Frage an Andrea Lindholz von Gertrud M. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Frau Lindholz,
mehr als die Hälfte und damit die Mehrheit der Deutschen ist laut einer aktuellen Umfrage nicht für die als gesetzliche Verpflichtung zur Organ-/Körperspende benannte Widerspruchslösung https://www.zeit.de/news/2019-05/25/umfrage-organspende-fast-50-prozent-fuer-widerspruchsloesung-190525-99-370307 .
Dies ist umso bedeutsamer, da seit Jahren unablässig für die Organ-/Körperspende in allen Medien geworben wird und sich viele Politiker persönlich in allergrößter Weise zu jeder Zeit dafür einsetzen.
Es wird das Narrativ verbreitet, dass Menschen sterben weil sie kein neues Organ bekommen! Menschen sterben weil sie sterblich sind oder an einer tödlichen Krankheit leiden! Sie bekommen kein neues Organ bei einer Transplantation, sondern ein verbrauchtes und geschädigtes Organ eines anderen Menschen, welches der eigene Körper nicht haben will und mit allen Mitteln versucht abzustossen. Ich frage mich, warum es nicht um eine Verbesserung der Funktion des vorhandenen Organs in der Diskussion geht, sondern nur um die Steigerung von Organ-/Körperverwertungenszahlen in den Kliniken nach Planzahlenvorgaben? Ist dies nicht ein wesentlicher Unterschied?
Bei einer repräsentativen Umfrage zum Thema Hirntod als Kriterium für den irreversiblen Ausfall des Gehirns, waren 40 Prozent der Befragten der Meinung, unter diesen Umständen dürften keine Organe entnommen werden. Selbst Besitzer eines Organspendeausweises wussten nicht besser Bescheid über das Hirntodkriterium. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/101153/Grosse-Wissensluecken-beim-Thema-Organspende
Sehen Sie unter diesen Umständen nicht die dringende Notwendigkeit einer ausführlichen (Zwangs-)Information der Bürger über die medizinischen Hintergründe und einen für jedermann verständlichen, ausführlichen und bildhaften Beschreibungsablauf der Organ-/Körperspende vom Ablegen des Hirntoten auf den OP-Tisch bis zum Verpacken der gewonnenen Organ- und Körperteile und deren weltweite Verteilung?
mfg
Sehr geehrte Frau M.,
besten Dank für Ihre Anfrage zu diesem schwierigen Thema Organspende.
Zunächst möchte ich sehr nachdrücklich dem von Ihnen implizierten Eindruck widersprechen, dass hier lediglich wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielen würden wie "Körperverwertungszahlen", "Planzahlenvorgaben" oder eine "weltweite Verteilung". Diesen Eindruck weise ich mit allem Nachdruck zurück! Es geht im Kern um Menschenleben. In Deutschland sterben im Durschnitt jeden Tag drei Menschen, die auf einer Warteliste für eine Organspende standen. Trotz dieser erschreckenden Zahlen sinkt die Bereitschaft zur Organspende. Verantwortungsvolle Politik hat die Pflicht, dieses unnötige Sterben sofern möglich einzudämmen.
Ich habe mich daher nach reiflicher Überlegung dazu entschlossen die sog. "doppelte Widerspruchslösung" von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn MdB und anderen zu unterstützen. Diese Lösung sieht vor, dass alle volljährigen Bürger, bevor sie sich in puncto Organspende entscheiden, umfangreich informiert werden. Insofern entspricht meine Entscheidung genau Ihrer Forderung nach einer verpflichtenden Information für jeden Bürger. Später ist die individuelle Entscheidung jederzeit revidierbar. Widerspricht man nicht binnen einer bestimmten Frist oder trifft gar keine Entscheidung, wird man als Spender registriert. Zudem wird eine weitere Sicherung eingebaut, indem der Arzt vor einer Organentnahme zusätzlich den nächsten Angehörigen fragen muss, ob ein schriftlicher Widerspruch oder ein der Entnahme entgegenstehender Wille bekannt ist. Dadurch ist in meinen Augen sichergestellt, dass wirklich niemand gegen seinen erklärten Willen zum Organspender wird.
Im Grunde geht es bei dieser Frage um eine Rechtsgüterabwägung. Das Recht jedes Einzelnen, sich nicht mit der durchaus schwierigen Frage der Organspende beschäftigen zu müssen bzw. die Mühe auf sich nehmen und aktiv widersprechen zu müssen, wiegt in meinen Augen aber deutlich weniger schwer, als der Wunsch eines todkranken Patienten, der auf eine lebensrettende Organspende wartet.
Um es nochmal ganz klar zu sagen: Niemand wird gezwungen, sich als Organspender zu registrieren. Es wird lediglich der Zwang eingeführt sich mindestens einmal in seinem Leben mit dieser Frage zu beschäftigen. Angesichts der davon abhängigen Fragen von Leben und Tod halte ich das für zumutbar und auch mit unseren christlichen Werten wie Nächstenliebe absolut vereinbar. Was Ihre Ausführungen zur Sinnhaftigkeit einer Organtransplantation angeht, so wäre ich gespannt, dazu Reaktionen von Transplantationschirurgen und Patienten zu bekommen, die aktuell auf einen Spender warten.
Abschließend darf ich Ihnen noch mitteilen, dass ich aus einer Arztfamilie stamme und ich mich sehr intensiv mit diesem Thema beschäftigt habe. Organspenden können Leben retten. Wenn wir hier in Deutschland künftig mehr Menschen, die dringend auf eine Spende angewiesen sind, helfen wollen, dann ist die Lösung von Herrn Spahn und den anderen Initiatoren der Widerspruchslösung dafür am ehesten geeignet. Ich möchte diesen Menschen helfen.
Mit freundlichen Grüßen
Andrea Lindholz MdB