Frage an Andreas Augustin von Yves B. bezüglich Innere Sicherheit
Sehr geehrter Herr Augustin,
die Grundpositionen Ihrer Partei bzgl. des Themenkomplexes Bürgerbeteiligung, Bürgerrechte, Demokratie und Transparenz teile ich vollumfänglich. Bei den Ausführungen zur konkreten Umsetzung vermisse ich allerdings den Bereich der Justiz.
Bereits das kodifizierte Recht allein betrachtet ist äußerst unübersichtlich. Vielen Artikeln und Paragraphen fehlen amtliche Überschriften, begriffliche Definitionen sind irgendwo im Gesetzestext versteckt. Querverweise auf abweichende Regelungen, die überdies in allerlei Sondergesetzen verstreut sein können, fehlen meistens–gerade bei föderalen, supra- und internationalen Rechtsverhältnissen.
Hinzu kommt die richterliche Rechtsfortbildung. Durch sie werden Normen neu erfunden oder alte entgegen ihrem Wortlaut angewendet oder umgeformt. Diese neuen Normen sind nicht amtlich kodifiziert und können vor keinem Gericht verbindlich geltend gemacht werden, wodurch etwa im Strafrecht das Verbot rückwirkender Bestrafung faktisch unterlaufen wird.
Die Bürgerbeteiligung leidet an der Schwierigkeit, sich über das intransparente Recht eine Meinung zu bilden. Die Bürgerrechte leiden am Mangel an Rechtssicherheit, Demokratie und Gewaltenteilung an der faktischen Nebengesetzgeberschaft der Rechtsprechung.
Ich bitte um Auskunft, was genau Sie im Fall Ihrer Wahl in dieser Hinsicht unternehmen möchten.
Mit freundlichen Grüßen
Yves Busch
Sehr geehrter Herr Busch,
Am Donnerstag, 15. März 2012, 11:35:59 schrieben Sie:
> Bereits das kodifizierte Recht allein betrachtet ist äußerst
> unübersichtlich. Vielen Artikeln und Paragraphen fehlen amtliche
> Überschriften, begriffliche Definitionen sind irgendwo im Gesetzestext
> versteckt. Querverweise auf abweichende Regelungen, die überdies in
> allerlei Sondergesetzen verstreut sein können, fehlen meistens-gerade
> bei föderalen, supra- und internationalen Rechtsverhältnissen.
Das ist richtig. Während es im Grundgesetz, z.B. in Artikel 4, Abs. (3) noch solche Verweise gibt und durch die Wortwahl klargestellt ist, dass zwar Details durch andere Gesetze geregelt werden, diese dem Grundgesetz aber nicht widersprechen dürfen, steht dort schon nicht mehr, welche Gesetze das sind.
GG Artikel 4, Abs. (3):
"Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz."
In anderen Gesetzestexten fehlt sogar der Verweis, dass der gerade gelesene
Text von anderen eingeschränkt oder anderweitig beinflusst wird.
> Hinzu kommt die richterliche Rechtsfortbildung. Durch sie werden Normen
> neu erfunden oder alte entgegen ihrem Wortlaut angewendet oder umgeformt.
> Diese neuen Normen sind nicht amtlich kodifiziert und können vor keinem
> Gericht verbindlich geltend gemacht werden, wodurch etwa im Strafrecht das
> Verbot rückwirkender Bestrafung faktisch unterlaufen wird.
Zunächst einmal ist es auch Teil des Jura-Studiums, zu lernen, wofür ein Gesetz geschaffen wurde, da es eben nicht darum geht, es wie eine dumme Maschine im Wortlaut zu befolgen, sondern den mit der Gesetzgebung gewünschten Effekt zu erzielen. Wenn man als Autofahrer kein Handy am Ohr haben darf, dann soll man sich auch nicht damit herausreden können, dass das ja kein Handy, sondern ein Smartphone ist. Sinn des Gesetzes ist, die Konzentration auf den Straßenverkehr zu gewährleisten, nicht Handies gegenüber Smartphones schlechter zu stellen.
Für den Rest müssten Sie mir aber Beispiele geben, denn über das geschriebene kann ich so nur weitläufig schwadronieren, vor allem aber sehe ich nicht, wie durch ein neues Gesetz auf egal welcher Ebene das Verbot rückwirkender Bestrafung unterlaufen würde.
> Die Bürgerbeteiligung leidet an der Schwierigkeit, sich über das
> intransparente Recht eine Meinung zu bilden. Die Bürgerrechte leiden am
> Mangel an Rechtssicherheit, Demokratie und Gewaltenteilung an der
> faktischen Nebengesetzgeberschaft der Rechtsprechung.
Nun ja, Jura ist ein umfassendes und ernstzunehmendes Studium. Ebenso könnte man umfassendes Verständnis der menschlichen Psyche fordern. Aber Sie haben natürlich dahingehend recht, dass solche Zusammenhänge besser aufgezeigt werden könnten. Ein erster Schritt ist dabei schon getan, denn die allermeisten Gesetze stehen inzwischen frei im Internet, allerdings in unkommentierten Fassungen. Auf die kommentierten Fassungen, die genau solche Verbindungen aufzeigen und auch Urteile referenzieren, erheben die Autoren üblicherweise Urheberrechtsansprüche, wodurch diese Texte nicht frei zugänglich sind.
Angriffe auf die Gewaltenteilung erfolgen zumeist von konservativen Parteien, wenn z.B. so etwas wie 3 Strikes/Hadopi in Frankreich eingeführt wird oder bei dem Thema, durch das die Piraten erst stark geworden sind, den Netzsperren, die vom BKA ohne richterlichen Beschluss durchgesetzt werden könnten, wenn das Gesetz nicht inzwischen vom Tisch wäre.
> Ich bitte um Auskunft, was genau Sie im Fall Ihrer Wahl in dieser Hinsicht
> unternehmen möchten.
Zunächst einmal wird sicher kein Pirat einem Gesetz zustimmen, das die Gewaltenteilung angreift, einschränkt oder anderweitig erodiert. Gleiches gilt für (Staats-)Verträge. Solche Gesetze und Verträge, die sich noch in Erarbeitung befinden, werden von uns auch schon von außerhalb des Parlaments kritisiert und mit Demonstrationen und Petitionen attackiert. Im Extremfall kommt es auch mal vor, dass es so läuft wie beim Staatstrojaner, wo der nicht im Landtag vertretene Landesverband Bayern Anzeige erstattet hat.
Von einem Sitz im Parlament verspreche ich mir hierbei vor allem eine breitere Informationsbasis und somit eine bessere Ausgangslage, vor allem in der frühen Entstehungsphase solcher Gesetze. Man kann demokratiefeindliche Gesetze nicht bekämpfen, wenn man nichts von ihnen weiß und trotz der Berichterstattung kriegt man im Parlament einfach eher mit, was dort gerade diskutiert wird, als in den Nachrichten.
Zur intransparenten Rechtslage kann ich nur sagen, dass es sicher ein paar Relikte gibt, die man ausmisten könnte, aber das eigentliche Problem hierbei besteht m.E. nicht auf Landesebene: Über 40% der geltenden Gesetze werden inzwischen von der europäischen Ebene milde gesagt "beeinflusst" und das ist sicher den wenigsten Menschen in Deutschland bewusst. Ebenso ist wohl den wenigsten bewusst, dass es dazu durchaus Informationen gibt, z.B. bei der Bundeszentrale und den Landeszentralen für politische Bildung.
Insgesamt sehe ich aber die Landesebene nicht als den richtigen Ansatzpunkt für die von Ihnen kritisierten Punkte. Damit müssen sie meiner Meinung nach ganz oben, auf europäischer Ebene einsteigen.
Mit freundlichen Grüßen,
Andreas Augustin