Frage an Alexander-Martin Sardina von Louis F. v. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrter Herr Sardina,
Vorsitzender der Esperanto-Liga Berlin ist Peter Kühnel, ich selbst bin Vorsitzender des überregionalen Vereins EsperantoLand. Auch wenn ich in Berlin wohne, interessiere ich mich daher auch für Esperanto in anderen Städten; z. B. habe ich in den letzten zwölf Monaten Pressearbeit in Trier, Bonn und Arnsberg gemacht.
Ich verstehe gut, dass aus Kostengründen die Frage des Esperanto sorgfältig durchdacht werden soll. Ich rege dringend an, auch den Englisch-Unterricht und die Anglistik-Forschung unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten: Was eigentlich sollen teilweise zehn Schuljahre Englisch bringen? Mehr Sprachkompetenz für das spätere Fachstudium dank Lektüre schöngeistiger Literatur? (Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Schüler für mehr als tausend Schulstunden Englisch über ein Lebensjahr aufwenden.) Ist es wirklich sinnvoll, dass die Anglistik-Professoren für eine große Menge an Forschung bezahlt werden - wo es doch eigentlich nur um die massenhafte Ausbildung von Englisch-Lehrern geht?
Man kann davon ausgehen, dass Esperanto heute etwa ein Verhältnis von 1 : 1000 gegenüber dem Englischen erreicht hat; z. B. haben sich einige zehntausend Deutsche dafür entschieden, Esperanto zu lernen. Es scheint mir daher angemessen, wenn die deutschen Schulbehörden und Universitäten etwa 0,1 % ihres Etats für Englisch-Unterricht und -Forschung nunmehr für Esperanto aufwenden. 0,1 % ist ein so geringer Anteil, dass dies wegen der natürlichen Fluktuation schon in einem Jahr erreichbar wäre, sogar bei Reduzierung der Gesamtausgaben.
In den Schulen könnte das heißen, dass den daran interessierten Lehrern Esperanto-Unterricht auf ihre Pflichtstunden angerechnet wird. Man könnte für ein Prozent der Schüler Esperanto als Wahlfach anbieten, im Gesamtumfang von etwa hundert Stunden. Würden Sie das unterstützen?
Schön, dass Sprachwissenschaftler zu Esperanto forschen - derzeit dringender wären hierzu politische und wirtschaftliche Fragen.
Sehr geehrter Herr von Wunsch-Rolshoven,
wie schon bei Ihrer ersten Nachricht hier bei "abgeordnetenwatch.de" an mich nutzen Sie m. E. auch Ihre zweite Mail eher für ein ausführliches persönliches Statement bzw. einen allgemeinen Diskurs (ohne direkten Stadtbezug) als für konkrete Fragen zur aktuellen Hamburgischen Landespolitik.
Als Amerikanist, Philologe und Pädagoge bin ich einigermaßen irritiert, gerade von Ihnen folgende Aussage zu lesen: "Ist es wirklich sinnvoll, dass die Anglistik-Professoren für eine große Menge an Forschung bezahlt werden - wo es doch eigentlich nur um die massenhafte Ausbildung von Englisch-Lehrern geht?". Ich hoffe doch sehr, dass dies nur eine bewusste Überspitzung ist, denn zum einen ist und bleibt Englisch die weltweite Lingua Franca, ergo ist es für die Dienstleistungsnation Deutschland (und damit auch für die Bildungspolitik in Hamburg) von unschätzbarem Wert, eine höchst- und bestmögliche Sprachkompetenz im Englischen bei allen Schülerinnen und Schülern zu erreichen, weswegen es vollkommen richtig ist, dem Englischen einen derart herausgehobenen Stellenwert beizumessen. Zum anderen beschäftigen sich die anglophilen Sprachwissenschaften (Amerikanistik, Anglistik, Kanadistik, Australistik usw.) in erheblichem Maße doch nicht ausschließlich mit dem Spracherwerb, wie Ihnen auch ganz sicher bekannt ist: Der Unterschied zwischen einem Volkshochschulkurs "Englisch" und einem schwierigen sowie arbeitsintensiven Universitätsstudium ist natürlich der, dass man sich an der Uni mit der Sprache (Linguistik - Phonetik, Phonologie, Semantik usw.), wie auch mit der Literatur und Kultur des Ziellandes wissenschaftlich und forschend beschäftigt. Hinzu kommen Fachaspekte in Querschnittsfächern; bei mir war das im Politologiestudium neben der Regierungslehre und der Europäischen Union immer die Frage der transatlantischen Beziehungen zwischen Deutschland und den USA. Es geht also um viel mehr als um die bloße Ausbildung von Englisch-Lehrerinnen- und Lehrern, derartige Verkürzungen gruseln mich!
Mir ist klar, dass Sie als Esperanto-Lobbyist natürlich jede Chance nutzen, für Esperanto zu werben. Dennoch sehe ich weder an Universitäten und schon gar nicht an allgemeinbildenden staatlichen Schulen die Chance, Esperanto institutionalisiert einzubinden. An Hochschulen werden die durch Studiengebühren eingeworbenen und sonstigen zur Verfügung stehenden Mittel dringend für bestehende (!) Aufgaben in Lehre und Forschung benötigt. An Schulen spräche vielleicht nichts gegen außerunterrichtliche Esperanto-AGs, möglicherweise ähnlich dem konsularischen Sprachunterricht in Hamburg (Zeugniserwähnung), aber Ihre Forderung, Esperanto-Unterricht sogar auf Pflichtstunden anzurechnen, ist schlichtweg absurd, denn wie sollen die Vorgaben der Stundentafel (it est des zu erteilenden Unterrichts) erfüllt werden, wenn gar nicht ausreichend Stunden mehr zur Verfügung stünden bzw. was sollte denn zugunsten von Esperanto aus dem Bildungsplan wegfallen? Ihr Ehrgeiz in allen Ehren, aber derartige Ideen gehen völlig an der Schulrealität - zumindest bei uns in Hamburg - vorbei: Sowohl zur Verfügung stehende Stunden, wie auch Gelder als auch die Anzahl der Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen ist begrenzt. Wenn Sie mögen, empfehle ich Ihnen, sich mit diesem Vorschlag noch einmal an meinen Kollegen Robert Heinemann MdHB zu wenden, der derzeitige Bildungspolitische Sprecher der CDU-Regierungsfraktion. Er ist sicherlich noch kompetenter als ich, Ihnen dazu einige Erklärungen zu geben, da der ganze Bereich "Esperato" ja strenggenommen auch nicht in mein Fachgebiet fällt, wie ich bereits ausgeführt habe in meiner ersten Antwort an Sie.
Im Übrigen verweise ich auf meine Ausführungen hier am 7. November 2006; aus den dargelegten Gründen werde ich mich auch weiterhin nicht für ein staatliches Lehrangebot von Esperanto einsetzen, begrüße es aber, dass wir unsere Positionen dazu jetzt einmal diskursiv ausgetauscht haben.
Mit freundlichen Grüßen,
AMS