Frage an Andreas Lämmel von Klaus N. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Lämmel,
ich danke Ihnen für die klärenden Mitteilungen vom 3.12. 07 zu Ihrer Tätigkeit als Vorsitzender des Aufsichtsrates der WGS Dresden.
Beim Lesen Ihrer Antworten blieb ich bei der Anfrage von Herrn Pierre Vlacek hängen. Ich muß ich darauf zurück kommen,wenn Sie postulieren, daß die Weimarer Republik zugrunde gegangen ist, weil sie nicht "wehrhaft" genug gewesen sei. Das ist natürlich ein Rückgriff in die demagogische Mottenkiste, denn Sie wissen sehr wohl, daß die Machtübernahme der Nazis im Ergebnis freier demokratischer und allgemeiner Wahlen und nicht anders erfolgt ist. Der Untergang der Weimarer Republik ist also ursächlich vom rasanten Ansehensverlust der demokratischen Parteien ausgelöst worden. Um eine Wiederholung auszuschließen reicht nun die Vorratsdatenspeicherung nicht, Sie müßten sich frei nach Brecht ein anderes Volk wählen oder die Wahlen ganz abschaffen bzw. nach DDR-Muster modifizieren. Ich habe keinen Zweifel, daß die CDU auch zu letzterem bereit wäre, schließlich haben Sie mit den Blockflöten aus gleich mehreren Blockparteien der DDR genügend Erfahrungsträger in Ihren Reihen, von den Altnazis nach 1945 nicht zu reden.Nun zu meiner Frage:
Welche Gründe haben Sie, das politische System der Bundesperublik Deutschland und ihre Mandatsträger noch für demokratisch legitimiert anzusehen, wo doch etwa die Hälfte des Volkes sich bereits demonstrativ abgewendet hat und seit Jahren den Wahlen fern bleibt, die beiden "großen" Volksparteien also nur erheblich weniger als die Hälfte des Stimmvolkes auf sich vereinigen?
Und:
Worauf soll sich das Vertrauen des Volkes in die Regierung und Volksvertretungen gründen, wenn in Ihrer Regierungsfraktion CDU eine solch laxe Mandatsausübung wie im Falle des Herrn Bundestagsabgeordneten Merz geduldet wird, der mit gleich mehreren Aufsichtsratsposten ein Jahreseinkommen von weit über 100.000,-EUR erzielt, das Mandat also nur noch als willkommenes Zubrot fungiert?
Niedermüller
Sehr geehrter Herr Niedermüller,
vielen Dank für Ihre Fragen vom 4. Dezember 2007, mit der Sie auf meine erste Antwort an Sie vom 3. Dezember 2007 reagiert haben. Sie nehmen darin Bezug auf meine Antwort vom 30. November 2007 auf die Anfrage von Herrn Vlcek und meine Bemerkung zur „wehrhaften Demokratie“.
Herr Vlcek hatte in seiner Frage vom 28. November 2007 zur „Vorratsdatenspeicherung“ unter anderem ausgeführt „Das Deutschland der Zwanziger Jahre war ebenfalls ein Rechtsstaat. Aber wenn Hitler ein Rattenfänger war, muss irgendwer für all die Ratten verantwortlich gewesen sein, die ihn wählten.“
Ich hatte in diesem Zusammenhang geantwortet, (…) dass die Weimarer Republik auch deswegen zerstört werden konnte, weil die damalige Demokratie nicht wehrhaft genug gegen Extremisten und die erklärten Feinde der Demokratie war“. Meiner Meinung nach verschließt sich die Erklärung des Untergangs der Weimarer Republik monokausalen Erklärungen. Deswegen hatte ich auch formuliert „auch deswegen“, um deutlich zu machen, dass dies ein Grund unter vielen und nicht der Einzige war.
In der heutigen Gedenkveranstaltung des Deutschen Bundestages „Die Zerstörung der Demokratie in Deutschland vor 75 Jahren“ ging es um dieses Thema. Wenn es Sie interessiert, würde ich Ihnen empfehlen, die Reden von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und dem ehemaligen Bundesminister Hans-Jochen Vogel (SPD) auf der Bundestagsinternetseite nachzulesen, ich fand sie sehr hörenswert.
Zweifelsohne war es eine der größten Belastungen der Weimarer Republik, dass sie zu wenig überzeugte und engagierte Demokraten hatte. Ohne es zu merken, blasen Sie in gewisser Weise in ein ähnliches Horn, wenn Sie fragen „Welche Gründe haben Sie, das politische System der Bundesrepublik Deutschland (…) noch für demokratisch legitimiert anzusehen?“ Eine Lehre von Weimer sollte doch sein, nicht das demokratische System selbst für die Probleme, die Sie ja teilweise zu Recht beklagen, verantwortlich zu machen, sondern es vielmehr als eine Chance zur Verbesserung der Situation und zur Lösung von Problemen zu sehen.
Das Prinzip der Repräsentation und der pluralistischen Entscheidungsfindung zwingt manchmal zu unpopulären Kompromissen, langwierigen Prozessen, gegenseitigen Blockaden usw. Aber was ist denn die Alternative dazu? Über das weit verbreitete Unverständnis für die Notwendigkeit von Kompromissen stürzte 1930 die letzte von einer parlamentarischen Mehrheit getragene Reichsregierung. Insofern war die Ernennung Hitler zum Reichskanzler eben, wie der Bundestagspräsident heute ausgeführt hat, nicht der Anfang vom Ende, sondern der Abschluss einer langen politischen Agonie. Die Weimarer Republik und die Demokraten sollten aus Sicht ihrer Gegner für alles verantwortlich sein: Den verlorenen Krieg, den Vertrag von Versailles, die Hyper-Inflation, die Weltwirtschaftskrise, die Arbeitslosigkeit.
Die Wahlen vom 5. März 1933 als frei, allgemein und demokratisch zu bezeichnen, halte ich nicht für richtig. Infolge des Reichstagsbrands am 27. Februar 1933 wurden die Grundrechte, die nach der Weimarer Reichsverfassung nur nach Maßgabe der Gesetze galten, durch die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“, die am Folgetag erlassen wurde, außerkraftgesetzt, die Opposition wurde brutal zerschlagen, der Straßenterror wurde ausgeweitet. Unter diesen Bedingungen und politischen Behinderungen fanden die Wahlen statt, die der NSDAP 44 Prozent der Stimmen einbrachten.
Für die Loyalität der Mehrheit und besonders der Beamten war es hingegen essentiell, dass die Nationalsozialisten z.B. mit dem „Ermächtigungsgesetz“, dass die Diktatur endgültig besiegelte, den Schein der Legalität und damit der Legitimität wahren konnten. Aus Lehre daraus hat das Konzept der „wehrhaften Demokratie“ der Bonner und der Berliner Republik an diesem Punkt angesetzt: Nun sind die Grundrechte im Grundgesetz unmittelbar geltendes, gerichtlich durchsetzbares Recht, verfassungsfeindliche Parteien können verboten werden und die politische Ordnung steht unter besonderem irreversiblen Schutz. Kaum ein anderes nationales Parlament hat ähnlich viel Einfluss auf die Bildung und Kontrolle von Regierungen. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich in den fast 60 Jahren ihres Bestehens als robust und vital erwiesen, wie der Bundestagspräsident heute zu Recht bemerkt hat.
Freilich müssen wir jeden Tag aufs Neue für Vertrauen in das demokratische System werben, zu Kritik und Mitwirkung ermuntern. Die Demokratieverdrossenheit vieler Menschen in unserem Land bereitet mir wie Ihnen Sorge. Ich denke aber, auch dafür gibt es keine ganz einfachen Erklärungen.
Immer wieder werden dafür die Art der Mandatsausübung und die Abgeordnetenentschädigung angeführt. Einerseits seien die Diäten zu hoch. Was wäre dazu die Alternative? In vielen Bundesstaaten in den USA bekommen Parlamentarier fast keine oder nur eine sehr geringe Entschädigung. Es wird erwartet, dass sie keine „Berufspolitiker“ sind, sondern ihrem normalen Beruf nachgehen und dort ihr Geld verdienen. Die Folge davon ist, dass nur Personen ein Mandat anstreben können, die über ein genügend hohes Einkommen bzw. genügend hohe Ersparnisse und genügend freie Zeit verfügen, um „nebenbei“ ein Mandat auszuüben. Wenn wir das nicht wollen, dann brauchen wir eine Abgeordnetenentschädigung, die den Abgeordneten die unabhängige Ausübung ihres Mandats sichert.
Andererseits wollen wir keine weltfremdem „Berufspolitiker“ sondern Abgeordnete, die in der Lebenswelt stecken. Viele Nebentätigkeiten von Abgeordneten erklären sich aus diesem Zusammenhang heraus. Die meisten hatten diese Funktionen schon vor ihrem Mandat inne. Und wenn sie in der nächsten Legislaturperiode nicht mehr gewählt werden sollten, wollen sie z.B. gerne in ihren alten Beruf zurück. Man wird nicht als Abgeordneter geboren und ist es nicht auf Lebenszeit!
Wenn Sie Fragen zu den Nebentätigkeiten meines geschätzten Fraktionskollegen Friedrich Merz haben, so fragen Sie ihn das bitte selber. Zu meinen Nebentätigkeiten, die übrigens alle ehrenamtlich sind, hatte ich Ihnen ja in meiner letzten Antwort schon Auskunft gegeben.
Mit freundlichen Grüßen,
Andreas Lämmel