Frage an Andrea Lindholz von Thomas K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Lindholz,
wie rechtfertigen Sie, dass in Untersuchungsausschüssen Maulkörbe (keine Aussagegenemigung) verteilt werden? Dass sich der Bundestag weigert, Listen von Lobbyisten offenzulegen, selbst wenn der Bundestag und die Regierung von ihren Vorgesetzten dazu aufgefordert werden? Sie sind Staatsdiener! Und NICHT die Herren dieses Landes! Wenn ich den Passus "das Volk ist der Staat" richtig deute, haben Sie uns, dem Volk, zu dienen. Wenn ich als Arbeitnehmer meinem Chef den Einblick in meinen mir zur Verfügung gestellten PC verwehre, dann werde ich entlassen. Wie rechtfertigen Sie dann das Handeln des Bundestags bzw. sogar Ihr eigenes als Mitglied einer Regierungskoalition?
Hochachtungsvoll
Thomas Kißner
Sehr geehrter Herr Kißner,
haben Sie vielen Dank für Ihre Fragen. Zunächst muss ich Sie um Nachsicht für die verspätete Rückmeldung bitten. Meine Antwort an Sie vom Juli wurde wohl aufgrund eines technischen Fehlers nicht versandt. Aufgrund der Sommerpause wurde der Fehler nicht sofort erkannt. In Annahme Ihres weiterhin bestehenden Interesses, möchte ich im Folgenden trotzdem gerne auf Ihre Fragen antworten.
Grundsätzlich gilt, dass wir natürlich auch im Untersuchungsausschuss die Regeln unseres demokratischen und wehrhaften Rechtsstaates zu befolgen haben. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie auf die Pflicht aller Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes zur Amtsverschwiegenheit hinweisen. Alle deutschen Beamte haben über die ihnen bei ihrer amtlichen Tätigkeit bekannt gewordenen dienstlichen Angelegenheiten Verschwiegenheit zu bewahren. Dies gilt auch über den Bereich eines Dienstherrn hinaus, sowie nach Beendigung des Beamtenverhältnisses. Dies ist für Bundesbeamte in § 67 Abs. 1 Bundesbeamtengesetz geregelt und für Beamte der Länder und Kommunen in § 37 Abs. 1 Beamtenstatusgesetz. Aus gutem Grund unterliegen Finanzbeamte, ebenso wie Polizeibeamte oder Richter dieser Dienstpflicht. Das Prinzip der beruflich begründeten Schweigepflicht gibt es auch außerhalb des öffentlichen Dienstes, z.B. bei Anwälten, Ärzten oder Hebammen. Selbstverständlich und ausdrücklich muss diese Schweigepflicht auch für Mitarbeiter unserer Nachrichtendienste gelten. Die von Ihnen als „Maulkörbe“ kritisierten Aussagebeschränkungen im öffentlichen Dienst sind aus gutem Grund seit jeher wichtiger Bestandteil in jedem rechtsstaatlichen Verfahren.
Trotz der Amtsverschwiegenheit kann der Untersuchungsausschuss aber jeden Mitarbeiter deutscher Nachrichtendienste vorladen, dessen Aussagen der Aufklärung des Untersuchungsauftrages dienen. Genau das tun wir. Um den Ausgleich zwischen Amtsverschwiegenheit und Aufklärung zu schaffen, orientiert sich der UA bei der Zeugenvernehmung an den Regeln in gewöhnlichen Gerichtsverfahren. § 376 Zivilprozessordnung und § 54 Strafprozessordnung regeln explizit die Vernehmung bei Amtsverschwiegenheit. Wörtlich heißt es in § 376 Abs 1 ZPO: "Für die Vernehmung von Richtern, Beamten und anderen Personen des öffentlichen Dienstes als Zeugen über Umstände, auf die sich ihre Pflicht zur Amtsverschwiegenheit bezieht, und für die Genehmigung zur Aussage gelten die besonderen beamtenrechtlichen Vorschriften." Alle Zeugen, die der UA bisher vernehmen wollte, hatten von ihrem Dienstherren eine solche Aussagegenehmigung erhalten. Die Aussagegenehmigung muss jedoch immer den gesamten Untersuchungsauftrag abdecken, der auch viele Bereiche umfasst, in denen die Geheimhaltungspflicht unabdingbar ist. Um die Balance zwischen Aufklärung und Geheimschutz zu wahren, arbeitet der Ausschuss mit einem dreistufigen Modell bei der Zeugenvernehmung. Den größten Teil der Vernehmung versuchen wir in der öffentlichen Sitzung abzuwickeln. Ist eine öffentliche Beantwortung einer Fragen nicht möglich, so wird sie anschließend in einer als geheim eingestuften Sitzung vom Zeugen beantwortet. Im Extremfall wechseln wir in eine streng geheime Sitzung. Grundsätzlich werden dem Ausschuss alle Fragen von den Zeugen beantwortet. Im Einzelfall kann man vielleicht kritisieren, dass manche Aussagegenehmigung für den öffentlichen Teil zu eng gefasst waren oder vom Zeugen zu eng ausgelegt wurden. Grundsätzlich kann ich Ihren Vorwurf aber nicht nachvollziehen.
Die Aufklärung gemäß des Untersuchungsauftrages ist die primäre Aufgabe des Ausschusses. Bei unserer Aufklärungsarbeit dürfen wir aber nicht den größeren Kontext aus den Augen verlieren. Unsere Aufklärung findet nicht im luftleeren Raum statt. Wenn schützenswerte Informationen über die Arbeit und Methoden unserer Nachrichtendienste rücksichtslos offen gelegt werden, gefährdet das ihre Arbeitsgrundlage. Angesichts der aktuellen Sicherheitslage in Europa wäre das absolut unverantwortlich und würde die Sicherheit des deutschen Volkes massiv bedrohen. Deshalb müssen wir bei unserer Arbeit im Untersuchungsausschuss sorgfältig auf die Balance achten, zwischen Aufklärungspflicht einerseits und der Funktionsfähigkeit unserer Sicherheitsbehörden andererseits. Das macht die Aufklärung sicherlich nicht einfacher. Doch es ist es unsere Pflicht als demokratisch legitimierte Volksvertreter, diese für unseren wehrhaften Rechtsstaat unerlässliche Balance zu halten.
Mit freundlichen Grüßen
Andrea Lindholz, MdB