Frage an Andreas Steppuhn von Ulrich B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Ihre Antwort an Herrn . S. v. 3. .
Sehr geehrter Herr Steppuhn,
woher haben Sie Ihre Kenntnisse das die Vollversammlung der IHK demokratisch gewählt wird? Eine vom Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) in Auftrag gegebene Dissertation zur Erlangung der juristischen Doktorwürde wörtlich ( Groß a.a.O., S 39) Für die Wahlen der IHKs folgt hieraus dass sie nicht dem Geltungs- und Anwendungsbereich des Demokratieprinzips unterliegen.
Mit freundlichen Grüßen
Britzelmair Ulrich
Sehr geehrter Herr Britzelmair,
vielen Dank für Ihre Frage zur Wahl der Vollversammlungen von Industrie- und Handelskammern.
Gemäß § 5 Absatz 1 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern aus dem Jahr 1956 (IHK-Gesetz) werden die Mitglieder der Vollversammlung von den Kammerzugehörigen gewählt.
"Kammerzugehörige" sind natürliche Personen, Handelsgesellschaften und juristische Personen des privaten und öffentlichen Rechts, die im Gebiet der jeweiligen Industrie- und Handelskammer eine Betriebsstätte unterhalten und zur Gewerbesteuer veranlagt sind. (§ 2 Absatz 1) http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/ihkg/gesamt.pdf
Einzelheiten (Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts, Durchführung der Wahl, Dauer der Mitgliedschaft usw.) regeln gemäß § 5 Absatz 3 des IHK-Gesetzes die Wahlordnungen der jeweiligen Industrie- und Handelskammern vor Ort.
Bitte erlauben Sie mir, dies am Beispiel der Wahlordnung der Industrie- und Handelskammer Trier zu verdeutlichen:
Die Mitglieder der Industrie- und Handelskammer Trier werden (unterschieden nach Landkreisen im Kammerbezirk) in Wahlgruppen aufgeteilt: Industrie, Einzelhandel, Groß- und Außenhandel, Verkehrsgewerbe, Hotel- und Gaststättengewerbe, Versicherungs- und Handelsvermittlung, Dienstleistungen und Kreditinstitute.
Derartige Regelungen sollen sicherstellen, dass die verschiedenen Branchen entsprechend ihrer ökonomischen Bedeutung im Kammerbezirk angemessen beteiligt werden. Nur die faire Vertretung aller relevanten Branchen stellt die Wahrung des Allgemeinwohls sicher. Es soll verhindert werden, dass bestimmte Branchen (z. B. die Industrie) ihre Einzelinteressen auf Kosten anderer (z. B. des Handels) durchsetzen könnten.
Jedes IHK-Mitglied kann für seine jeweilige Wahlgruppe Wahlbewerbungen einreichen. Es ist auch zulässig, sich selbst vorzuschlagen! Gewählt sind in den einzelnen Wahlgruppen diejenigen Bewerber, die die meisten Stimmen erhalten haben. (§ 14 Absatz 1 der Wahlordnung der IHK Trier) http://cms.ihk-trier.de/ihk-trier/Integrale?MODULE=Frontend.Media&ACTION=ViewMediaObject&Media.PK=4987&Media.Object.ObjectType=full
Einzelne juristische Meinungen, wie die von Ihnen erwähnte Dissertation, die mir nicht vorliegt, kann ich nicht bewerten.
Politisch ist wichtig, dass die Regelungen zur Wahl von IHK-Vollversammlungen verfassungsgemäß sind. Es steht selbstverständlich jedem Betroffenen frei, im Wege der Verfassungsbeschwerde o. ä., beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die etwaige Verfassungswidrigkeit einer IHK-Wahl feststellen zu lassen. Mir ist nicht bekannt, dass eine derartige Klage jemals Erfolg gehabt hätte.
Demokratische Defizite bestehen meiner Meinung nach auch nicht in der Aufteilung der IHK-Mitglieder in Wahlgruppen nach Branchen oder im Wahlverfahren selbst, sondern darin, dass in Industrie- und Handelskammern nur der Arbeitgeberseite der jeweiligen Branchen die Mitgliedschaft zuerkannt wird.
Leider wird die Arbeitnehmerseite (im Gegensatz zu Körperschaften öffentlichen Rechts in Sozialversicherungen und Handwerk) bisher nicht an der Arbeit der Industrie- und Handelskammern und ihren Vollversammlungen beteiligt. Eine Ausnahme stellt nur der IHK-Berufsbildungsauschuss dar, an dem die Gewerkschaften als Vertreter der Arbeitnehmer angemessen beteiligt sind. (§ 77 Absatz 1 Berufsbildungsgesetz) http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/bbig_2005/gesamt.pdf
Weil die Industrie- und Handelskammern wichtige öffentliche Aufgaben (z. B. in der beruflichen Bildung) erfüllen, trete ich nicht für ihre Abschaffung ein - wie sie von (neo-) liberalen oder libertären Ideologen zuweilen gefordert wird. Als Sozialdemokrat trete ich aber für die Demokratisierung der Industrie- und Handelskammern ein, d. h. die gleichberechtigte Beteiligung von Arbeitnehmervertretern und ihren Gewerkschaften.
Es ist im Übrigen auch eine Aufgabe der demokratischen Öffentlichkeit darauf zu achten, dass die Industrie- und Handelskammern ihre Aufgabengrenzen nicht überschreiten und sich unzulässig in die ureigenen Aufgaben von Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften oder Parteien einmischen. § 1 Absatz 5 des IHK-Gesetzes zieht für die politische Praxis von Industrie- und Handelskammern richtigerweise eine strenge Grenze: "Nicht zu den Aufgaben der Industrie- und Handelskammern gehört die Wahrnehmung sozialpolitischer und arbeitsrechtlicher Interessen."
Ich freue mich daher, wenn Sie die Aktivitäten der Industrie- und Handelskammern kritisch begleiten - als Mitglied einer IHK, als Arbeitnehmer eines IHK-Betriebes oder als Bürger.
Für weitere Rück- oder Nachfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Steppuhn, MdB