Frage an Andrea Lindholz von Inge R. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Lindholz,
in der Sitzung der Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz wurde im März 2015 die Gegenfinanzierung von Leistungsverbesserungen im Teilhaberecht diskutiert.
In der Dokumentation ist der Vorschlag zu lesen, das Kindergeld für über 27jährige behinderte Menschen zu streichen:
www.gemeinsam-einfach-machen.de/BRK/DE/StdS/Bundesteilhabegesetz/8_Sitzung/8_sitzung_ap_zu_top3.pdf?__blob=publicationFile
Obwohl bekannt ist, dass Eltern erwachsener behinderter Kinder wegen der Betreuung und Pflege ohnehin deutlich geringere Erwerbseinkommen erzielen, wird dieses Vorgehen in der Dokumentation als „unproblematisch“ bezeichnet.
Die Streichung des Kindergeldes würde jedoch dem höchstrichterlichen BFH-Urteil vom 18.4.2013 (Az. V R 48/11) widersprechen, sowie der wiederholten Rechtsprechung des BSG, wo z.B. unter AZ. B 9b SO 5/06 R vom 08.02.2007 im letzten Absatz festgestellt wird: „Es ist insoweit zu beachten, dass bei einem (volljährigen) behinderten Kind, das mit seinen Eltern in häuslicher Gemeinschaft lebt, die von den Eltern zu tragenden Aufwendungen, regelmäßig erheblich höher sind als dies bei einer stationären Betreuung des Kindes der Fall wäre.“
Hinzu kommt, dass bei den Familien mit der Streichung des Kindergeldes noch die Nachteilsausgleiche wegfallen würden, die ein erwerbsunfähiges erwachsenes Kind steuerlich nicht geltend machen kann, die aber trotzdem zustehen bzw. entstehen (Schwerbehindertenpauschale, Fahrtkosten, außergewöhnliche Belastungen etc). Bei Eltern im öffentlichen Dienst würde sich obendrein der Familienzuschlag mindern.
Wie stehen Sie dazu, dass schwerstbehinderte Menschen und deren Familien für die "Gegenfinanzierung" der geplanten Leistungsverbesserungen sorgen sollen?
Wie werden Sie als Abgeordnete die Familien mit erwachsenen schwerstbehinderten Kindern unterstützen, damit diese durch das Teilhabegesetz keine finanziellen Nachteile hinnehmen müssen?
Vielen Dank für Ihre aussagekräftige Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrte Frau Rosenberger,
vielen Dank für Ihre Anfrage zum Bundesteilehabegesetz vom 07.08.2015, zu der ich gerne im Folgenden Stellung beziehen möchte.
Die Koalitionsparteien CDU, CSU und SPD haben sich im Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode darauf verständigt, die Leistungen an Menschen, die aufgrund einer wesentlichen Behinderung nur eingeschränkte Möglichkeiten haben, aus dem bisherigen „Fürsorgesystem“ herauszuführen und die Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht weiterzuentwickeln. Die Leistungen sollen sich am persönlichen Bedarf orientieren und entsprechend eines bundeseinheitlichen Verfahrens personenbezogen ermittelt werden. Die Neuorganisation der Ausgestaltung der Teilhabe zugunsten der Menschen mit Behinderungen soll dabei so geregelt werden, dass keine neue Ausgabendynamik entsteht.
Die Bundesregierung hat dazu im letzten Jahr einen Diskussionsprozess angestoßen. An diesem hatten die betroffenen Verbände die Möglichkeit, Leistungsverbesserungs- und Gegenfinanzierungsvorschläge zu formulieren, die in einem Entwurf für das Bundesteilhabegesetz für Menschen mit Behinderungen münden soll. Mit dem Bundesleistungsgesetz sollen die Kommunen als Kostenträger der Leistungen für die Eingliederungshilfe entlastet werden. Die Ausgaben für die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen drohen die Leistungsfähigkeit der Länder und Kommunen auf Dauer zu überfordern: Aufgrund kontinuierlich steigender Empfängerzahlen, von 324.000 Personen im Jahr 1991 auf 788.000 Personen im Jahr 2011, bindet die Eingliederungshilfe mittlerweile einen signifikanten Teil der finanziellen Ressourcen der Länder und Kommunen. In einer eigens dazu eingerichteten Arbeitsgruppe „Bundesteilhabegesetz“ wurden die Kernpunkte einer Reform auf hochrangiger Ebene erörtert.
Ihre Bedenken hinsichtlich des Gegenfinanzierungsvorschlags des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V., das Kindergeld für über 27-jährige behinderte Menschen zu streichen, kann ich dabei sehr gut nachvollziehen. Gleichzeitig möchte ich Sie jedoch gerne darauf aufmerksam machen, dass der Beteiligungsprozess zwar inzwischen abgeschlossen und umfassend dokumentiert ist. Dennoch hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales erst für Ende dieses Jahres einen konkreten Gesetzentwurf angekündigt, der wiederum durch ein parlamentarisches Verfahren gehen muss. Ob die vorgeschlagene Kindergeldstreichung dabei überhaupt Eingang in den Entwurf finden wird, ist nicht gewährleistet.
Die CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag wird sich in den Gesetzentwurfsprozess entschieden einbringen. Wir haben uns bereits im vergangenen Jahr auf unserer Klausurtagung in Wildbad Kreuth zu diesem Thema klar positioniert. Uns ist dabei besonders wichtig, dass bei der Reform der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen es nicht allein um eine Übernahme der Kosten gehen darf, sondern auch um eine inhaltliche Weiterentwicklung der Leistung. Wir sind davon überzeugt, dass es nicht mehr zeitgemäß ist, Menschen mit Behinderung auf das System der Sozialhilfe zu verweisen. Menschen mit Behinderung sind nicht Objekt der Fürsorge, sondern gestaltender Partner auf gleicher Augenhöhe. Das vollständige Beschlusspapier vom 08. Januar 2014 „Eingliederungshilfe reformieren – Bundesleistungsgesetz auf den Weg bringen“ finden sie unter: https://www.csu-landesgruppe.de/sites/default/files/uploads/bericht_aus_kreuth_2014.pdf
Der vorgeschlagenen Kindergeldstreichung als Gegenfinanzierung stehen wir kritisch gegenüber und haben keine Absicht, diesen in den Gesetzentwurf einfließen zu lassen. Da der Entwurfsprozess in vollem Gange ist, ist es leider nicht möglich, detaillierte Aussagen zu dessen endgültigem Inhalt zu machen. Ich empfehle Ihnen daher abzuwarten, bis der konkrete Gesetzentwurf voraussichtlich Ende dieses Jahres fertig ist.
Mit freundlichen Grüßen
Andrea Lindholz, MdB