Frage an Alexander-Martin Sardina von Marie E. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Sardina,
ich verfolge seit einiger Zeit die Diskussion um das Feierabend-Parlament in den Medien. Hamburg ist das einzige Bundesland mit einem solchen Parlament.
Sind sie dafür oder dagegen?
Nennen Sie bitte Gründe!
Vielen Dank und mit freundlichen Grüßen,
Marie Erdmann
Hallo Frau Erdmann,
vielen Dank für Ihre Frage. Sie weisen damit in nur wenigen Zeilen auf eine sehr komplexe und aktuelle Thematik hin, zu der ich hier aufgrund der gewissen Beschränktheit des Platzes für eine Antwort leider nur verkürzt antworten kann, wobei ich aber versuchen will, wenigstens die wesentlichen Argumente aus meiner Sicht aufzuzeigen:
Hamburg ist eine Einheitsgemeinde und soll es auch nach der anstehenden Bezirks- und Verwaltungsreform bleiben, was bedeutet, dass die Bürgerschaft sowohl Landtag bleibt und zugleich aber auch weiterhin über kommunale Dinge zu entscheiden hat. Dieses mit einem Feierabendparlament zu tun, bei dem Sitzungen nachmittags oder spätnachmittags erst beginnen, hat in der Hansestadt Tradition. Der Grund dafür ist, dass die Abgeordneten, die einem Beruf nachgehen (also keine Studenten, Renter, Arbeitslose, Hausfrauen etc. sind), dies aus weiterhin - zumindest in Teilzeit - tun können sollen, um so einen engen Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern zu behalten. Am Rande spart man sich i. d. R. nach dem Ausscheiden eines MdHB langwierige Wiedereingliedeurngsprozesse ins Berufsleben, was ggf. den Steuerzahler teure Übergangsgelder kosten kann. Außerdem geht man bei der Höhe der Diäten (2280 Euro monatlich, die zu versteuern sind) davon aus, dass der einzelne Abgeordnete über weitere Einkünfte verfügt. Deswegen ist Hamburg das Bundesland mit den geringsten Abgeordneten-Diäten (selbst im kleinen Bremen bekommen die Abgeordneten mehr). Die hier kurz genannten Punkte ("Kontakt zum Volk", für den Steuerzahler kostengünstige Diäten) sind die Kernargumente für ein Feierabendparlament.
Das Gegenargument wird jetzt gern im Zusammenhang mit den seit der letzten Wahl am 29.02.2004 eingeführten Wahlkreisen für Hamburg genannt, nämlich die jetzt neu hinzukommende Wahlkreisarbeit. Da diese offiziell bislang nicht verlangt wurde, gab es in Hamburg keine Wahlkreise, sondern nur die Landeslisten der jeweiligen Parteien. An meiner Formulierung erkennen Sie aber bereits, dass hier Theorie und Praxis ohnehin schon auseinanderklafften, denn zumindest die großen Parteien haben beide bei den jeweiligen Aufstellungsverfahren berücksichtigt, dass möglichst viele Ortsverbände bzw. Distrikte in der Bürgerschaft, wenigstens aber alle sieben Bezirke, vertreten sein sollen. Aus meiner Erfahrung mit unseren CDU-Abgeordneten und einigen Kolleginnen und Kollegen aus der SPD, die ich gut kenne, kann ich sagen, dass auch zu der Zeit, als es noch keine Wahlkreise gab in Hamburg, die Mehrheit der Abgeordneten sich in einem gewissen Rahmen schon als "Wahlkreisabgeordneter" gefühlt und auch so gehandelt hat. Die jetzt offiziell hinzukommende Wahlkreisarbeit ist also de facto für viele gar nichts neues und wurde auch so schon bewältigt. An dieser Stelle lassen Sie mich noch anmerken, dass die GAL wohl jetzt erst ganz langsam merkt, dass sie sich mit der Unterstützung der Wahlkreiseinführung gar keinen Gefallen getan hat, denn während es in fast allen Stadtteilen funktionierende CDU-Ortsverbände und SPD-Distrikte gibt, stehen die Grünen völlig hilflos und personalmäßig komplett überfordert da. Jedenfalls gibt es jetzt einige, die fordern, die Bürgerschaft solle ein Vollzeitparlament werden. Dieses würde jedoch bedeuten, dass man die Diäten erheblich in der Höhe anpassen müsste, dies birgt die Gefahr, dass Abgeordnete nur noch in ihrer "Welt im Rathaus" leben, weil sie eben keinen Hauptjob mehr außerhalb der Politik haben, und schlussendlich wäre die Folge, dass man die Bürgerschaft deutlich verkleinern müsste: 121 Vollzeitabgeordnete stünden in keinem vermittelbaren Verhältnis zu 1,7 Millionen Einwohnern.
Ganz klar Unrecht hat der "Altparteienkritiker" Prof. Arnim, wenn er sagt, der Job des Landtagsabgeordneten sei in Wahrheit gar kein Fulltime-Job, und dieses hätten die Abgeordneten lediglich selbst erfunden, um ihre Diäten zu rechtfertigen (vgl. den relevanten Artikel hier: http://www.hfv-speyer.de/VONARNIM/Maer.htm). Da ich selbst erst seit knapp zwei Monaten mein Mandat habe, greife ich in diesem Punkt doch lieber auf meine Erfahrungen zurück: Ich habe mehrere Jahre nacheinander für zwei Bürgerschaftsabgeordnete als Referent gearbeitet. Aus dieser Zeit weiß ich genau, dass von der Arbeitsbelastung her und wenn man sein Mandat in allen Belangen wirklich ernstnimmt und ausfüllt, auch ein Bürgerschaftsmandat eigentlich sehr wohl eine Vollzeitbeschäftigung ist - und das, obwohl wir eben "nur" ein Feierabendparlament sind. Meine Termine haben sich im Vergleich zu der Zeit vor dem Mandatsantritt im übrigen fast vervierfacht.
Im Augenblick läuft die Diskussion, und was ich hier oben ausgeführt habe, sind die gängigsten Argumente, die parteiübergreifend gern für oder gegen die eine und andere Position vorgebracht werden. Wenn Sie mich persönlich fragen, und das ist auch nicht die Meinung der CDU (denn offiziell hat die Partei oder Fraktion noch keine), so würde ich sagen, wir sollten ein Feierabendparlament beibehalten. Natürlich gibt es noch einiges zu verbessern, und ja, auch über die jetzige Höhe der Diäten würde ich bei Zeiten gern einmal ganz sachlich diskutieren, denn mit 2280 Euro sind die Abgeordneten realistisch gesehen tendenziell untervergütet (auch wenn manche Menschen in Zeiten von Hartz IV dies anders sehen mögen), aber grundsätzlich erlebe ich die Bürgerschaft als sehr lebendiges Parlament, bei dem es aufgrund der Feierabend-Regelung eben bestimmten Berufsgruppen überhaupt erst möglich ist, ein Mandat zu haben. Wollen wir denn wirklich noch mehr Juristen und Beamte im Parlament haben? Ich nicht, denn gerade ein Berufs- und Altersmix trifft die bestmögliche Zusammensetzung einer Volksvertretung. Auch will ich keine Verkleinerung auf 71 oder 101 Mandate, sondern gerade die verfassungsmäße Bestimmung, die derzeit 121 als Anzahl der Abgeordneten festlegt, sichert eine gewisse Vielfalt und ist ein Plus in puncto größerer Mitbestimmung, die ich im Rahmen der repräsentativen Demokratie durchaus befürworte. Was das Argument "Wahlkreisabgeordnete" betrifft, so würde ich dafür plädieren, erst einmal in Ruhe Erfahrungen mit der neuen Situation zu sammeln. Meine Prognose ist, dass sich alle im Rahmen der bisherigen Arbeit gut auf die neuen Begebenheiten einstellen werden - und das, obwohl wir ein Feierabendparlament haben.
Ich hoffe, Sie sind mit der Beantwortung Ihrer Frage einigermaßen zufrieden, bitte aber um Verständnis, dass das Thema einfach zu komplex ist, um dies in allen Facetten hier zu beleuchten. Vielen Dank für Ihr Interesse und einen schönen Dienstag,
Ihr AMS