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Alexander Bonde
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Frage von Siegfried A. •

Frage an Alexander Bonde von Siegfried A. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

ISAF oder OEF, das macht für mich keinen großen Unterschied. So wie ich es verstehe gehören deutsche Soldaten nicht nach Afghanistan.
Wie stehen Sie dazu, dass wir jetzt wohl "Kampftruppen" nach Afghanistan schicken wollen?

Verschiedene Politiker behaupten, das wäre die logische Konsequenz aus dem zivilen Aufbau in Afghanistan, der ja auch Ihrer Meinung nach ganz wichtig ist.

Was ist ihre Meinung dazu?

Mit freundlichen Grüßen
Siegfried Armbruster

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Armbruster,

herzlichen Dank für Ihre Frage zur Außenpolitik bzw. zu Afghanistan.

1) OEF und ISAF Zwischen dem von der UN mandatierten Stabilisierungseinsatz ISAF und dem auf dem US-amerikanischen Selbstverteidigungsrecht basierenden Anti-Terror-Mandat „Operation Enduring Freedom“ (OEF) bestehen riesige Unterschiede – völkerrechtlich, in der Zielbeschreibung und in den konkreten Auswirkungen vor Ort. Alleine die völkerrechtliche Grundlage sich Jahre nach den Angriffen des 11.September 2001 noch auf das damals vom UN-Sicherheitsrat (bezogen auf die ganz konkreten Angriffe) eingeräumte Selbstverteidigungsrecht zu beziehen halte ich für schwierig. Außerdem fehlt es OEF an einer Einbindung in den politischen und zivilen Wiederaufbau Afghanistans.

Ganz anders bei ISAF. ISAF ist eine ausdrückliche Stabilisierungsmission, die die Unterstützung der gewählten Institutionen Afghanistans, die Sicherheit der Menschen und den Wiederaufbau zum Ziel hat. Dabei müssen die Soldaten der ISAF auch in der Lage sein Angriffe abzuwehren und gemeinsam mit afghanischen Sicherheitskräften (also Polizei und afghanische Armee) gegen terroristische Aktivitäten vor zu gehen. Denn diese Aktivitäten richten sich gezielt gegen Aufbau und Entwicklung, da positive Entwicklungen für die Menschen in Bezug z.B. auf Wirtschaft, Bildung und Gesundheit die Machtbasis von Taliban und organisierter Kriminalität schwächen. Deren Einfluss basiert auf Armut und Alternativlosigkeit in der Bevölkerung und deshalb bekämpfen sie positive Entwicklungen. Gerade deshalb ist die im ISAF-Mandat vorgenommene Kopplung von Sicherheit und Entwicklung wichtig.

2) „Quick Reaction Force“ und „neue Qualität“? Zu dem was sie „Kampftruppen“ nennen: Dieser Begriff bzw. die Diskussion über eine „neue Qualität“ des Bundeswehr-Engagements der letzten Tage ist irreführend.

Um ihre Frage kurz zu beantworten: die in der Diskussion stehende „Quick Reaction Force“ ist tatsächlich ein zwingender Bestandteil (in ihren Worten eine „logische Konsequenz“) der Absicherung des Wiederaufbaus. Das stellt sich folgendermaßen dar:

In der Nordregion Afghanistans hat die Bundeswehr das ISAF-Kommando. Organisatorisch gibt es dort Einheiten die verschiedenen örtlichen Wiederaufbau-Teams zugeordnete sind (sogenannte „Provincial Reconstruction Teams“, kurz PRT genannt). Diese sind auch militärisch ausgebildet, bewaffnet und werden wenn notwendig für militärische Operationen (Konvoi-Schutz, Abwehr von Angriffen, Ausheben von Waffenlagern u. ä. eingesetzt.). Die für Stabilisierung und Wiederaufbau eingesetzten Bundeswehrsoldaten erfüllen damit bereits heute das Profil von „Kampftruppen“.

Was in den letzten Tage in der Diskussion hinzu kommt ist folgendes: Im Regional-Kommando Nord gibt es eine „Quick Reaction Force“ (QRF), die die militärische Reserve in der ganzen Region bildet. Sie wird immer dort eingesetzt, wo die militärischen Kapazitäten der örtlichen PRTs Verstärkung benötigen. Typische Aufgaben sind Konvoischutz, Zugriff auf gesuchte Personen zusammen mit afghanischen Sicherheitskräften, Evakuierung in Notfällen, Sicherung bei Raketenbeschuss. Die QRF wird in der Regel gemeinsam mit den örtlichen Kräften der Afghanen und der PRTs (also auch der Bundeswehr) eingesetzt. Dies trägt dazu bei, dass die militärischen Anteile der PRTs nicht überall numerisch auf jeden Risikofall ausgelegt sein müssen. Ohne zuverlässiges QRF müssten die militärischen Kapazitäten in allen PRTs deutlich angehoben werden. Die Aufgaben, die die QRF wahrnimmt werden weitgehend auch von der Bundeswehr in den PRTs wahrgenommen, allerdings bisher nur örtlich und in geringerem zeitlichen Anteil. In der Ausrüstung unterscheiden sich Bundeswehr in den PRTs und die QRF bisher nur an wenigen Stellen.

Die QRF-Einheiten wurden bisher von Norwegen gestellt. Norwegen möchte nun ab Sommer den Schwerpunkt auf die eigenen PRTs legen. Norwegen hat aktuell 10% seines Heeres in Afghanistan im Einsatz. Für ein Land mit vergleichsweise kleinen Streitkräften ist es daher oft schwierig über Jahre bestimmte Arten von Kräften dauerhaft zu binden, daher ist ein solcher Wechsel der Aufgaben in internationalen Einsätzen ein normaler Vorgang. Noch offen ist, wer diese Aufgabe ab Sommer übernimmt. Da Deutschland die Führung im Norden hat richten sich die internationalen Blicke auf die Bundeswehr. Entschieden ist jedoch bisher nichts, es liegt auch noch keine konkrete Anfrage vor.

Aus meiner Sicht ist wichtig: eine mögliche Übernahme der QRF durch die Bundeswehr ist nur dann möglich, wenn sie den Rahmen des vom Bundestag verabschiedeten Mandates (Stabilisierungsmandat, Beschränkung auf Nordregion, nationaler Vorbehalt) einhält. (Die Regelungen der Norweger hatten dies gewährleistet.)

3) Vor lauter Militärdiskussion die zivile Entwicklung nicht aus dem Blick verlieren

Nicht unberücksichtigt bleiben sollte bei aller Diskussion um Militärfragen, dass sich in den letzten Monaten nicht zuletzt mit dem von der Heinrich Böll Stiftung unterstützten Tribal Liason Offices politische Hoffnungsfunken ergeben haben: In Krisenprovinzen des Ostens und Südostens fanden mehrere Treffen von Stammesautoritäten statt, bei denen es um Gespräche, Verhandlungen und Konfliktlösungen mit Teilen der Aufständischen ging. Und dass GTZ International Service endlich einen großen Vertrag mit der niederländischen Regierung über Aufbauprojekte in der Taliban-Hochburg Uruzgan unterzeichnen konnte, ist auch ein wichtiger Schritt voran.

Mit freundlichen Grüßen

Alexander Bonde MdB