Frage an Alexander-Martin Sardina von Christoph R. S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geeherter Herr Alexander-Martin Sardina
Herzlichen Dank für die ausführliche Antwort auf die Frage von Herrn Sittler.
Zunächt Ihre Kritik an der Verfahrenweise bei der Volksgesetzgebung:
Die Probleme dort könnte man abmildern, indem die Bürgerinitiative im Vorfeld die wissenschaftlichen Dienste des Parlaments mitbenutzt, indem Parlament und Bürgerinitiative mehr mit einander reden, und indem man zu bestimmten Teilgebieten beim Volksentscheidt Stichfragen zulässt, andere weniger wichtige Teilgebiete durch Verhandlungen einvernehmlich regelt.
Wahlrechtsänderungen sind IMHO gerade ein Punkt, den die Wähler besser direkt entscheiden als Politiker, welche nach einem bestimmten System gewählt wurden und deshalb zu dessen Gunsten befangen sind.
Hier war die Hauptfrage, die sehr wohl stark vereinfacht darstellbar ist, Personenwahl mit Parteien oder aber reine Parteien-Wahl.
Gegen den Geist, die Idee und die funktionale Systematik des Volksbegehrens verstößt die CDU-Änderung stark, so dass ein Parteienlistensystem mit Wahlkreisen, fast genau so wie beim Bundestagswahlrecht, übrig bleibt, einige markante Punkte bleiben als nur formale Hülle zurück:
Zu den Änderungen:
1. Dass eine Stimme auf den Listenkopf als Zustimmung zu der von der Partei vorgeschlagenen Reihenfolge zu werten ist, will ich voll mittragen. Aber die Stimmenzahl, welche nach dem CDU-Modell nötig ist, um die von der Partei vorgeschlagene Reihenfolge zu überstimmen, ist viel zu hoch! Es ist recht unwahrscheinlich, dass sich genügend Personenstimmen auf einen Kandidaten konzentrieren. Scheinbar haben die Wähler zwar trotz der CDU-Änderung die Möglichkeit Einzelkandidaten zu wählen, aber durch das sehr hohe Quorum hat diese Stimmabgabe keine Wirkung!
Wer umgekehrt seine Stimme nicht auf den Kopf der Liste macht, sondern nach Personen getrennt abstimmt, der lehnt hierdurch ja gerade jene Reihenfolge, die von der Partei beschlossen wurde, ab. Beim CDU-Vorschlag blieb unberücksichtigt, dass sich das Quorum vermindern sollte, je mehr Leute ihre Stimmen auf Einzelkandidaten aufsplitten.
Hier muss man wohl mehr Mathematik bemühen, um die Stimmen auf dem Listenkopf angemessen auf die einzelnen Kandidaten zu verteilen und nahtlos kompatibel zu machen mit den Personenstimmen.
Dies gilt auch gerade für die Reihenfolge der nachrückenden Ersatzkandidaten.
Somit wird nach aller Wahrscheinlichkeit, egal wie die Wähler Personen ankreuzen, die von der Partei vorgeschlagene Reihenfolge sich voll durchsetzen. Es werden nur Parteien gewählt, keine Personen.
2. Die Mandatsvergabe an andere Parteien ist eine Strafbestimmung für den sehr unwahrscheinlichen Fall, dass eine Partei mehr Wahlkreis-Sitze bekommt als sie Kanditaten hat. Wenn also nur ein Kandidat auf der Kreisliste steht, dann weiß der Wähler ja, worauf er sich einlässt. Die Bürgerinitiative ging aber davon aus, dass jede einigermaßen seriöse Partei in der Lage ist, in einem Wahlkeis genügend Kandidaten aufzustellen. Erwartet wurde vielmehr, dass SPD und CDU in jedem Wahlkreis die maximale Zahl von sechs, acht oder zehn Kandidaten voll ausschöpfen.
Zentraler Denkansatz war eine Mandatsvergabe aus dem Wahlkreis und nicht allein nach Parteien.
Es gibt daher keinen Grund, dies zu ändern.
3. Im Gegensatz der unter Politikern weit verbreiteten Parteien-zentrierten Denkweise ist das Wahlrecht der Bürgerinitiative persönlichkeitsorientiert.
Im gleichen Maße, wie nach der Wahl die Abgeordneten frei entscheiden können, sollten es hier auch die Ersatzkandidaten tun können. Man wird als souveräne Person gewählt und nicht als Mitglied einer Partei.
Im übrigen, wenn einer der ranghöchsten Ersatzkandidaten auf der Landesliste querschießen will, dann kann er dies auch nach dem CDU-Vorschlag tun. Durch Einlegen diverser Rechtsmittel kann er seinen Parteiausschluß so lange verzögern, bis wieder mal ein amtierender Abgeordneter ausscheidet. Ein Gang bis zum Bundesgerichtshof dauert doch länger als die Wahlperiode... :-)
Die Beschränkung auf 60 Kandidaten ist notwendig, da einmal nach Abzug der Wahlkreisabgeordneten ja nur wenige Kandidaten über die Landesliste in die Bürgerschaft kommen, überschlägig gerechnet im Extremfall 30, eher maximal 25 pro Liste. Zum andern wird es sonst zu unübersichtlich. Da im Extremfall wenigstens 30 bis 35 Ersatzkanditaten übrigbleiben, ist ein Ersatz über die Wahlkreisliste nicht wahrscheinlich und auch nicht weiter problematisch, da dort ja ebenfalls vom Volk gewählte gleichermaßen hoch qualifizierte Ersatzkanditaten nachrücken.
4. Eine Partei, welche viele qualifizierte Mitglieder hat, kann auch damit angeben!!!
Das derzeitige Wahlrecht sollte nicht viel anders lautende Listen-Anordnungen ergeben als bisher, da die etablierten vier oder fünf Parteien als einzige genügend Leute haben.
Das Beispiel mit den 35 NPD-Kandidaten ist falsch, da nur max. sechs, acht oder zehn
Kanditaten je Wahlkreis zulässig sind.
6. So viel ich weiß hatte vor ein paar Jahren das Landesverfassungsgericht in Berlin die 5%-Hürde für die dortigen, durchaus mit Hamburg vergleichbaren Bezirksverordnetenversammlungen als verfassungswidrig verboten. Zumindest sollten Sie diese Rechtsmeinung genau abklären, bevor Sie diesen Punkt ändern.
mit freundlichen Grüßen
Christoph R. Strebel
21107 HH
Guten Tag Herr Strebel,
gleich schnell eine Reaktion von mir auf Ihr Statement (das Ganze ist ja weniger eine ´Frage´ an mich als vielmehr ein längerer Diskussionsbeitrag); vorweg aber eine Korrektur zu meiner Antwort auf Herrn Sittlers Frage, denn mir ist beim nochmaligen Lesen meines Textes aufgefallen, dass ich versehentlich von der 17. Legislaturperiode gesprochen habe. Das ist natürlich falsch, wir haben jetzt die 18.; ich hatte zuvor diverse alte Ausschussprotokolle des Europaausschusses aus der 17. durchgearbeitet, und so kam es vermutlich zu dem Fehler.
Jetzt aber zu Ihnen:
Eine Zuarbeit durch die Wissenschaftlichen Dienste der Bürgerschaft bzw. deren Fraktionen für die Bürgerinitiative wäre rechtlich gar nicht zulässig gewesen, denn dies alles wird aus Steuergeldern finanziert auf Grundlage gesetzlicher Regelungen ausschließlich für die Arbeit des Parlaments. Die Bürgerinitiative ist aber eine externe Gruppierung, eine Finanzierung von Zuarbeiten wäre also in keinem Fall möglich gewesen. Zudem will ich nicht verschweigen, dass bestimmt manche Abgeordnete unterschiedlicher Parteien (- glauben Sie bitte nicht, dass auf der rechten Seite des Hauses die Gegner sitzen und auf der linken die Befürworter, die Realität sieht anders aus! -) gar kein Interesse daran gehabt hätten, dass der Bürgerinitiative hilfreich zugearbeitet worden wäre.
Die Idee mit den Stichfragen beim Volksentscheid ist interessant, wäre so aber auch aufgrund geltender Regelungen gleichfalls nicht (zu dem damaligen Zeitpunkt) umzusetzen gewesen.
Interessant finde ich, dass Sie schreiben, die Initiative ging bei ihren Überlegungen davon aus, "[...] dass SPD und CDU in jedem Wahlkreis die maximale Zahl von sechs, acht oder zehn Kandidaten voll ausschöpfen." - CDU und SPD sind bei der Frage der WK-Kandidaten weniger betroffen als vielmehr kleine Parteien wie die FDP oder die GAL. Ich habe es an anderer Stelle schon einmal geäußert: Gerade diese kleinen Parteien, die das neue Wahlrecht unterstützen, werden selbst massive Probleme damit bekommen, da sie gar nicht über die Manpower verfügen, genügend Kandidaten aufzustellen und einen WK-bezogenen Wahlkampf zu führen! Wie sonst erklärt es sich, dass im Vorwege der Bundestagswahl oder aber auch der vorangegangenen beiden Bü-Wahlen FDP und GAL so gut wie keine Infostände und Veranstaltungen beispielsweise bei mir in Horn durchgeführt haben, während CDU und SPD über ihre Ortsverbände und Distrikte selbstverständlich wenigstens wöchentlich aktiv und zudem gut organisiert waren? Auch Mitglieder- und Helfermäßig sieht es ja bei beiden kleinen Parteien offenkundig eher mies aus. Nun soll es mir ja ganz Recht sein, wenn FDP und GAL somit eher ins Hintertreffen geraten, ich bin aber um eine objektive Situationsanalyse bemüht. - Meine Bemerkung mit den "35 NPD-Kandidaten" war als bewusste deutliche Übertreibung zu verstehen, wobei mir auch bei nur sechs NPD- oder DVU-Kandidaten schon übel genug werden würde.
Eines noch zu Ihrem Satz "So viel ich weiß hatte vor ein paar Jahren das Landesverfassungsgericht in Berlin die 5%-Hürde für die dortigen, durchaus mit Hamburg vergleichbaren Bezirksverordnetenversammlungen als verfassungswidrig verboten. Zumindest sollten Sie diese Rechtsmeinung genau abklären, bevor Sie diesen Punkt ändern.": Das sehen Sie nicht ganz richtig. Berlin und Hamburg sind zwar Stadtstaaten mit einem ´optisch´ ähnlichen Verwaltungsaufbau, die BVVs unterscheiden sich aber sehr wohl von unseren BVs. In Berlin haben Sie das Magistratsprinzip mit dem sogenannten "politischen Bezirksamt" mit gewählten Stadtverordneten bzw. Dezernenten, und die BVVs sind insgesamt viel eher "Kreistage", also Kommunalvertretungen, als unsere BVs, die formal gesehen ja nur Verwaltungsausschüsse sind. Die Situation in Berlin unterscheidet sich also von der hier in Hamburg. Unabhängig von der juristischen Bewertung gibt es aber auch die politische Sicht: Wie sollen arbeitsfähige Koalitionen auf Bezirksebene zustande kommen, wenn wir die Fünf-Prozent-Klausel abschaffen? Das sehe ich doch höchst skeptisch. Außerdem kann es demokratietheoretisch nicht angehen, dass die Interessensvertretung einer möglicherweise sehr kleinen Gruppe über BV-Mandate relativ gesehen ein Vielfaches an Einfluss geltend machen kann (insbesondere bei den Gruppierungen, bei denen mir schlecht wird :-).
Ihre Bewertungen nehme ich natürlich gern zur Kenntnis, bleibe aber im übrigen natürlich bei meinen Ausführungen: Die Änderungen der CDU sind im Grunde funktionale Änderungen, berühren aber nicht das Wesen des neuen Wahlrechts. Vielen Dank trotzdem für Ihren sachlichen Beitrag.
Besten Gruß,
Ihr AMS