Frage an Aminata Touré von Louis D. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Touré,
wie stehen Sie als erste schwarze Vize-Landtagspräsidentin zum Thema Dekolonialisierung des afrikanischen Kontinents, der unter der europäischen Hegemonie in Sachen Wirtschaft immer noch leiden muss? Wie geht Ihre Partei mit den Strukturen des Neokolonialismus um?
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr D.,
vielen Dank für diese wichtige und interessante Frage.
Die europäische Kolonialisierung des afrikanischen Kontinents reichte bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Erst in den 1960er Jahren erlangten die letzten französischen Kolonien ihre Unabhängigkeit. Damit war der afrikanische Kontinent offiziell dekolonialisiert. Die gesellschaftliche Realität sieht jedoch auch heute noch anders aus, da koloniale Strukturen bis heute aufrechterhalten werden.
Dies kann beispielsweise im Bereich Agrarwirtschaft beobachtet werden. In der Europäischen Union werden verschiedene Agrarprodukte stark subventioniert, sodass sie extrem günstig verkauft werden können. Afrika ist ein wichtiger Absatzmarkt für diese europäischen Produkte. Da die Produkte jedoch so stark subventioniert und damit günstig sind, überschwemmen sie den afrikanischen Markt förmlich. Lokale Produzent*innen können bei den Preisen nicht mithalten und verlieren ihre Existenzgrundlage und geraten in die Arbeitslosigkeit. Die europäische Wirtschaft profitiert, die afrikanische Wirtschaft verliert – ein altes, koloniales Muster. Die Schwächung der afrikanischen Wirtschaft führt wiederum zur Abhängigkeit von europäischen Entwicklungsgeldern. Auch dies ist ein altes, koloniales Muster.
Neokolonialismus, die erzwungene Abhängigkeit Afrikas von Europa nach der offiziellen Beendigung des Kolonialismus, ist also real.
Wir Grüne fordern einen Wandel in der Agrarwirtschaft. Wir fordern ein Ende der exportorientierten Agrarpolitik Europas und eine Entwicklungspolitik, die die Länder dabei unterstützt, ihre Agrar- und Ernährungspolitik selbstbestimmt zu gestalten.
Mehr Informationen dazu erhalten Sie hier: https://www.gruene-bundestag.de/themen/agrar
Neokolonialismus ist nicht „nur“ real in Bezug auf wirtschaftliche Abhängigkeit, sondern auch in unseren Köpfen finden sich bis heute koloniale Kontinuitäten.
Rassismus basiert auf kolonialrassistischen Stereotypen, die bis heute existent sind. Dies führt dazu, dass Schwarze Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund (People of Color) strukturell von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen werden, z.B. in Form von Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt und Wohnungsmarkt.
Wir Grüne kämpfen geschlossen gegen Rassismus in unserer Gesellschaft.
In Schleswig-Holstein wird, auf Grüne Initiative, ein Landesaktionsplan gegen Rassismus auf den Weg gebracht. Alle Ministerien erarbeiten in einem zweijährigen Prozess Maßnahmen, um Rassismus in unserer Gesellschaft strukturell zu bekämpfen.
Wir Grüne gucken aber auch selbstkritisch in unsere eigenen Reihen. Auf Bundesebene hat sich vor einigen Monaten die Arbeitsgruppe Vielfalt gegründet. Ziel dieser Arbeitsgruppe ist es, Maßnahmen zu entwickeln, damit sich auch innerhalb unserer Parteistrukturen und politischen Prozesse die gesellschaftliche Vielfalt widerspiegelt.
Darüber hinaus ist es zwingend notwendig, dass Deutschlands koloniale Verantwortung endlich aufgearbeitet wird. Es gibt keine offizielle Erinnerungskultur in Bezug auf Deutschlands Kolonialverbrechen. Dies muss sich ändern. Die Erzählung von Deutschland als unbedeutender Kolonialmacht, im Gegensatz zu Staaten wie Frankreich, darf nicht länger aufrechterhalten werden. Deutschland hatte Kolonien im heutigen Namibia und heutigen Tansania, in Kamerun, Ruanda, Togo und Burundi, in Papua-Neuguinea, auf den Marshall-Inseln, Westsamoa, auf Mikronesien und in einem Teil des heutigen Chinas. Dort fanden unter deutscher Verantwortung unfassbare Kolonialverbrechen statt, wie der Völkermord an zehntausenden Herero und Nama im heutigen Namibia.
Wir Grüne fordern deshalb eine klare Benennung dieses Genozids als Völkermord und die Anerkennung der Verantwortung Deutschlands. Darüber hinaus braucht es eine systematische Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte, unter Einbezug der Nachfahren der Opfer des Kolonialismus. Um die deutsche Erinnerungskultur zu erweitern, braucht es eine zentrale Erinnerungs- und Lernstätte. Wir fordern, gesetzliche Grundlagen zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten zu schaffen und menschliche Gebeine aus kolonialen Kontexten zu identifizieren und zurückzugeben.
Weitere Informationen dazu erhalten Sie hier: https://www.gruene-bundestag.de/themen/kultur/koloniales-erbe-aufarbeiten
Mit freundlichen Grüßen
Aminata Touré