Frage an Angelika Brunkhorst von Tino O. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Brunkhorst,
mir ist es bis zum heutigen Tag ein Rätsel, wie Sie innerhalb eines Jahres erst der Laufzeitverlängerung und dann keine 12 Monate später dem Atomausstieg zustimmen konnten. Dabei bin ich mir im Klaren, dass Sie hier nur stellvertretend für die gesamte Koalition stehen, wodurch sich jedoch ein weiteres, allgemeines Abgeordnetenproblem ergibt - der Verpflichtung gegenüber dem eigenen Gewissen.
Als Antwort sollte und kann ich nicht gelten lassen, dass sich nach dem Atomunglück in Japan angeblich die Gefahrenlage verändert hätte. Diese war auch zuvor bereits kritisch, da sich seit Tschernobyl die Techniken der WWER- bzw. Druckwasser-Reaktoren nicht wesentlich verändert haben. Zudem war und ist das Endlagerproblem bis zum heutigen Tag nicht gelöst. Selbst für schwach radioaktive Abfälle existiert kein schlüssiges, langfristiges Konzept - siehe Asse oder Morsleben.
Das Beispiel der Energiepolitik dient mir auch nur stellvertretend zur Fragestellung:
Sieht so verlässliche, langfristige Politik aus?
Mit freundlichen Grüßen
T. Offergeld
Sehr geehrter Herr Offergeld,
Sie stellen aufgrund der energiepolitischen Entscheidungen der Bundesregierung zur Laufzeitverlängerung bzw. Atomausstieg die (aus Ihrer Sicht: rhetorische) Frage, ob so „verlässliche, langfristige Politik“ aussehe.
Gerne erläutere ich Ihnen, warum es sich bei den Entscheidungen um verlässliche und langfristige Politik handelt.
Die christlich-liberale Koalition hatte im Herbst 2010 im Rahmen eines umfassenden Energiekonzepts auch eine befristete Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke (KKW) beschlossen. Die Laufzeitverlängerung war kein Selbstzweck, sondern wurde vor dem Hintergrund der energiepolitischen Ziele beschlossen. Ziel war und ist eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche Stromversorgung.
Das Energiekonzept hat einen Weg in ein regeneratives Zeitalter aufgezeigt, mit dem wir 80 Prozent erneuerbarer Strom bis 2050 und - ebenfalls bis zur Mitte des Jahrhunderts – Senkung der CO2-Emissionen um 80 bis 95 Prozent erreichen möchten. So ehrgeizig war keine Vorgängerregierung.
Dieses Energiekonzept umfasste als einen Baustein eine befristete Laufzeitverlängerung für KKW. Diese Entscheidung war mit dem Wissen erfolgt, dass deutsche KKW über ein hohes Sicherheitsniveau verfügen: Genehmigungsvoraussetzung für jedes einzelne deutsche KKW war der Nachweis der nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlichen Schadensvorsorge. Die Einhaltung des hohen Schutzniveaus deutscher KKW wurde schon bisher und wird auch weiterhin im Rahmen von Änderungs-Genehmigungen, periodischen Sicherheitsüberprüfungen und der laufenden Überwachung durch die zuständigen Atomaufsichtsbehörden kontrolliert.
Weil die friedliche Nutzung der Kernenergie mit einem – wenn auch sehr geringen - Restrisiko verbunden ist, betrachtet die FDP die Kernenergie seit über 20 Jahren, lediglich als Übergangstechnologie. Der aktuelle Koalitionsvertrag zwischen FDP und CDU/CSU spricht insoweit von Brückentechnologie. Wir wollten und wollen die Kernenergie nur solange nutzen, bis sie durch erneuerbare Energien verlässlich ersetzt werden kann.
CDU/CSU und FDP haben im Energiekonzept den Atomausstieg nicht generell in Frage gestellt, sondern bekräftigt, perspektivisch auf die Kernenergie verzichten zu wollen. Im Gegensatz zu rot-grün haben wir aber nicht lediglich den Atomausstieg beschlossen, sondern zugleich einen gangbaren Weg in das Zeitalter der regenerativen Energien aufgezeigt.
An den Zielen des Energiekonzepts hat sich auch nach Fukushima nichts geändert. Dementsprechend war die Begründung für den mit der 13. Atomgesetznovelle beschlossenen Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie nicht der konkrete Unfall-Ablauf in Fukushima. Die Ereignisse von Fukushima waren lediglich der Auslöser für eine allgemeine neue Bewertung der friedlichen Nutzung der Kernenergie in Deutschland.
Bei der Prüfung im Rahmen des Kernenergie-Moratoriums ging es dementsprechend auch nicht darum, ob die deutschen KKW die schon bislang äußerst strengen Sicherheitsanforderungen erfüllen. Das ist selbstverständlich und wurde auch bislang schon von den zuständigen Atomaufsichtsbehörden überwacht. Es ging jetzt insbesondere darum zu klären, ob die die dem kerntechnischen Regelwerk zugrundeliegenden sicherheitstechnischen Annahmen aufgrund der Ereignisse in Japan angepasst werden müssen, um die vorhandenen Sicherheitsreserven zu erhöhen.
Der Reaktorunfall von Fukushima hätte in Deutschland nicht stattgefunden. Es liegt auf der Hand, dass es in Deutschland keine vergleichbaren Erdbeben und auch keine Tsunamis geben wird. Zudem ist der Reaktorunfall von Fukushima auf Auslegungsdefizite der Anlagen zurückzuführen. Das Versagen der Notstrom- und Notkühlungssysteme infolge des Tsunamis basiert auf einer gemeinsamen Fehlerursache. In dieser Region war mit Tsunamis zu rechnen. Bei der Konstruktion der Anlage Fukushima Daiichi hätte also für eine entsprechend hohe Eindeichung gesorgt werden müssen. Notstromdiesel und Notkühlpumpen waren jedoch nicht ausreichend gegen Überflutung durch Tsunamis gesichert.
Die Ereignisse in Japan bedeuteten gleichwohl eine Zäsur, die insbesondere aus drei Gründen zu einer Neubewertung von Risiken auch in Deutschland Anlass gab:
Uns wurde – erstens – drastisch vor Augen geführt, dass auch unwahrscheinliche Kombinationen von potentiellen Schadensereignissen mit bedacht werden müssen. Dementsprechend war die Sicherheitslage auch in Deutschland neu zu bewerten.
Zweitens hätte sich zudem kaum jemand vorstellen können, dass es in einem High-Tech-Land wie Japan zu einem solchen Unfall kommen kann. Anders als beispielsweise in Tschernobyl ist das Reaktorunglück von Fukushima nicht auf einen fehlgesteuerten Test und Verstöße gegen Betriebsvorschriften zurückzuführen. Einen Graphitbrand wie in Tschernobyl gab es in Fukushima nicht. Ein solcher ist auch in Deutschland ausgeschlossen, weil in unseren Leichtwasserreaktoren – anders als in Tschernobyl - Wasser als Moderator verwendet wird. Es ist übrigens auch nicht angemessen unter Hinweis auf Tschernobyl von einer bestehenden „Gefahrenlage“ im Hinblick auf die friedliche Nutzung der Kernenergie in Deutschland zu sprechen, denn ein Reaktor, wie der in Tschernobyl, wäre in Deutschland niemals genehmigt worden.
Drittens hatten sowohl der Betreiber als auch die japanischen Behörden größte Mühe, die Katastrophe in den Griff zu bekommen. Auch insoweit muss man sich vor Augen halten, dass der Unfall nicht in einem unterentwickelten Land geschehen ist, sondern auf dem Staatsgebiet einer Industrienation.
Unabhängig davon, dass die Anlagen in Fukushima Auslegungsdefizite aufwiesen, gaben die Ereignisse also Anlass über die Dauer der friedlichen Nutzung der Kernenergie in Deutschland nachzudenken.
Die Delegierten zum 62. Ordentlichen Bundesparteitag der Freien Demokratischen Partei, der vom 13. bis 15. Mai 2011 in Rostock stattgefunden hat, haben sich intensiv mit der Frage der Energieversorgung befasst. Im entsprechenden Bundesparteitagsbeschluss, den sich auch der Bundesvorstand der FDP zu eigen gemacht hat, wird deutlich gemacht, dass sich die Sicherheit der deutschen Kernkraftwerke durch die Ereignisse in Japan nicht verändert hat. Allerdings müssen wir unsere Sicherheitsreserven einer neuen Beurteilung unterziehen, gerade hinsichtlich des Auftretens kombinierter Ereignisse. Wörtlich heißt es darin u.a.:
„Die FDP will die Kernkraft so rasch beenden, wie es die Netzstabilität, der schnellst mögliche Ausbau der erneuerbaren Energien und die forcierte Steigerung der Energieeffizienz erlauben. Dabei achten wir auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und die Kostenbelastung für die Haushalte. Die Entscheidung über einzelne Kernkraftwerke muss nach der Sicherheitsüberprüfung erfolgen.
(…)
Wir wollen die Kernenergie hinter uns lassen, so schnell wie möglich, aber nicht schneller als möglich."
Den Beschluss "Sicher, bezahlbar und umweltfreundlich – auf dem Weg ins Zeitalter erneuerbarer Energien" finden Sie über folgenden Link: http://www.fdp.de/Beschluesse/1107b396/index.html .
Unter Berücksichtigung dieses Parteitagsbeschlusses und insbesondere auch aufgrund der Berichte der Reaktorsicherheitskommission und der sog. Ethikkommission sind wir in der Koalition mit CDU und CSU nach einem Abwägungsprozess zu dem Ergebnis gekommen, dass wir schneller aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie aus- und auf die risikoärmeren Erneuerbaren Energien umsteigen sollten, als dies bei der Verabschiedung des Energiekonzepts im letzten Herbst absehbar war.
Dieser Atomausstiegsbeschluss basiert auf einer rationalen Abwägungsentscheidung auf Grundlage der genannten Argumente sowie den genannten Berichten von RSK und der sog. Ethikkommission und erforderte eine Modifizierung unseres Energiekonzepts.
Energiepolitisches Ziel der FDP war, ist und bleibt eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche Stromversorgung.
Zum Schluss nur ein paar Worte zur Endlagerfrage. Schacht Konrad ist als Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle genehmigt (www.endlager-konrad.de). Nachdem sowohl unter der damaligen rot-grünen Bundesregierung als auch unter der sog. großen Koalition keine Einigung in der Endlagerfrage für hochaktive Abfälle erzielt wurde, besteht jetzt nach dem von der christlich-liberalen Koalition beschlossenen Atomausstieg die Hoffnung, dass ein nationaler Endlagerkonsens möglich ist. Wie Sie sicherlich den Medien entnommen haben, hat Bundesumweltminister Dr. Norbert Röttgen angekündigt, bis Sommer 2012 unter Einbeziehung der Bundesländer ein entsprechendes Gesetz zu erarbeiten, das von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden soll. Die ersten Sitzungen der entsprechenden Bund-Länder-Arbeitsgruppe haben bereits stattgefunden.
Mit freundlichen Grüßen
Angelika Brunkhorst