionsübergreifenden Abgeordnetengruppen unterschiedliche Entwurfsvorschläge verfasst. Der Antrag den ich unterstütze und mitgezeichnet habe von Hintze, Lauterbach u.a., zielt darauf ab, in einem ganz eng definierten Rahmen (unheilbare Erkrankung, die unumkehrbar zum Tod führt, zur Abwendung eines krankheitsbegleitenden Leidens) Hilfestellung eines Arztes bei der selbstvollzogenen Beendigung des Lebens in Anspruch zu nehmen (keine aktive Sterbehilfe, mit zweiter unabhängiger ärztlichen Stellungnahme; Ausschluss psychischer Erkrankungen,…) im Bürgerlichen Gesetzbuch zu regeln, dass ein volljähriger Mensch in einer solchen Frage ärztliche Beratung und Hilfe in Anspruch nehmen darf. Die Hilfestellung von Ärzten hierzu sind freiwillig. Ich habe mir von dieser Ausnahmemöglichkeit versprochen, gerade auch einen suizid-präventiven Effekt, von dem viele berichten können, die in diesem Bereich arbeiten. Eine professionelle Beratung bei dem Arzt oder der Ärztin des eigenen Vertrauens, hat schon oft dazu beigetragen, viel Angst zu verlieren und dann von einem möglicherweise vorher „gewünschten“ Suizid auch wieder Abstand zu nehmen.
Ein Anwachsen von Sterbehilfevereinen und deren „Dienstleistung“ empfinde ich nicht als wünschbar. Meiner Meinung nach wird ein solches Angebot, wenn ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden darf obsolet, ebenso wie der „Sterbehilfereisetourismus“ in europäische Nachbarländer, die aktive Sterbehilfe anbieten.
Meine Sorge bei dem nun durchgekommenen Gesetzentwurf von Brand und Griese ist, dass er den Effekt haben kann, heute so wichtige, durchaus praktizierte ärztliche Beratung in diesem Grenzbereich unter Strafe zu stellen und damit zurückzudrängen. Zudem befürchte ich Rückschritte in der Palliativ- und onkologischen Medizin.
Antrag der Abgeordneten Peter Hintze, Dr. Carola Reimann, Dr. Karl Lauterbach, Burkhard Lischka, Drucksache 18/5374.“
Link: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/053/1805374.pdf
Mit freundlichen Grüßen
Anja Hajduk