Mit Entsetzen beobachte ich die Tatenlosigkeit der BuReg zum Völkermord in Armenien. Was wird dagegen unternommen?
Sehr geehrte Frau F.,
vielen Dank für Ihre Frage und entschuldigen Sie die späte Antwort. Die Nachrichten aus Bergkarabach und das Schicksal der Menschen, die sich aufgrund der militärischen Gewalt Aserbaidschans gezwungen sahen, ihre Heimat zu verlassen, beschäftigen uns sehr.
Der Konflikt um das mehrheitlich von Armenier*innen bewohnte Bergkarabach ist schon Jahrzehnte alt. Wir haben dabei immer wieder deutlich gemacht, dass es eine Lösung braucht, die einerseits dem Anspruch Aserbaidschans auf territoriale Integrität und andererseits dem Selbstbestimmungsrecht der Menschen in Bergkarabach Rechnung tragen muss. Immer wieder gab es auf internationaler Ebene Bemühungen, die Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen und eine friedliche Lösung zu finden. Zuletzt hat sich Aserbaidschan entschlossen, militärisch Fakten vor Ort zu schaffen. Damit wurde für 100.000 Menschen die Hoffnung auf Sicherheit und Frieden zerstört.
Die gewaltsame Eskalation geschah, nachdem Aserbaidschan bereits zuvor monatelang den Latschin-Korridor blockiert und damit eine humanitäre Katastrophe herbeigeführt hatte. Es ist schwer vorstellbar, welches Leid die Menschen in Bergkarabach ertragen mussten, nachdem ihr einziger Zugang nach und die Versorgung aus Armenien ab Dezember 2022 von Aserbaidschan faktisch gekappt wurde. Lebensmittel wurden immer weniger. Die medizinische Versorgung wurde erschwert, da Medikamente knapp und der Krankentransport gestoppt wurden. Strom und Kraftstoff gingen zu neige.
Schon diese Blockade verstieß gegen die Pflichten aus dem Waffenstillstandsabkommen von 2020. Nachdem die Menschen in Bergkarabach bereits seit Monaten Not leiden mussten, wurden sie von den Angriffen im September 2023 schwer getroffen. Seitdem hat de facto die gesamte Bevölkerung Bergkarabachs ihre Heimat verlassen und ist nach Armenien geflohen. Einige haben durch militärische Gewalt ihr Leben verloren.
Die Menschen in Bergkarabach haben ein Recht auf ein Leben in Sicherheit und die Wahrung ihrer Menschenrechte. Angesichts der aggressiven Rhetorik aus Aserbaidschan und der Tatsache, dass die autoritäre aserbaidschanische Führung seit Jahrzehnten die Menschenrechte auch der eigenen Bevölkerung mit Füßen tritt, ist es verständlich, dass sich die wenigsten derzeit für eine Rückkehr entscheiden werden.
Wir verurteilen das Vorgehen und die militärische Eskalation Aserbaidschans auf das Schärfste. Sie war ein Verstoß gegen geltende Vereinbarungen und zielte offenkundig darauf, eine diplomatische Lösung zu zerschießen, wie sie von Bundeskanzler Scholz, dem französischen Präsidenten Macron und EU-Ratspräsident Michel auf den Weg gebracht worden war. Neben dem Vorgehen Aserbaidschans in Bergkarabach ist auch die andauernde Besetzung von zu Armenien gehörenden Gebieten durch das aserbaidschanische Militär inakzeptabel. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hatte sich international für eine UN-Mission in Bergkarabach eingesetzt. Die internationalen Beobachter*innen konnten jedoch erst in die Gebietshauptstadt reisen, als der Großteil der Bevölkerung bereits geflohen war.
Auf EU-Ebene setzen wir uns dafür ein, dass nationalstaatliche Interessen nicht über die Rechte und Sicherheit der Menschen in Bergkarabach gestellt werden. Wir fordern eine kritische Auseinandersetzung mit den aserbaidschanischen Gaslieferungen an die EU und setzen uns für Sanktionen der EU gegen Aserbaidschan ein, für die es aber augenscheinlich derzeit keine Mehrheit unter den Mitgliedsstaaten gibt. Die zivile EU-Mission in Armenien leistet unglaublich wertvolle Arbeit mit der Beobachtung der Sicherheitslage und Maßnahmen zur Vertrauensbildung. Davon konnte sich auch unsere Abgeordnete Merle Spellerberg als zuständige Berichterstatterin für die Region überzeugen, als sie im Sommer dieses Jahres in Armenien war. Die Bundesregierung hat dafür gesorgt, dass Deutschland die Mission personell am stärksten innerhalb der EU unterstützt. Wir wollen, dass die Mission noch weiter aufgestockt wird.
Die armenische Regierung wollen wir bei ihren großen Herausforderungen weiter unterstützen. Der Bedarf an humanitärer Hilfsleistung ist hoch und die geflohenen Menschen werden langfristig in Armenien integriert werden müssen. Es ist ein wichtiger Schritt, dass das Auswärtige Amt Gelder für die humanitären Hilfsleistungen des IKRK in Armenien auf 5 Millionen Euro erhöht hat. Zudem geht es darum, die armenische Demokratie zu stabilisieren und die engagierte Reformagenda der armenischen Regierung weiter zu unterstützen. Bereits Anfang Oktober reiste der bündnisgrüne Abgeordnete Robin Wagener in seiner Funktion als Koordinator der Bundesregierung für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit der Region nach Armenien, um zu erörtern, welche Hilfe Deutschland unmittelbar leisten kann.
Was es braucht, ist ein dauerhafter Frieden zwischen Armenien und Aserbaidschan. Der kann nur am Verhandlungstisch herbeigeführt werden. Wir fordern Aserbaidschan auf, die EU-geführten Verhandlungen ernst zu nehmen und jegliche weitere militärische Eskalation zu unterlassen.
Mit besten Grüßen
Andreas Audretsch