Frage an Angelika Brunkhorst von Rolf W. S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
(2. Versuch)
Guten Tag Frau Brunkhorst!
Was sagen Sie zu der Diskussion auf der Homepage des ZDF in Sachen Eva Herman ? Besteht Handlungsbedarf beim Zusammenspiel Bürgermeinung -> Auftrag öffentliche (rechtliche) Medien? Sehen Sie hier ein grundsätzliches Problem, das durch die betreffende Kerner-Sendung, ausgelöst wurde? Wie erklären Sie sich die Widersprüche, der unterschiedlichen Darstellungen in den Medien und die Öffentliche Wahrnehmung? So ist im Weser-Kurier insgesamt viermal auf dieses Thema Bezug genommen worden; immer gegen Eva Hermann. Eine Gegenmeinung, obwohl ich bei den vielen Meinungsäußerungen in vielen Foren (ca. 35 000 alleine im ZDF) stets eine große Empörung über Kerner/ZDF in den Zuschriften lese, blieb bis heute aus. Sieht so unsere zukünftige Demokratie, auch in Verbindung mit der Vorratsdatenspeicherung, Kennzeichenscanning, Massengentest usw, aus???
Mit freundlichen Grüßen
Rolf W. Schöler
Sehr geehrter Herr Schöler,
die Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes haben zahlreiche Möglichkeiten, sich mit den verschiedenen Medien in Verbindung zu setzen, um ihre Meinung zu äußern.
Lassen Sie mich Ihnen in Sachen Vorratsdatenspeicherung sagen, dass die FDP-Bundestagsfraktion Anfang November sowohl im Rechtsausschuss als auch im Bundestag gegen den Gesetzentwurf und gegen die dort vorgesehene Vorratsdatenspeicherung gestimmt hat.
Ihre Frage zeigt, dass die Bedeutung des Grundrechtsschutzes in einer größeren Öffentlichkeit angekommen ist. Aus Sicht der FDP-Bundestagsfraktion gibt es Anlass zur Besorgnis genug. Nach biometrischen Merkmalen in Pässen und künftig wahrscheinlich auch in Personalausweisen, nach immer intensiveren Zugriff auf die Kontendaten der Bürgerinnen und Bürger, nach immer weiteren Befugnissen für Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutzbehörden, militärischem Abschirmdienst mit Zugriff auf umfangreiche private Datenbestände, nach einem ständigen Anstieg der Telefonabhörmaßnahmen auf ca. 43 Tausend im Jahr 2006 stand Anfang November mit dem Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen die Vorratsdatenspeicherung an.
Worum geht es: Wer mit wem und wo kommuniziert, das soll mit der Vorratsdatenspeicherung umfassend erfasst werden. Alle Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen sollen künftig verpflichtet werden, alle Verkehrsdaten zu speichern, also alles, was beim Telefonieren, Surfen, Mailen oder SMS-Versenden oder Empfangen an Daten anfällt. So sollen z.B. die Rufnummer sowie Beginn und Ende der Verbindung, geordnet nach Datum und Uhrzeit, bei Handy-Telefonaten und SMS auch der Standort des Benutzers festgehalten werden. Davon betroffen sind ca. 80 Millionen Bürgerinnen und Bürger, und selbstverständlich darunter auch diejenigen, die einen Beruf ausüben, wo es auf die besondere Vertraulichkeit der Gespräche mit ihren Kunden, Mandanten, Klienten und Patienten ankommt.
Bislang dürfen Abrechnungsdaten von den Anbietern maximal sechs Monate nach Versendung der Rechnung gespeichert werden, wobei diese Frist in der Praxis nicht ausgenutzt wird. Durchschnittlich werden die Verbindungsdaten nur drei Monate gespeichert. Künftig werden alle eingehenden und abgehenden Anrufe oder SMS-Gesprächsinhalte gespeichert.
Die Vorratsdatenspeicherung bedeutet einen Paradigmenwechsel im Datenschutz, seitdem das Volkszählungsurteil 1983 das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung geschaffen hat. Das Grundrecht soll gerade vor unbegrenzter Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe höchstpersönlicher Daten schützen. Dies leitet sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Artikels 2 Absatz 1 Grundgesetz in Verbindung mit der Unantastbarkeit der Menschenwürde gemäß Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz ab. Einschränkungen dieses Grundrechtes sind nur unter strikten engen Vorgaben zulässig. Die Vorratsdatenspeicherung im vorliegenden Gesetzentwurf sieht dagegen vor, dass verdachts- und anlassunabhängig diese Telekommunikationsverbindungsdaten gespeichert werden. Ohne konkreten Zweck und ohne Einschränkung des Personenkreises. Eine Maßnahme, von der die gesamte Gesellschaft betroffen ist und alle, die telefonieren, pauschal unter Verdacht gestellt werden.
Das Bundesverfassungsgericht hat zur verfassungswidrigen verdachtslosen Rasterfahndung 2006 gesagt: „Grundrechtseingriffe, die sowohl durch Verdachtslosigkeit als auch durch eine große Streubreite gekennzeichnet sind – also bei denen zahlreiche Personen einbezogen sind, die in keiner Beziehung zu einem konkreten Fehlverhalten stehen und den Eingriff durch ihr Verhalten nicht veranlasst haben – weisen eine hohe Eingriffsintensität auf. Denn der Einzelne ist in seiner grundrechtlichen Freiheit umso intensiver betroffen, je weniger er selbst für einen staatlichen Eingriff Anlass gegeben hat.“
Von diesen pauschalen Eingriffen gehen Einschüchterungseffekte aus, die zur Beeinträchtigung bei der Ausübung von Grundrechten führen können. Wie soll die Vertraulichkeit der Kommunikation gewährleistet werden, wenn alle Bürgerinnen und Bürger davon ausgehen müssen, dass ihr Telefonverhalten sechs Monate lang penibel nachvollziehbar ist. Und am Rande sei bemerkt: Wenn diese technischen Angaben vorliegen, ist es ein Leichtes, daraus auch Zugriff auf Inhalte von Telefongesprächen zu nehmen.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung stützt sich darauf, dass eine Richtlinie der Europäischen Union umzusetzen sei. An dieser Richtlinie hat die Bundesregierung aktiv mitgewirkt, und sie hat sich dafür eingesetzt, nachdem der Deutsche Bundestag sie dazu aufgefordert hat, möglichst kürzere Speicherfristen, weniger Daten, Benachrichtigungen und Löschungsangaben mit in die Richtlinie aufzunehmen.
Fakt bleibt aber: Die Bundesregierung hat aktiven Beitrag zum Entstehen dieser Richtlinie geleistet. Einer Richtlinie, die mit Mehrheit in der Europäischen Union beschlossen wurde, nachdem der Rahmenbeschluss in seinem Entwurf, der Einstimmigkeit bedurft hätte, nicht durchgekommen ist. Jetzt ist ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof anhängig, ob diese Richtlinie auf der richtigen Rechtsgrundlage beruht. Deshalb ist es das Gebot der Stunde, in keinem Fall jetzt die Vorratsdatenspeicherung im deutschen Recht zu regeln, ohne definitiv zu wissen, ob überhaupt eine EU-Richtlinie Bestand haben wird, die die Bundesregierung zur Umsetzung verpflichtet. Deshalb haben wir die Bundesregierung unmissverständlich aufgefordert, die Vorratsdatenspeicherung aus dem Gesetzentwurf herauszunehmen und warten die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes abzuwarten.
Aber auch unabhängig von der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes ist klar: Diese Vorratsdatenspeicherung begegnet massiven verfassungsrechtlichen Bedenken und ist nicht notwendig.
Die Vorratsdatenspeicherung erfüllt nicht die Anforderung, die die Kernelemente des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung vorgeben.
Die Vorratsdatenspeicherung gefährdet die Vertraulichkeit der Kommunikation.
Die Vorratsdatenspeicherung stellt pauschal alle Bürgerinnen und Bürger unter Verdacht und ordnet deshalb die Speicherung aller ihrer Telekommunikationsverbindungsdaten für sechs Monate an.
Die Vorratsdatenspeicherung ist nicht notwendig, weil es mit dem „Quick Freeze“-Verfahren eine Möglichkeit gibt, grundrechtschonender bei konkreten Verdachtsmomenten die Telekommunikationsverbindungsdaten für einen begrenzten Zeitraum von verdächtigen Personen zu speichern. Alle Telekommunikationsverbindungsdaten, alle telefonierenden und surfenden Bürgerinnen und Bürger pauschal zu speichern ist grundrechtswidrig.
Die Bundesregierung setzt die Richtlinie der Europäischen Union nicht nur um, sondern geht bei der Umsetzung deutlich darüber hinaus.
Die EU-Richtlinie sieht vor, dass Daten zum Zweck der Ermittlung und Feststellung und Verfolgung von schweren Straftaten gespeichert werden dürfen. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung reichen schon Straftaten von erheblicher Bedeutung sowie der Verdacht einer mittels Telekommunikation begangenen Straftat aus. Danach sind unstreitig auch leichtere Straftaten, aber beispielsweise Beleidigungen am Telefon erfasst.
Weiter soll nach der Richtlinie nur Strafverfolgungsbehörden der Zugriff auf die gespeicherten Daten gewährt werden. Eine Ausweitung der Nutzung für präventive Zwecke ist in der Richtlinie nicht vorgesehen. Die Bundesregierung geht aber noch weiter. Auch Geheimdienste und Polizeibehörden sollen zur Gefahrenabwehr Zugriff auf die Vorratsdaten bekommen. Ein weiterer Schritt weg von der Repression hin zur Prävention. Damit verschieben sich erneut die Grenzen des Rechtsstaats.
Bundesjustizministerin Zypries rechtfertigt die Vorratsdatenspeicherung damit, dass sie für eine effektive Strafverfolgung und für die Gefahrenabwehr das grundrechtschonendste Mittel in der vorgesehenen Form sei. Diese Zwecke sind weder im Sinne der Forderungen des Bundesverfassungsgerichts bereichsspezifisch noch präzise genug bestimmbar. Eine Eingrenzung gerade auf bestimmte Straftaten erfolgt nicht. Vielmehr sind diese genannten Zwecke als Generalklauseln zu verstehen, unter die sich die unterschiedlichsten Sachverhalte subsumieren lassen.
Es gibt Personen, die Berufe ausüben, bei denen die Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes und die Vertraulichkeit der Kommunikation zum unverzichtbaren Bestandteil der Berufsausübung gehören. Dies wird durch die Einräumung von Zeugnisverweigerungsrechten in der Strafprozessordnung garantiert. Leider wird mit dem Gesetzentwurf nicht die Chance genutzt, den Journalisten, die auf die Vertraulichkeit der ihnen gegebenen Informationen unverzichtbar angewiesen sind, einen absoluten Schutz dieser vertraulichen Kommunikation zu gewähren. Im Gegenteil: Es wird differenziert zwischen Strafverteidigern, Geistlichen und Abgeordneten auf der einen Seite, die absoluten Schutz vor Ermittlungsmaßnahmen bekommen, und den Ärzten, Journalisten, Rechtsanwälten und anderen Personen, denen der Schutz nur im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung gewährt wird. Dies bedeutet, dass auf die Telekommunikationsverbindungsdaten der Journalisten im Rahmen dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung Zugriff genommen werden kann. Jeder Informant wird sich künftig überlegen, ob er sich einem Journalisten offenbart, der investigative Journalismus wird dadurch erheblich erschwert werden.
Mit freundlichen Grüßen
Angelika Brunkhorst