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Andreas Katz
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Frage von Matthias G. •

Frage an Andreas Katz von Matthias G. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

Sehr geehrter Herr Katz,

in Ihrem Wahlprogramm formulieren Sie und die Bündnisgrünen zur Bildungspolitik folgende Sätze:

" [...] bessere Bildungschancen für Kinder unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem Umfeld sind zu einer zentralen Gerechtigkeitsfrage geworden. Die bisherige Landespolitik konnte diesen Ansprüchen nicht gerecht werden. [...] Das vielgliedrige Schulsystem ist an seine Grenzen gestoßen. [...] Wir wollen, dass alle Kinder in einer „Schule für alle“ lernen."

Nun hat jedoch der aktuelle Bildungsmonitor 2011 gezeigt, dass das vielgliedrige Schulsystem in M-V sich bewährt bzw. Erfolge vorzuweisen hat und eine positive Entwicklung begründen könnte. Sie kennen die Ergebnisse sicherlich bereits. Verbesserung in der Gesamtwertung von Rang 15 auf Rang 10. Bei der Integration "bildungsferner" Schichten sogar Platz 1 im bundesdeutschen Vergleich. Als überdurchschnittlich wird die Betreuungsrelationen an Schulen und die Förderinfrastruktur beurteilt. Mecklenburg-Vorpommern ist der Studie nach das dynamischste Bundesland.

Deshalb die Frage, warum wollen Sie und die Bündnisgrünen mit dem bestehenden Schulsystem brechen und nun wieder das Schulsystem neu aufstellen? Sie selbst sagen im Wahlprogramm, dass in den letzten Jahren viele "[...] chaotische und konzeptionslose Reformen im Bildungsbereich [...] viel Unruhe und Unmut bei den Menschen in unserem Land verursacht" hat. Wäre es nicht sinnvoller den beschrittenen Weg dieser aktuellen Regierung fortzuführen und nicht länger die Einheitsschule zu propagieren die bisher keine Erfolge noch wissenschaftlichen Belege für deren Vorteil vorzuweisen hat?

Und warum widmen Sie sich nicht dem tatsächlichen Problem? Wie eine Studie zeigt ist eine Bildungsgerechtigkeit auch mit der verbindlichen Übertrittsempfehlung durch die Lehrer zu erzielen? Wie stehen Sie zu diesem Punkt?

Mit freundlichen Grüßen
Matthias Galier

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Galier,

zunächst zur Methodik des Bildungsmonitors, insbesondere zur Aufstellung einer Rangliste. Mit meiner Kritik daran stehe ich in höchst ehrenwerter Gesellschaft. In einem Interview hat der renommierte Bildungsforscher Klaus Klemm unter anderem die Gleichgewichtung der in der Studie erhobenen Indikatoren kritisiert. Das Interview können Sie hier hören:

http://detektor.fm/politik/bildungsmonitor-2011-alles-nur-unfug/

Die Autoren der Studie selbst schränken ein, dass "die Auswahl von Bildungsindikatoren grundsätzlich von der eigenen Zielsetzung bestimmt wird" und weiter: "An die Grenzen der Messbarkeit stößt man vor allem bei den qualitativen Aspekten der Bildungsprozesse, beispielsweise der Qualität der Lehre". (S. 194 f der Studie).

Die Kritik an der Relevanz der zur Beurteilung herangezogenen Indikatoren möchte ich am Beispiel der "Förderinfrastruktur" verdeutlichen: Herangezogen werden dazu folgende Kriterien:

- Anteil der Schüler an Ganztagsschulen an Grundschülern und an Schülern der Sekundarstufe I
- Anteil der ganztags betreuten Kinder (3-6 bzw 0-3 Jahre)
- Akademisierungsgrad des Personals in KiTas
- Anteil ungelernten Personals in KiTas

Leider wurden die Messwerte der einzelnen Kriterien nicht veröffentlicht, ich kann deshalb nur vermuten, dass die Anzahl der ganztags betreuten Kinder einen hohen Anteil an der Bewertung hat. Die Qualität der Betreuung wird an der Ausbildung des Personals in KiTas festgemacht, wobei nach meiner Kenntnis der Akademisierungsgrad in M-V eher gering ist, ebenso allerdings der Anteil ungelernten Personals. Nicht in die Bewertung einbezogen wird aber die Betreuungsrelation, also die Anzahl der Kinder je Betreuer_in, die meines Erachtens ein ganz wesentliches Qualitätsmerkmal und in Mecklenburg-Vorpommern nicht besonders gut ist (1: 6 in Krippen, 1:17 in KiTas und 1:22 in Horten).

Ich will dennoch nicht leugnen, dass es eine positive Entwicklung in MV gibt. Nehmen wir die Quote der Schulabgänger ohne Abschluss. Hier hat sich der Wert in den letzten Jahren von über 16% auf immerhin 13,9% in diesem Jahr verbessert. Wie war das mit der Integration bildungsferner Schichten? Kann man sich mit diesem Wert, der immer noch fast doppelt so hoch ist wie der Bundesdurchschnitt, zufrieden geben?

Sie weisen zu Recht darauf hin, dass es durchaus sichtbare Verbesserungen gibt. Einige Veränderungen der letzten Jahre haben wir ausdrücklich begrüßt, etwa die Erhöhung der Anzahl gebundener Ganztagsschulen. Diese Entwicklung droht aber zu stoppen, weil der Bund die bauliche Ausstattung von Ganztagsschulen nicht mehr finanzieren kann und Anträge zur Einrichtung von Ganztagsschulen inzwischen regelmäßig abgelehnt werden, weil für den erhöhten Personalbedarf keine Haushaltsmittel zur Verfügung stehen. Ähnlich sieht es mit der Schulsozialarbeit aus: Die Stellen werden derzeit aus EU-Mitteln finanziert, aber niemand weiß, ob diese Mittel nach 2013 noch zur Verfügung stehen. Die bisher bekannt gewordenen Ersatzpläne lassen befürchten, dass die Schulsozialarbeit zukünftig zulasten der ohnehin nur noch rudimentär vorhandenen Jugendsozialarbeit finanziert werden soll. Weil gute Bildung Geld kostet und der Nachholbedarf immer noch groß ist, plädieren wir dafür, Bildung zum Investitionsschwerpunkt der kommenden Jahre zu machen.

Zu guter Letzt zu unseren Plänen bezüglich des Schulsystems. Hier gibt es eine Anforderung, um die kein Bildungsminister herumkommt: die Entwicklung eines inklusiven Schulsystems. Hier plädieren wir ausdrücklich für ein gründlich geplantes und wissenschaftlich begleitetes Vorgehen. Auch bei der Einführung der Gemeinschaftsschule, die wir zutreffender "Schule für alle" nennen, wollen wir nicht mit dem Holzhammer vorgehen: Wir wollen ausdrücklich keine Einführung gegen den Willen der Betroffenen, sondern zunächst da, wo es ausdrücklich gewünscht ist, "Zentren für neues Lernen" gründen, in denen neue Lernmethoden mit heterogenen Lerngruppen nach bewährten Vorbildern zunächst unter wissenschaftlicher Begleitung erprobt und erlernt werden können. Positive Entwicklungen der vergangenen Jahre wollen wir verstärken und dabei weiter nach Wegen suchen, Schule besser, gerechter und demokratischer zu machen. Wir wollen keine trügerische Ruhe an den Schulen, die notwendige Veränderungen versäumt und schließlich hektische und teure "Reparaturen" nach sich zieht, sondern ein ständiges Bemühen um die für unser Land und unsere Kinder besten Schul- und Unterrichtsformen, die man in sinnvollen, behutsamen und von Konsens getragenen Schritten umsetzen kann.

Ihr Andreas Katz